Sun Kil Moon - Universal themes
Rough Trade / Beggars / Indigo
VÖ: 29.05.2015
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
Mark Kozelek: Suck my cock
Mark Kozelek ist ein unangenehmer Typ. Das darf man mittlerweile wohl ruhig so schreiben, auch ohne ihn persönlich zu kennen. Was sich lange als mal mehr, mal weniger holprige Gratwanderung zwischen Ernst und Spaß entschuldigen ließ, dürfte mitterweile als Tatsache durchgehen. Zwischen einem einseitig ausgetragenen Streit mit The War On Drugs, der in dem eher peinlichen Disstrack "War On Drugs: Suck my cock" gipfelte, und Beleidigungen an sein eigenes Publikum überschritt er die Grenze allein 2014 mehrmals. Der Höhepunkt fand schließlich Anfang Juni 2015 statt, als Kozelek auf einem Konzert eine Journalistin von der Bühne aus als "Bitch" bezeichnete, die es angeblich eh nur, gelinde gesagt, auf ein Schäferstündchen mit ihm angelegt habe. Dass genau zu diesem Zeitpunkt die ersten Kritiken zu Sun Kil Moons siebtem Studioalbum "Universal themes" fällig waren, schien ihn wenig zu stören. Das Problem liegt nun einzig und allein bei den Musikredaktionen, die vor der zugegebenerweise schwierigen Entscheidung stehen, ob sie Kozeleks Verhalten in die Kritik zu "Universal themes" einfließen lassen. Auch mir fällt das schwer. Als Frau, die nicht nur von Kozeleks sexistischem Verhalten angewidert ist, sondern auch von jenen Reaktionen, die das ganze als schlichten Gag verharmlosen wollen. Aber auch als Mensch, der von dieser Form der Arroganz und Selbstgefälligkeit das kalte Kotzen bekommt. Wie gesagt: Kozelek ist ein unangenehmer Typ, in gewisser Weise sicher ein Soziopath.
Dass "Universal themes", das gerade mal 15 Monate nach dem von der Kritik abgefeierten "Benji" erscheint, dennoch ein sehr gutes Album ist, welches in seiner durchaus innovativen Eigensinnigkeit fast von ebenso starker Variationsbreite zeugt wie Kozeleks Persönlichkeitsstörung, darf davon dennoch nicht beeinflusst werden. "Universal themes" ist, obwohl es von seinen Gedanken handelt, nicht Kozelek, nicht sein Auftreten, nicht sein oft schon lächerlich kindliches Getue. Stattdessen ist es ein ziemlicher Brocken, nicht selten auch ein Stück Arbeit. Acht Songs in gut 70 Minuten, der kürzeste dauert noch fast sieben – wer glaubt, ein Album vorgesetzt zu bekommen, das man mal nebenher hören kann, setzt auf das falsche Pferd. Spoken Word, Folk und Alternative Rock gehen Hand in Hand, während Kozeleks Kosmos kleiner denn je zuvor erscheint: Anders als der Vorgänger dreht sich der mittlerweile 48-Jährige hier um seine eigene Achse, anstatt die Geschichten dritter Personen zu erzählen.
Das kann auch fast schon absurde Züge annehmen. Der Opener "The possum" etwa berichtet zunächst von dem im Titel genannten Tier, das nach dem Kampf mit einer Katze stirbt, bevor es übergeht in eine Anekdote rund um das Konzert der Band Godflesh im April 2014, bei dem Kozelek mit Sänger Justin Broadrick abhing und die Show selbst später aber als "70 minute assault" bezeichnet – augenzwinkernd auch die Spielzeit seines eigenen neuen Werkes. Was wie ein zufälliges Erlebnis beginnt, gibt spätestens in der zweiten Hälfte, wenn die Geschwindigkeit gedrosselt wird, einen kleinen Einblick in das Innere dieses Mannes, der seit 26 Jahren ein Händchen für die subtilen Momente hat: "I want to grow old and to walk the last walk / Knowing that I, too, gave everything I got / But again it's all roadblocks and all obstacles I fought / For to live another day is much better than to not." Fast fühlt man ein bisschen mit Kozelek, der sich hier mit dem Possum zu vergleichen scheint. Nicht überliefert ist, ob das Tier die Katze vorher auch zum Oralverkehr aufgefordert hat. Die Gemeinsamkeiten sind sicher begrenzt.
Weniger wahllos ist die Geschichte hinter "Little rascals", in welchem Kozelek bildlich an jenem Haus vorbeifährt, in dem Robin Williams sich das Leben genommen hat. Er berichtet von einer früheren Begegnung, mit seiner damaligen Freundin, die tragischerweise ebenfalls zu früh verstorben ist. Die Schwere der Melancholie schwingt in jeder Zeile mit, er singt von Leuten, denen er begegnet ist, Orte, die er gesehen hat – Dinge, die man als Selbstverständlichkeit ansieht, seiner Freundin aber verwehrt blieben. Wenn der Mann aus Ohio zum Schluss singt "It was twelve years ago in San Francisco one night that I lost my friend / There ain't a day that goes by I don't pause and think about her / I'm getting older baby, but I try to count my blessings / It's a beautiful world", nimmt man ihm die letzte Zeile nur halb ab. Zu sehr scheint sie ein Mantra an ihn selbst zu sein, ein vertontes Motivationsposter, ein Satz, den er sich selbst sagen muss, um weitermachen zu können. Einen ähnlichen Eindruck macht die fast schon brutale Schrammeligkeit von "With a sort of grace I walked to the bathroom to cry", deren verzerrte Gitarren und krachendes Schlagzeug die Wut und Traurigkeit über die alleinerziehende Mutter namens Theresa, die an Lupus stirbt, bestens widerspiegeln. Kozelek versteckt sich hinter der rauhen Fassade, erst gegen Ende entdeckt er die sensible Seite wieder, für die er zuerst bei Red House Painters, dann bei Sun Kil Moon bekannt wurde.
