Algiers - Algiers

Matador / Beggars / Indigo
VÖ: 29.05.2015
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Mit Leib und Seele
Die zahlreichen stimmlichen Überlegenheitsgesten des Vokal-Athleten Franklin James Fisher erschlagen beim Erstkontakt mit dem selbstbetitelten Debüt von Algiers regelrecht. Wie er "Algiers" seinen Stempel aufdrückt, ist auf ambitionierteste Weise verwegen. Auf den ersten Blick unternimmt das Trio den Versuch, einem randständigem Genre im Popkontext zu neuer Geltung zu verhelfen und diesem eine zeitgemäße Kante zu verleihen. Das Wörtchen "Gospel" verbietet eigentlich schon den Brückenschlag zum Heute, es sei denn, man denkt sich direkt in frohgestimmte US-Gotteshäuser. Dass "Algiers" eine Vielzahl an biblischen Querverweisen enthält und außerdem nicht mit sozialkritischer Message geizt, macht eines deutlich: Dieses Album ist groß angelegt, hier werden die richtig großen Themen angepackt. Wer allerdings einen solchen Sänger in seinen Reihen hat, dem bleibt nichts anderes übrig. Denn Fisher drückt hinein ins Überbordende und strotzt vor Drang und Hingabe.
Der Bandname ruft die anti-kolonialistische Bewegung im Algerien-Krieg von 1954 bis 1962 ins Gedächtnis und verweist damit exemplarisch auf das grundsätzlichere Thema der nach wie vor bestehenden Ungleichheit aufgrund der Ethnie. Aktuell bebildern die Unruhen in Ferguson Songs wie "Irony. Utility. Pretext" und hieven damit die seit Jahrhunderten bestehenden Konflikte ins Jahr 2015: "Find your favorite color / So you can wash it out / In your hymns / Correcting primitive cracks / Into straight lines / Superiority is born again." Unterdrückung von Schwarz und Überlegenheitsgefühle in Weiß führen zu rassistisch motivierter, regierungsgetragener Willkür.
Die stimmliche Macht wird spätestens mit diesem Track allgegenwärtig und sprengt endgültig alle Fesseln. In "Irony. Utility. Pretext" tritt den Fisher den Beweis kraftstrotzender Vokal-Akrobatik am Eindrücklichsten an. Darin schreit alles nach unkontrollierbarem Vulkanausbruch. Die TR-808 gibt die taktgebende Strenge an und der dämonische Chor bringt den Depeche-Mode-ähnlichen Synthie-Einsprengseln die aggressive Note bei. Und spätestens das geschriene wie hervorgepresste "Embrace primitive man" erklärt jeglichen gesangstechnischen Reglementierungen trotzig den Krieg.
Der Erstling der ursprünglich aus Atlanta, Georgia stammenden Band ist durchtränkt von der Tradition des Gospels, wobei sich der musikalische Unterbau aus Motiven der New-Wave-Ära, Industrial, Rhythm & Blues, gewaltigem Noise und Postpunk zusammensetzt. "Black eunuch" wird von einer Talking-Heads-ähnlichen Gitarre getragen. Das bereits 2012 als Single veröffentlichte "Blood" setzt in seiner Verweigerung eines Refrains ganz auf gespenstische Atmosphäre. "But she was not flying" wirkt zunächst, als entkomme das Stück erst dann den dissonanten Klängen eines Betonmischers, als ein anheimelndes Pianomotiv Fishers klare Stimme in Szene setzt. Sowieso verhelfen zahlreiche Tasteninstrumente wie Wurlitzer und Rhodes dem in den Londoner 4AD-Studios entstandenen Sound zu allumfassender Größe. Doch diese dreiviertelstündige, unmittelbare und dringliche Kritik an Religion, Geschichte und Politik wird erst durch Fishers Wort zum Appell.
Highlights
- Blood
- Irony. Utility. Pretext.
- But she was not flying
- Games
Tracklist
- Remains
- Claudette
- And when you fall
- Blood
- Old girl
- Irony. Utitlity. Pretext.
- But she was not flying
- Black eunuch
- Games
- In parallax
Gesamtspielzeit: 44:42 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Tully Postings: 24 Registriert seit 22.10.2015 |
2015-10-22 15:02:06 Uhr
Werde die mir in Frankfurt anschauen. Jemand schon mal live gesehen? |
Ja, |
2015-10-22 08:55:32 Uhr
die Daten standen schon länger fest. |
saihttam Postings: 2593 Registriert seit 15.06.2013 |
2015-10-22 02:24:31 Uhr
puh, ganz schön spontane Ankündigung. So wird's wohl schwer mit nem Konzertbesuch. Oder standen die Daten schon länger fest? |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28272 Registriert seit 08.01.2012 |
2015-10-21 11:25:11 Uhr
ALGIERS29.10.2015 München | Strom 30.10.2015 Frankfurt | Mousonturm 31.10.2015 Berlin | Badehaus Szimpla 01.11.2015 Hamburg | Molotow 02.11.2015 Köln | Gebäude 9 |
MartinS Plattentests.de-Mitarbeiter Postings: 1395 Registriert seit 31.10.2013 |
2015-08-19 17:41:04 Uhr
In der Tat, ganz großes Album. Allerdings muss man wirklich gerade Lust drauf haben, sonst ist die Chose schon recht anstrengend. |
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Referenzen
TV On The Radio; Saul Williams; Cold Specks; A Certain Ratio; Talking Heads; Gil Scott-Heron; Willis Earl Beal; Tricky; Suicide; O.Children; Joy Division; The Gun Club; The Birthday Party; Wire; Gang Of Four; Interpol; Bloc Party; Kele; Janelle Monáe; ESG; Company Flow; El-P; Dälek; Faust; Can; Shriekback; Liquid Liquid; Nisennenmondai; Material; The Golden Palominos; Sonny Sharrock; Prefuse 73; Public Enemy; James "Blood" Ulmer; The Heavy; Screamin' Jay Hawkins; Nina Simone; Soulsavers; Depeche Mode; The Invisible; Battles; Fugazi; MC5; HEALTH
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