Carl Barât And The Jackals - Let it reign
Cooking Vinyl / Indigo
VÖ: 13.02.2015
Unsere Bewertung: 5/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Kurz vorm Ertrinken
Elf Jahre ist es etwa her, und doch kommt es einem viel länger vor. Heutzutage eigentlich auch eh kaum noch vorstellbar, wie es damals war. Als man jeden Tag mit einer Todesnachricht aus England rechnen musste und dann doch bei jeder eintreffenden traurigen Pressemitteilung irgendwie überrascht war, dass es nicht um Pete Doherty ging. The Libertines hatten 2004 ihr zweites und bis dato letztes Album veröffentlicht: Das selbstbetitelte "The Libertines" war weniger stürmisch und gewaltig als das zwei Jahre vorher erschienene Debüt "Up the bracket", enthielt mit "Can't stand me now", "Arbeit macht frei" oder natürlich auch "Music when the lights go out" aber echte Klassiker. Danach wurde es ruhig um die Band, Doherty versank im Drogensumpf und kurz darauf zwischen den Schenkeln von Kate Moss. Das brüderliche Verhältnis zwischen ihm und Carl Barât, diese enge, vertraute Freundschaft, in der so mancher Beobachter sogar mehr erkannt haben will, schien zu zerbrechen. Barât machte sich auf zu neuen Ufern, bereitete mit Dirty Pretty Things kurzweiliges Vergnügen und haute 2010 sein immerhin annehmbares Solodebüt raus. Und doch wartete man als eingefleischter Fan einfach weiter.
Natürlich nicht auf die Todesnachricht von Doherty, nein – auf die Ankündigung einer anständigen Libertines-Rückkehr inklusive neuen Materials. Und siehe da: Die Warterei sollte sich auszahlen. Bevor es aber tatsächlich so weit ist und sich das Quartett mit einem neuen Album um alte Fans bemüht, will es Barât doch noch mal wissen. Angestachelt von den medizinischen Erfolgen seines Busenkumpels will er mittels Therapie seine jahrelangen Depressionen bekämpfen, und die Songs auf dem mit The Jackals aufgenommenen Werk "Let it reign" strotzen durchaus vor Euphorie und vorwärtsgerichteten Posen. Posen? Richtig. So ganz abnehmen kann man dem mittlerweile 36-jährigen Familienvater die auf alles rotzende Attitüde nicht mehr, und obgleich es auf seinem Zweitling hier und da äußerst schöne Melodien gibt – der polternde Gassenhauer "We want more" ist nur eine davon, dafür aber eine der besten –, bleibt der Großteil eher lauwarmer Einheitsbrei, anstatt wirklich heißer Scheiß zu sein.
Dabei startet "Let it reign" mit dem hervorragenden "Glory days" vielversprechend, was auch, aber nicht nur an der starken Ähnlichkeit zu alten Größen wie The Clash liegen könnte. Barât wirkt hier übermächtig, kontrollierend, aber nicht kontrolliert und schafft genau das in der nächsten knappen halben Stunde leider nur noch selten. Schon das darauffolgende "Victory gin" kommt direkt aus dem Stadionrock-für-Anfänger-Handbuch, und wenn Barât laut und aufmüpfig immer wieder "We are not afraid of anyone" ruft, hat das weniger etwas von mobilisierendem Kampfschrei, sondern klingt vielmehr nach einem selbstauferlegten Mantra. Zwischendurch blitzen sie aber doch auf, die kleinen Lichtblicke des Albums, in denen Barât nicht wie eine elf Jahre älter gewordene Kopie seiner selbst wirkt. Im stürmischen "The gears" etwa, das vor dem Verschwenden der Jugend warnt und nebenher in den Krieg zieht, oder im bereits erwähnten "We want more", das power-poppig und basslastig für gute Laune sorgt. Ungleich schwerer kommt da "A storm is coming" daher, das nicht nur im Titel dicke, graue Wolken hinter sich herzuziehen scheint, bis es zum Schluss mit "Let it rain" gleich literweise runterkübelt, als würde im nächsten Moment die Welt untergehen. Schnappt Euch ein Boot! Das nächste Album von The Libertines kommt bestimmt. Und bis dahin ist hoffentlich auch Carl Barât wieder voll und ganz an Bord.
Highlights
- Glory days
- We want more
- The gears
Tracklist
- Glory days
- Victory gin
- Summer in the trenches
- A storm is coming
- Beginning to see
- March of the idle
- We want more
- War of the roses
- The gears
- Let it rain
Gesamtspielzeit: 35:36 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Rumhorster Postings: 323 Registriert seit 04.03.2014 |
2015-02-20 20:45:23 Uhr
Ich hatte, was die neue Libs angeht, erst die gleichen Befürchtungen. Nachdem ich ein paar Snippets der neuen Songs vor ein paar Monaten in London gehört hab, bin ich wesentlich optimistischer. Das klang überraschend richtig, richtig gut. Mit dem richtigen Produzenten kann das was werden. |
Rote Arme Fraktion Postings: 4312 Registriert seit 13.06.2013 |
2015-02-20 19:54:46 Uhr
Die letzte Babyshambles fand ich klasse. Fand auch Casablancas & the Voidz super. Geht das hier auch so in die Richtung? |
Desare Nezitic Postings: 5406 Registriert seit 13.06.2013 |
2015-02-20 19:23:18 Uhr
Schließe mich Rumhorster an. Glatt klingend und langweilig. Nachdem die letzte Babyshambles ebenfalls öde war, wird das Libertines-Comeback ähnlich werden. Schade. |
james_paul Postings: 32 Registriert seit 04.12.2013 |
2015-02-20 19:20:15 Uhr
Bin bei Achim 7/10 |
Achim Postings: 6286 Registriert seit 13.06.2013 |
2015-02-19 19:45:15 Uhr
Schon klar, aber wenn eine Punk-Platte so produziert ist, wie ein Billboard-Pop Albumzutreffende beobachtung. genau das macht das album in meinen augen so reizvoll. sehe ich zur zeit in etwa bei 7/10. Achim. |
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Referenzen
The Libertines; Dirty Pretty Things; Babyshambles; Peter Doherty; The Jam; The Kinks; The Rakes; The Clash; The Rifles; Dogs; Buzzcocks; The Films; Supergrass; Wolfman; The Small Faces; The Cribs; The Coral; Gang Of Four; Black Lipstick; Arctic Monkeys; The View; The Kooks; The Fall; Jellyfish; The Rascals; The Dead 60s; The Zutons; The Stone Roses; Suede; The Stoogies; Iggy Pop; The Dandy Warhols; The Ramones; The Vines; The Blondes
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