So schwer Songs zu fassen sein mögen, die die Zehn-Minuten-Marke knacken, sind es ausgerechnet genau diese beiden auf "Universal themes", die am besten zu Sun Kil Moons bisherigem Output passen und auch weit nach Ende des Albums im Ohr bleiben. Der erste von beiden, "Garden of lavender", besticht nicht nur durch Kozeleks Gesang, der hier – zumindest in der ersten Hälfte – präsenter wirkt als auf den restlichen sieben Songs, sondern auch durch seine Erzählweise: Das zwiespältige Gefühl, von Kleinigkeiten gleichermaßen in der Konzentration gestört zu werden, aber auch in jenen winzigen Momenten oft die schönsten Dinge zu sehen, dürfte vielen bekannt sein. Der zweite Zehnminüter und gleichzeitige Abschluss "This is my first day and I'm Indian and I work at a gas station" ist das eindeutige Highlight des Albums, das sowohl scheinbar voneinander unabhängige Erlebnisse miteinander verknüpft, als auch Brücken zu Kozeleks eigenem Werk baut. Nicht nur, dass er eine Story aus "Birds of Flims" erneut aufgreift – er lässt "Universal themes" zudem, wie schon "Benji", lyrisch mit einem Konzert an der Seite von Ben Gibbard enden. Doch es sind folgende Zeilen, die besonders auffallen: "Some people love what I do, and some get fuckin' pissy / But I don't give a fuck, one day they're all gonna miss me." Ob er selbst wirklich so fehlen wird, ist fraglich. Seine Musik aber, und um die geht es schließlich, auf jeden Fall. Ohne jeden Zweifel.
Highlights
- The possum
- Garden of lavender
- This is my first day and I'm Indian and I work at a gas station
Tracklist
- The possum
- Birds of Flims
- With a sort of grace I walked to the bathroom to cry
- Cry me a river Williamsburg sleeve tattoo blues
- Little rascals
- Garden of lavender
- Ali / Spinks 2
- This is my first day and I'm Indian and I work at a gas station
Gesamtspielzeit: 70:24 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
Jan Qui |
2018-08-07 08:01:25 Uhr
Traurig. Da muss ich meinen Nick gleich mal von Achim. zu yanqui wechseln.(A.) |
yanqui Postings: 185 Registriert seit 13.07.2018 |
2018-08-06 21:39:56 Uhr
https://www.srf.ch/news/schweiz/ju-52-absturz-bei-flims-was-bisher-bekannt-ist-und-was-nichtDa bekommt der Gassenhauer "Birds oft Flims" gleich einen ganz andere Bedeutung :( |
Herder Postings: 1836 Registriert seit 13.06.2013 |
2015-06-28 12:29:25 Uhr
Packt mich dieses Mal nur mäßig. Vielleicht liegts auch daran, dass man das Album wirklich sehr konzentriert hören muss, nebenher lesen oder so geht eigentlich nicht. Für ein ausschließlich konzentriertes Hören ist es mir dann aber auch zu lang (und tendenziell zu eintönig). Vielleicht entwickelt "Universal Themes" sich aber doch noch, ein oder zwei Chancen werde ich dem Album noch einräumen. |
Demon Cleaner User und Moderator Postings: 5646 Registriert seit 15.05.2013 |
2015-06-25 13:41:20 Uhr
Die erste Seite des Zeit-Artikels ist ziemlich strange (außer das "April" richtig als Highlight erkannt wird), die zweite dagegen sehr treffend. |
Niklas |
2015-06-25 13:32:31 Uhr
http://www.zeit.de/kultur/musik/2015-06/sun-kil-moon-album-universal-themes |
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Referenzen
Mark Kozelek; Red House Painters; Damien Jurado; Elvis Perkins; Sufjan Stevens; Elliott Smith; Neil Young; Bob Dylan; M. Ward; Damien Rice; Andrew Bird; Mark Eitzel; Malcolm Middleton; Neil Halstead; Chris Brokaw; Jeff Buckley; Mark Lanegan; Owen; Okkervil River; Sophia; American Music Club; Kristin Hersh; The American Analog Set; Bonnie 'Prince' Billy; Art Of Fighting; Yo La Tengo; Simon & Garfunkel; Buffalo Tom; Cell; Idaho; Codeine; Low; Radar Bros.; Seam; Ida; Holopaw; Dirty Three; Great Lake Swimmers; Arab Strap; Mojave 3; Dakota Suite; Gravenhurst; Dirtmusic; Spain; R.E.M.
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