Blaudzun - Promises of no man's land

Glitterhouse / Indigo
VÖ: 07.03.2014
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10

Alter Verwalter
Nackt im Wind? Männlein oder Weiblein? Nur zwei der Assoziationen, die sich beim Artwork des vierten Blaudzun-Albums aufdrängen. Indie-Mädchen oder auch -Jungs mit einer (un)heimlichen Vorliebe für latent androgyne Sänger wie Scott Matthew, Devendra Banhart oder Chris Garneau müssen aber gar nicht erst kreischen: Das Cover von "Promises of no man's land" zeigt lediglich die tschechische Kunstfotografie eines namenlosen Jünglings aus den späten Siebzigern. Johannes Sigmond alias Blaudzun, der Niederländer, der sich den Namen eines dänischen Radfahrers als Pseudonym auslieh, ist hingegen bereits 40, verfügt über eine gewisse Körperfülle, trägt Vollbart und eine Nerd-Brille. Aus der Traum – wenigstens der vom nächsten Sexsymbol. Doch halb so schlimm. Im Vordergrund stehen sollte ohnehin, dass Sigmond äußerst traumhafte Musik produziert.
Es ist fast ein Treppenwitz, dass der großspurig betitelte Opener "Euphoria" leicht beduselt zu schüchtern gezupftem Basslauf und verhaltenem Vocal-Mantra dahertapst und so tut, als wolle er auf ein Sammelsurium intimer Folk-Miniaturen einstimmen. Falsch gedacht. Bereits das Intro des Titelstücks stellt mit majestätischem Keyboard-Crescendo klar, dass dieses Album vor allem eines werden wird: groß. Denn im Nu schwillt "Promises of no man's land" mit mächtigem Gitarrenstakkato, stramm marschierendem Rhythmus und herzzerreißenden Harmonien zu so eindrucksvollem Breitwand-Pop an, dass man beinahe gewillt ist, das vom trostlosen Alltag fernöstlicher Prostituierter erzählende Video zu verdrängen. Und auch dass Sigmond darin freudig in die Tasten haut, macht das deprimierende Szenario kaum erträglicher.
Da hilft nur noch dieser feiste Batzen himmelsstürmender Songs, die vor verschwenderischen Gesangslinien, vollmundigem Streicher-Overkill, Gitarren in Technicolor und jauchzenden Keyboards aus allen Nähten platzen. Sigmonds Vorteil: Weil er den Unterschied zwischen anrührender Melodramatik und verstiegenem Pathos kennt, bleibt er immer auf der sicheren Seite. Hat es nicht nötig, das großartige, "We are the people" beleihende "Too many hopes for July" wie Empire Of The Sun mit flüssigem Schokokuss-Zuckerzeug zuzukleistern und gönnt sich gegen Ende doch eine prachtvolle Coda aus Synthies und Geigen, bei der auch der stärkste Mann heulen muss wie ein Schlosshund. Ganz zu schweigen vom ebenso wunderbaren "Hollow people", durch das die gleiche orchestrale Erhabenheit weht. Ein bisschen höher geht schließlich immer.
Zwar muss ein Name in diesem Zusammenhang fallen – doch wie sollte die Tatsache, dass Sigmond hier mehr als einmal zu den renommierten Kollegen von Arcade Fire hinüberschielt, die Qualität dieses Albums schmälern? Die "Streets of Babylon" könnten auch in "The suburbs" liegen, während das massiv paukende "Halcyon" ein paar "No cars go"-Gedächtnisbläser auffährt. Und wer weiß: Vielleicht nehmen Win Butler und Régine Chassagne sogar wohlwollend zur Kenntnis, dass da gerade jemand ihr vorläufiges Erbe mehr als würdig verwaltet. Beim nicht nur im Titel an "Cold wind" aus dem "Six feet under"-Soundtrack erinnernden "Any cold wind (Sweet Selene)" hört man Sigmond beinahe fremdreferenziell grinsen – womöglich hat ihm der Wind ein Lied erzählt? Wenn ja, kann es kaum schöner gewesen sein als "Promises of no man's land".
Highlights
- Promises of no man's land
- Too many hopes for July
- Hollow people
- Halcyon
Tracklist
- Euphoria
- Promises of no man's land
- Too many hopes for July
- Hollow people
- Kids around (Hollow people revisited)
- Wasteland
- Any cold wind (Sweet Selene)
- Streets of Babylon
- Halcyon
- Ocean floor (From all the stars)
- Wingbeat
Gesamtspielzeit: 42:23 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Mr Oh so Postings: 3284 Registriert seit 13.06.2013 |
2015-01-15 21:10:44 Uhr
Das stimmt schon irgendwie. Live mochte ich ihn auch. |
Demon Cleaner User und Moderator Postings: 5646 Registriert seit 15.05.2013 |
2015-01-15 20:48:11 Uhr
Hab den Titeltrack heute das erste Mal gehört. Offensichtlicher hat sich bisher noch keiner bei Arcade Fire bedient. |
musie Postings: 4063 Registriert seit 14.06.2013 |
2015-01-07 08:06:52 Uhr
mehrmals gesehen live 2014, eine richtig gute live band ist das! promises of no man's land ist mir eine spur zu pessimistisch, aber schon klar, nach zu viel euphoria kommt der zusammenbruch. bin sehr gespannt auf die entwicklung der band und auf das nächste album. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28471 Registriert seit 08.01.2012 |
2015-01-06 20:36:30 Uhr
Frisch rezensiert. Als "Vergessene Perle 2014".Meinungen? |
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Referenzen
Arcade Fire; Fanfarlo; My Heart Belongs To Cecilia Winter; Get Well Soon; Bodies Of Water; Broken Records; Eagle Seagull; Hey Sholay; Choir Of Young Believers; Next Stop: Horizon; The OohLas; We Invented Paris; Revere; Alcoholic Faith Mission; Lonski & Classen; Einar Stray Orchestra; My Latest Novel; The Besnard Lakes; Dead Man's Bones; Isbells; Musée Mécanique; Honig; Dark Dark Dark; Someone Still Loves You Boris Yeltsin; Empire Of The Sun; Freelance Whales; Marching Band; The Leisure Society; Port O'Brien; Shearwater; The Decemberists; The Dears; The Helio Sequence; Stars; Headlights; Hospitality; Bright Eyes; Ryan Adams; Broken Social Scene; Apostle Of Hustle; K. C. Accidental; The Most Serene Republic; Papercuts; Stornoway; The Reindeer Section; Andrew Bird; Owen Pallett; Patrick Wolf; The Irrepressibles; Rufus Wainwright; Guillemots; Fyfe Dangerfield; Porcelain Raft; Beirut; Damien Jurado; Distance, Light & Sky; Villagers; Admiral Fallow; The Head And The Heart
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