Adrian Crowley - Some blue morning

Chemikal Underground / Rough Trade
VÖ: 14.11.2014
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10

Das Grunzen im Walde
Es ist immer wieder schön zu beobachten, wie das Cover einer Platte deren Inhalt abbildet oder ergänzt – und nicht bloß ein gerade greifbares Motiv hergehalten hat. So dürfte Leonard Cohens Cover zu "Popular problems" zu den hässlichsten und in der Herstellung mutmaßlich günstigsten des Jahres 2014 zählen. Der auf Malta geborene Adrian Crowley könnte dagegen kaum besser in Szene gesetzt sein als auf "Some blue morning". Im Hintergrund des dunklen Grundtons wartet das neblig-verschwommene Unbekannte. Davor: Crowley an einer Backsteinwand. Ein seitliches Portrait des längst in Dublin beheimateten Singer-Songwriters, mit abgetragenem Hut, lediglich seine Gesichtspartie von Augen bis zum Mund sind klar erkennbar.
Noch ehe Crowley von den Augen eines Fremden erzählt oder von Rufen der Elster, gibt der Titeltrack Crowleys Blick auf dem Cover ein Ziel und beiläufig eine mehr als charakteristische Einleitung in das Album. Zu choralem, leicht gespenstischem Hall, Katie Kims gehauchter Begleitstimme und sich wiegenden Streicherklängen singt Crowley von Händen auf seinen Augen, von der Sonne am Horizont, vom Schritt in das Glühen: "Where once were tears there shall be rapture / Where once were splinters hope shall rise." Dieser cineastische Einstieg findet sein Sequel in "The hungry grass". Erneut arrangiert von Crowley, dem Teilzeit-Poeten, Sagen-Stricker und Off-Erzähler. Mit seiner ruhigen, tiefen Stimme, die Worte nachklingen lässt, scheint es, als betreibe er Konversation mit seiner Gitarre und seinen Texten.
Das gipfelt im Spoken-Word-Track "The wild boar", der wohl besten Nummer dieser Platte. Crowley erspinnt eine Geschichte, die beinahe einem Hörspiel gleicht und fürs Lagerfeuer schon zu schade ist. Er erzählt von der Fahrt über einen bis dato unbekannten Seitenweg, entlang Meilen von Pinien, bis es zur Kollission mit einem Wildschwein kommt. Dort, wo über 50 Jahre kein solches Tier mehr gesehen wurde. "He felt like a hunter for the first time in his life", gibt Crowley dem Atem im Dunkel eine Gedankenblase. Der Mann legt das mutmaßlich tote Wildschwein auf seinen Rücksitz, fährt weiter, stoppt irgendwann an einem Laden, steigt aus, geht rein und findet bei seiner Rückkehr das Auto völlig zerstört vor: "The wild boar is gone." Crowley macht diese Geschichte erlebbar, durch detailgetreue Bilder, für die in Drei-Minuten-Songs oft keine Zeit ist. Man wähnt sich im Kopf des Fahrers, der den Alltag ausgeschaltet hat, und sieht diese Mixtur aus Gedankenverlorenheit und Mystik in der akustischen Untermalung treffend widergespiegelt.
Wer dem grummeligen Stil eines Leonard Cohen gerne zuhört und nicht zuletzt Nick Cave, den Crowley auch zu seinen Fans zählen darf, wird sicherlich seine Freude haben an Crooner Crowleys siebtem Album "Some blue morning". Und angenommen, man kreuzt Lee Hazlewood, Nancy Sinatra, Jane Birkin und Serge Gainsbourg, dann dürfte "Golden palominos" nur einen Kirschkernspucker entfernt sein, auch wenn Crowleys Duett mit Katie Kim musikalisch leicht frankophile Tendenzen aufweist. Celli begleiten den Iren, ein überwiegend unscheinbares Schlagzeug, Oboen, Klarinetten, Harmonium und eine Vielzahl weiterer Instrumente, damit die feinmaschigen Arrangements allzu gängigen Folk schon im Keim übertölpeln. Der blaue Morgen kann uns mal – gerne besuchen.
Highlights
- Some blue morning
- The stranger
- The wild boar
- Golden palominos
Tracklist
- Some blue morning
- The hungry grass
- The magpie song
- The stranger
- Trouble
- The gift
- The angel
- Follow if you must
- The wild boar
- The hatchet song
- Golden palominos
Gesamtspielzeit: 46:51 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Stephan Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 997 Registriert seit 11.06.2013 |
2014-12-07 14:04:20 Uhr
Schön, dass Sehr schön die Platte auch zusagt :-)Und @Jahrespoll: Ja |
Jahrespoll |
2014-12-04 10:52:32 Uhr
Taucht das Ding noch im Jahrespoll auf? |
Sehr schön |
2014-12-04 10:51:25 Uhr
Eine der für mich wunderbarsten Platten des Jahres. Erinnert mich stark an Bill Callahan. |
tired |
2014-12-02 02:03:24 Uhr
*gäähn* |
Stephan Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 997 Registriert seit 11.06.2013 |
2014-12-01 19:51:42 Uhr
@Mr Oh so: Ging mir etwas anders. Habe drei, vier Anläufe gebraucht, bis sich das für mich entfaltet hat. |
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Referenzen
Leonard Cohen; Serge Gainsbourg; Nick Cave; Lee Hazlewood; Richard Hawley; Lou Reed; Bill Callahan; James Yorkston; Steve Smyth; Adem; Bonnie 'Prince' Billie; Sophie Zelmani; Sean Rowe; Scott Walker; Nick Drake; Tom Waits; Neil Halstead; Alasdair Roberts; Grand Archives; King Creosote; Ola Podrida; Laura Gibson; Peasant; Katie Kim; Ryan Adams; Prince Of Assyria; JBM; Loch Lomond
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