Balbina - Über das Grübeln
Four / Sony
VÖ: 24.04.2015
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Kill your darlings
Balbina liebt, es die Korrespondenzen von Schriftstellern zu durchstöbern, insbesondere jene mit deren Verlegern. Auch Ernest Hemingway taucht in ihren zahlreichen Interviews von Spiegel über Backspin bis Vogue Deutschland hin und wieder auf. Er imponiert Balbina besonders dadurch, dass er die Kunst des Schreibens eines hervorragenden Textes genau darin sieht, auch die Formulierungen, Phrasen und Sätze zu streichen, an deren Güte man selbst am meisten hängt.
Folgerichtig verfährt Balbina auf "Über das Grübeln" ebenfalls nach diesem "Kill your darlings"-Prinzip. Tatsächlich kann man der gebürtigen Polin das Tüfteln an ihren Texten nicht absprechen. Manches Mal fädelt sie die Vokale, Umlaute und Diphthonge wie auf einer Perlenschnur hintereinander auf. So ist in "Oropax" allein der Titel ein gutes Beispiel, doch auch die Frage nach den wachhaltenden Gedanken "Klopf, klopf / Läuft da wer in Clogs, Clogs / Über Cocopops in meinem Kopf rum?" zeigt ihre Liebe zur ausgefeilten deutschen Sprache. Auch "Nichtstun" beginnt mit einer Ode ans "O" und lässt Balbina scheinbar tadellos die Laute formen: "Ich zähl' die Polkadots auf meinem Glockenrock." Aber auch abseits von diesem, ihrem A und O, ist Balbina in der Lage, gelungene Zeilen zu verfassen. Etwa wenn sie in "Das Ist, die Zeit ist ein Egoist" gegen die Vergänglichkeit des Moments ansingt und weiß: "Der Augenblick ist ein Gerücht, das du verbreitet hast." Ihre Zeilen und Sprachbilder schmückt Balbina dabei mit einem Stimmunfang aus, der ganz tief ausschlägt wie zum Piano-Ballast in "Dicke Luft", aber auch hoch und spitz hinaus kann wie im "Blumentopf", der sich symbolisch ihren Kopf zerbricht.
Nicht nur Balbinas Liedsprache folgt einer disziplinierten Metrik. Auch ihre Designer-Outfits bei allen öffentlichen Auftritten folgen einer starren, strikten Ästhetik, die sich gekonnt auf matten Modestrecken drapieren lässt. Es gilt den Fehler zu vermeiden, dies als oberflächlich abzutun und sich lieber daran zu erfreuen, dass die 31-Jährige ihrer Kunst auf mehreren Ebenen Ausdruck verleihen möchte. Von Durchschnittlichkeit kann man bei Balbina nicht sprechen, und das ist es auch, was die Berlinerin in all den eingangs erwähnten, so verschiedenen Medien stattfinden lässt. Gleiches gilt für den Versuch einer Zusammenstellung der Künstler für die Referenz-Sektion unter dieser Rezension, wenn Balbina mal mit Pop, mal mit HipHop, mal mit Chanson liebäugelt.
Trotzdessen bleibt auf "Über das Grübeln" auch viel Luft nach oben. Die musikalische Ausgestaltung verliert sich in Marginalitäten. Wenn der vergessenswerte "Goldfisch" gluckernd und klimpernd eingeführt oder eine drohende Deadline mit Herztönen unterlegt wird, ist das kaum der Rede wert. Und auch bei allen zugestandenen Text- und Sprachideen Balbinas vergeht kaum ein Stück, in dem man sich nicht auch so richtig an einer Formulierung stößt. So steht sie "zwischen den Stühlen wie ein Tisch" und ist in "Hut ab!" so "schlecht wie Verschimmeltes". Das Duett mit Justus Jonas steht wohl exemplarisch wie kein anderes Stück für die Ambivalenz des Albums. Das chronische Zweifeln des Schaffenden ist ein interessantes Thema und der abgehackte, finale Zwiegesang gelungen umgesetzt: "Ich bin austauschbar wie Kleidung / Ich bin abhängig von Meinung." Beide Protagonisten können diese textliche Qualität zuvor aber leider nicht konstant halten. Ein paar Lieblinge könnten also noch über den Jordan gehen, um das stellenweise Mühelose auf "Über das Grübeln" noch dauerhafter in Pose zu bringen.
Highlights
- Nichtstun
- Dicke Luft
Tracklist
- Über
- Blumentopf
- Das Ist, die Zeit ist ein Egoist
- Oropax
- Nichtstun
- Goldfisch
- Hut ab! (mit Justus Jonas)
- Mir fällt nix ein
- Tisch (mit Maeckes)
- Kuckuck
- Wecker
- Langsam langsamer
- Dicke Luft
- Das Grübeln
Gesamtspielzeit: 45:45 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Michael Warer Magot Postings: 496 Registriert seit 13.06.2013 |
2017-02-26 18:12:35 Uhr
Ich bin ganz bei Dir, False Flac - klar polarisiert Balbina, aber relevant für Plattentests sollte sie definitv sein. Mein Favorit vom neuen Album ist "Das Kaputtgehen": www.youtube.com/watch?v=CUrwqov93r0 |
False Flac Postings: 149 Registriert seit 19.01.2017 |
2017-02-26 11:48:25 Uhr
Nagut, ich geb´s auf. Alles Banausen hier. |
Der Urheber |
2017-02-26 11:24:00 Uhr
Borcholte, wer sonst. |
The MACHINA of God User und Moderator Postings: 33912 Registriert seit 07.06.2013 |
2017-02-26 10:49:51 Uhr
Hab irgendwo was von wegen die deutsche Björk gelesen. Nach dem Reinhören möchte ich den Urheber dieses Vergleichs verklagen. |
Christopher Plattentests.de-Mitarbeiter Postings: 3754 Registriert seit 12.12.2013 |
2017-02-26 10:31:21 Uhr
Habs bis "Das hinterlässt nur Regenwolken über meinen Wangenknochen." geschafft. |
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Referenzen
Anna Depenbusch; Alexa Feser; Cassandra Steen; Miss Platnum; Celina Bostic; Lary; Chapeau Claque; Joy Denalane; Leela James; Floetry; Maeckes; Justus Jonas; Tua; Prinz Pi; Umse; Herr Von Grau; DCVDNS; Nina Hagen; Ina Müller; Barbara Schöneberger; Meret Becker; Hildegard Knef; Marlene Dietrich; Prag; Glashaus; Annett Louisan; Marla Blumenblatt; Betty Dittrich; Desiree Klaeukens; Dota; Mia.; Herbert Grönemeyer; Roger Cicero; Rosenstolz; Gleis 8; Dagobert; Lady Gaga; Norah Jones; Katie Melua; Melbeatz; Sookee; Blumfeld; Tocotronic
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