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Jenny Hval - Apocalypse, girl

Jenny Hval- Apocalypse, girl

Sacred Bones / Cargo
VÖ: 05.06.2015

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Wo ist Ich?

"Ich will so bleiben wie ich bin", lautete dereinst der Werbeslogan einer Diätwurst. Ja, wenn das so einfach wäre. Als ob man wüsste, wie man ist. Und als ob Wurst überhaupt etwas ändern könnte. Jenny Hval mag keine Wurst, sie präferiert Bananen. Auch im Schlafzimmer, wo sie nur so lange als Phallussymbole dienen können, bis der Verfallsprozess seinen Tribut fordert. Was bleibt, ist eine ekelhafte Pampe. Der glibberige Rest einer Illusion, eines vergebenen Wunsches nach Selbstbestimmung. "What is soft dick rock?", fragt Hval, und liefert die Antwort gleich hinterher: "Using the elements of dick to create a softer, toned-down sound." Weich und schmeichelhaft ist der Klang ihres neuen Albums "Apocalypse, girl" nur ohrenscheinlich. Im Inneren lauert eine Zerrissenheit, die in all ihrer Verkopftheit, ihrem Kunststreben Raum fordert. Und keinen Platz für einfache Lösungen lässt.

Das Primat des marktgesteuerten Individualismus sorgt für durchwachte Nächte. Immer mehr Fragen geistern durch den ruhelosen Verstand, immer unmöglicher wird eine Grenzziehung zwischen dem Selbst und dem Anderen. Sexualität ist längst fremdbestimmt, und in ihrer Allheit erdrückend. "A warm place. Can we go there? We don't have to fuck, can we just lie here being?" Älter werden heißt sterben. Die Uhr tickt. Das, was früher Menschen zusammengeführt hat, präsentiert sich nur noch in Form einer verblichenen Kopie. Am Wollen kann es nicht liegen, das ist immer noch vorhanden. Vielleicht sogar im Überfluss. Doch die Zweifel nagen am Gemüt, sie drängen und drohen. "And everything I write begins with the question: What's wrong with me? You say I'm free now, that battle is over, and feminism's over. And socialism's over. Yeah, I say I can consume what I want now." Im Hintergrund eine Orgel. Soul für die Seelenlosen.

Ist das nicht platt? Abgedroschen? Simplifizierte Kritik, nur der Kritik wegen? Jenny Hval weiß um das Dilemma, in das sie sich manövriert hat. Sie spielt mit den Erwartungen und umgeht den Kurzschluss, indem sie das Heil in der Flucht sucht. Der Flucht nach oben, dem Himmel entgegen, dem Tode entrückt. "But I'm 33 now, that's Jesus-age", konstatiert sie lapidar. Geigen kaschieren erste Fältchen, mit mädchenhafter Stimme stürzt sich die Norwegerin in einen Abgesang auf das Beständige, an dessen Ende immer der Tod wartet. "So much death inside my body! Heaven, I'm sorry. I just want to feel." Erlösung ist ein leeres Wort. Ein Versprechen, das mit völliger Entgrenzung einhergeht. Und beim Blick in den Spiegel beginnt.

Was ist Männlichkeit? Was ist Weiblichkeit? Was liegt dazwischen? Wo ist das Mädchen hin, das eben noch den Dingen Namen geben konnte? Wenn man Wahrnehmen wörtlich nimmt, wird es zu einem Akt des Verstandes. Hval begehrt auf, schaut der Sehnsucht nach Selbstbestimmung ins Gesicht und entscheidet sich für den Abgrund. "It would be easy to think about submission. But I don't think it's about submission, it's about holding and being held", lautet das vorläufige Fazit. Doch auch das will nicht recht genügen. Die Zweifel können nicht einfach abgeworfen werden, keine Metamorphose, keine Neuerfindung kann die Kluft zwischen Ich und Welt überwinden. So zerfließt Sprache zu Schweigen. Leben wollen heißt überleben wollen. In tastenden, blinden Bewegungen führt die Künstlerin nun die Fäden zusammen, an denen sie zu hängen glaubt. Sie findet nicht mehr zurück, sondern zu sich selbst im Fremden. Endlich fällt das Wort, und der Vorhang hinterher. Verstehen. Was immer auch das sei.

(Christopher Sennfelder)

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Highlights

  • That battle is over
  • Heaven
  • Sabbath
  • Holy land

Tracklist

  1. Kingsize
  2. Take care of yourself
  3. That battle is over
  4. White underground
  5. Heaven
  6. Why this?
  7. Some days
  8. Sabbath
  9. Angels and anaemia
  10. Holy land

Gesamtspielzeit: 39:00 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
Lektorat
2018-10-15 08:56:27 Uhr
Genau zwei "Soulzitate".Bei That Battle is over
und Sabbath,wobei letzteres sich an achter Stelle
des Albums befindet.
Take care of yourself bedient sich eher beim RnB
8/10
2018-10-15 08:31:53 Uhr
Im Nachhinein etwas weniger zugänglich als
Blood Bitch.In der ersten Hälfte tatsächlich viele
Soulzitate,allerdings in der Ausführung meilenweit von Adele oder ähnlichem entfernt.
Gegen Ende wird's dann sehr ätherisch,was mir
persönlich besser gefällt.Zwar kein Meisterwerk
wie der bereits erwähnte Nachfolger,aber immer
noch sehr stark.

boneless

Postings: 5293

Registriert seit 13.05.2014

2015-06-27 17:06:25 Uhr
furchtbares cover.
reinhören werde ich wohl, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dass apocalypse, girl auch nur in die nähe des grandiosen meshes of voice driftet...
Arbeiter
2015-06-26 20:00:24 Uhr
Als Gedichtband wäre es nicht schlecht, aber das Beste, der wundervolle Gesang, würde einem entgehen.

Christopher

Plattentests.de-Mitarbeiter

Postings: 3576

Registriert seit 12.12.2013

2015-06-26 16:57:39 Uhr
Kritik nehme ich nicht persönlich.
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