Lewis Baloue - Romantic times
Light In The Attic / Cargo
VÖ: 05.09.2014
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
Gefühlsecht
Es ist eine Geschichte, über die man eigentlich einen Film drehen müsste: 1983 und 1985 nimmt der Kanadier Randall A. Wulff unter dem Künstlernamen Lewis Baloue zwei Synthie-Pop-Alben auf, für die sich drei Jahrzehnte lang kein Schwein interessiert. Dann fand ein Vinylsammler die erste der beiden Scheiben – in Anbetracht ihrer lieblichen Zuckrigkeit passenderweise "L'amour" benannt – auf einem Flohmarkt, das Mini-Label Light In The Attic wurde darauf aufmerksam und veröffentlichte das Album zum ersten Mal auf CD. Fieberhaft suchte man nach dem Interpreten, der angeblich längst gestorben sei, bis zwei Monate später plötzlich ein zweites Album namens "Romantic times" auf eBay angeboten wurde. Die Skeptiker vom Dienst waren sich fortan sicher, dass es sich um einen PR-Gag handeln würde, bis sich im August 2014 tatsächlich niemand Geringeres als Wulff selbst zu Wort meldete, der keinerlei Interesse am plötzlichen Ruhm hatte. Light In The Attic kündigte daraufhin an, die Produktion von "L'amour" und "Romantic times" einzustellen, sobald die Neuauflage verkauft wurde. Da hatte der Hype um diesen seltsamen Künstler mit den schicken Schwarzweißfotos schon längst begonnen. Eine kuriose Geschichte? Definitiv.
Im Endeffekt ist es auch vollkommen egal, ob es sich dabei wirklich um die Wahrheit oder um einen in irgendwelchen Hinterzimmern ausgeklügelten Marketingstreich handelt. War "L'amour" schon eine Ansammlung gleichermaßen gefühlvoller wie beinahe erdrückend kitschiger Liebesperlen, ist "Romantic times" sogar noch eine Steigerung davon: An Cheesiness kaum zu überbieten, ist es derart faszinierend wie obskur, dass man sich gar nicht entscheiden kann, ob man das nun wirklich wahrhaben will. Das ist alles andere als Easy Listening, was Baloue da in einer knappen halben Stunde vor sich hinsäuselt, und doch mag man auch nicht ganz davon ablassen: "Romantic times" wird mit jedem Hördurchgang besser, aber nicht unbedingt romantischer. Fraglich, ob sich liebestrunkene Paare wirklich zu dieser Musik in die Laken begeben, wenngleich das sehnsüchtige Stöhnen und Hauchen im zuckerwattigen "Don't stop it now" genau das bewirken will.
Dass Baloue das Album in der Horizontalen aufgenommen haben muss, lässt auch der Opener "We danced all night" vermuten, ein Stück, vor dessen Klangkulisse man sich die Liebespaare aller großen Hollywood-Klassiker der letzten 60 Jahre vorstellen kann, sexy Saxophon-Sounds inklusive. Natürlich schmunzelt man da mehr als nur einmal, und so ganz abschütteln lässt sich der Gedanke an einen gut gelungenen Scherz auch nicht. Erst recht, wenn ein genoppter Charmebolzen mit Erdbeer-Aroma wie "So be in love with me" den Hörer mit Plüsch-Handschellen ans Bett kettet und eine ganze Lkw-Ladung Rosenblätter auf den Kissen verstreut. Spätestens in der darauffolgenden Stöhn-Session von "Bringing you a rose" dürfte das Gelächter nebst Schamesröte nicht mehr fern sein, und mit "It's a new day" gibt es dann sogar den einen Hit, den man sich irgendwie auch im Radio vorstellen kann. Verstörende Schlafzimmermusik hin oder her, Wahrheit oder Fiktion – "Romantic times" ist ein halbstündiges Vergnügen, das viel zu lange auf sich warten lassen ließ – und dann im genau richtigen Moment gekommen ist.
Highlights
- It's a new day
Tracklist
- We danced all night
- Bon voyage
- Don't stop it now
- It's a new day
- So be in love with me
- Bringing you a rose
- Where did my love go away
- As the boats go by
Gesamtspielzeit: 32:53 min.
Referenzen
Arthur Russell; Zachary Cale; Ian William Craig; Koen Holtkamp; Alexander Turnquist; Mark McGuire; Serge Gainsbourg; Liberace; Frankie Valli; Donnie & Joe Emerson; Nick Nicely; Neil Diamond; The Mike Flowers Pops; PJ Proby; Dion; Momus; Simon Bookish; The Magnetic Fields; Stephin Merritt; Future Bible Heroes; Emil Fitger; Chilly Gonzales; Mocky; Namosh; Moonface; Money Mark; Lalo Schifrin; Woo; Ariel Pink; Amen Dunes; Antony & The Johnsons; Baby Dee; Rufus Wainwright; Andrew Bird; Scott Walker; The Walker Brothers; Parenthetical Girls; Final Fantasy; Owen Pallett; Get Well Soon; Michael Nyman; Patrick Wolf; Patrick Watson; Scott Matthew; Duke Special; Ed Harcourt; Chris Garneau; Bon Iver; Devotchka; Beirut; Lambchop; Brian Eno; Bryan Ferry; David Sylvian; The Divine Comedy; Marc Almond; Kate Bush; Nico