Die Zimmermänner - Ein Hund namens Arbeit
Tapete / Indigo
VÖ: 24.10.2014
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 10/10
Dandymans Fluch
"Du musst Zimmermann werden!" forderte Singer-Songwriter Georg Zimmermann 2011 auf seinem tollen Debüt. 1980 war jedoch schon jemand auf diese Idee gekommen: Zwar bezogen sich die Zimmermänner Detlef Diederichsen und Timo Blunck nicht auf den bürgerlichen Namen Bob Dylans, sondern auf den damaligen Moderator von "Aktenzeichen XY ... ungelöst", was aber trefflich mit ihrem gewitzten Vielerlei aus Dada-Wave und funky Brit-Gitarren korrespondierte. Die Alben hießen "1001 Wege Sex zu machen, ohne Spaß daran zu haben", die Songs "Erwin, das tanzende Messer", "Liebe ist wie eine heiße Kartoffel" oder "Ich werde in der Sonne immer dicker". Eine charmant sinnfreie Ursuppe des Diskurs-Pop – da kam seinerzeit allenfalls die legendäre Tanztee-Saalschlacht "Die neue Kollektion" von Mythen In Tüten aus Hannover mit.
Legendär auch, dass es Die Zimmermänner bis heute gibt, obwohl Diederichsen sich einen Namen als renommierter Kulturjournalist gemacht hat und der spätere Palais-Schaumburg-Bassist Blunck hauptberuflich Werbespots vertont. Und wie auf seinem 2007er Comeback "Fortpflanzungssupermarkt" hat das Duo nichts verlernt. Weder die scheinzahmen, zuweilen fast scheißfreundlichen Lalala-Songs noch die aberwitzig-umnachteten Textpamphlete. Die Müllkippe, auf die das Hamburger Duo seit 30 Jahren Neue Deutsche Welle, New Romantic und die einheimische Schule verfrachtet, duftet nach Wunderbaum Piña Colada, und das Tagewerk im Titel ist nur eine der "Nöte des feinen Mannes", die "Ein Hund namens Arbeit" verhandelt. Oder um es mit Oscar Wilde zu sagen: Das Dandytum ist der Beweis für die absolute Modernität der Schönheit.
Freilich geht all das nicht ohne gepflegtes Leiden ab, das die beiden aber sogleich mit samtigem Gesang, viel Uhuhuh und siruptriefender Anarchie relativieren. Wie Blunck zu absurd französelnden Gaga-Reimen und milder Fuzz-Gitarre die verflossene "Yvonne" besingt oder sich im nach ihm benannten Stück selbst zu Grabe trägt, ist so grenzdebil wie rührend – und stilistisch gar nicht weit von seiner kurzlebigen Hochglanz-Popband Grace Kairos aus den Achtzigern entfernt. Bluncks Schwester Rica säuselt sich danach lieblich durch den Stalker-Calypso "Ich habe sie gegoogelt, Dr. Dobitz", während "Die große Sporadische" Spillers "Groovejet" und The Smiths gemeinsam durch die Gummizelle titschen lässt – zum vielleicht unverschämtesten Hit, den Die Zimmermänner je aufgenommen haben. Macht sprachlos. In jedem nur erdenklichen Sinne.
Der Fluch dieser guten Taten liegt natürlich darin, dass ein paar Songs angesichts solcher Volltreffer qualitativ abfallen. Dennoch bleibt "Ein Hund namens Arbeit" ein Genuss – auch wenn "Wir wollen keinen Ärger in dieser Stadt" oder "Wenn mein Mann das erfährt" eher durch die hämische Parodie von Gentrifizierung und Kleinbürgertum überzeugen als musikalisch. "Die Entdeckung Neuseelands" macht kurz vor Schluss ein weiteres Fass auf: Heraus quillen Ragga-Getoaste, entleibte Dancehall-Beatboxen und schräge Liebesschwüre von der Metzgertheke. Jacques Palmingers Kings Of Dubrock gucken entsetzt, Blunck und Diederichsen grinsen über beide Ohren. Und was das Plattentests.de-Forum auch immer mit dem Stück "Ich bin jetzt schwul" anstellen wird – penetranter als dieses Album kann es gar nicht sein. Besser sowieso nicht.
Highlights
- Yvonne
- Ich habe Sie gegoogelt, Dr. Dobitz
- Die große Sporadische
- Die Erforschung Neuseelands
Tracklist
- Nöte des feinen Mannes
- Yvonne
- Ich habe Sie gegoogelt, Dr. Dobitz
- Es gibt Dich nicht
- Die große Sporadische
- Timo Blunck
- Wenn mein Mann das erfährt
- Die scharfe Dr. Schulz
- Wir wollen keinen Ärger in dieser Stadt
- Die Erforschung Neuseelands
- Ich bin jetzt schwul
- Der Weg zu mir
Gesamtspielzeit: 44:13 min.
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2014-11-21 09:09:12 Uhr
Weltstadt mit Charakter! |
Paderborner |
2014-11-21 00:08:24 Uhr
PS ich bin jetzt Bundesliga |
rollator Postings: 662 Registriert seit 14.06.2013 |
2014-11-18 23:37:50 Uhr
Ja, gefällt außerordentlich. Schön, das die Zimmermänner auch hier Gehör finden. Das komplette Frühwerk der 80er Jahre gibt's ja neuerdings auch auf der 5 CD Box "die Wäscheleinen waren lang" neben viel Bonus nachzuhören. Lohnt sich auch. |
Jennifer Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 4712 Registriert seit 14.05.2013 |
2014-11-18 21:13:59 Uhr
Frisch rezensiert. Meinungen? |
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Referenzen
Mythen In Tüten; Palais Schaumburg; Holger Hiller; Foyer Des Arts; Max Goldt; Andreas Dorau; Der Plan; Pyrolator; The Wirtschaftswunder; The Flying Klassenfeind; The Tanzdiele; Die Türen; Der Mann; Dirty Dishes; Tocotronic; F.S.K.; Bum Khun Cha Youth; Kiesgroup; Anajo; Die Antwort; Bernd Begemann; Götz Alsmann; Roger Cicero; Paul Kuhn; Max Raabe; Blumfeld; Jochen Distelmeyer; Die Sterne; Jens Friebe; Erdmöbel; Die Charts; Knarf Rellöm; Die Goldenen Zitronen; Die Ärzte; Die Aeronauten; Guz; Hans Unstern; Flowerpornoes; Tom Liwa; Ja, Panik; Kolkhorst; Georg Zimmermann; Das Neue Brot; JaKönigJa; Richard Cheese; The Mike Flowers Pops; The Monochrome Set; XTC; Haircut 100; Orange Juice; Edwyn Collins; Prefab Sprout; Aztec Camera; Scritti Politti; Dexys; The Style Council; ABC; Lewis Baloue; Annett Louisan; Die Lassie Singers; Die Moulinettes; Die Heiterkeit; Fähnlein Fieselschweif; The Kings Of Dubrock; Der Moderne Man; Erste Weibliche Fleischergesellin Nach 1945; Nachdenkliche Wehrpflichtige; Grace Kairos; The Jeremy Days
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