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Antilopen Gang - Aversion

Antilopen Gang- Aversion

JKP / Warner
VÖ: 07.11.2014

Unsere Bewertung: 6/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Schlandesverräter

Der Freitod von NMZS hinterließ eine große Lücke. In der deutschsprachigen Raplandschaft. In seiner Crew, der Antilopen Gang. Im Leben seiner Familie und Freunde. Jeder, der schon einmal mit dem Selbstmord nahestehender Personen konfrontiert wurde, weiß, wie unverdaulich die Mischung aus Lähmung, Trauer und Wut ist, die sich bei Hinterbliebenen breitmacht. Sich fallenzulassen und ob der Unverständlichkeit des Geschehenen in Depression zu verfallen, ist naheliegend. Und gefährlich. Derlei emotionale Ausnahmezustände zu verarbeiten, ist eine Prüfung, die kaum allein bewältigt werden kann. Für die verbliebenen drei Mitglieder der Antilopen Gang stellte sich nur eine Frage: Aufhören oder weitermachen? Die Antwort auf diese Frage ist exakt 56 Minuten und 45 Sekunden lang und hört auf den Namen "Aversion".

Koljah, Danger Dan und Panik Panzer beschreiten mit "Aversion" neue Wege: Bisher folgte die Gang dem hehren DIY-Prinzip, Platten wurden selbst produziert, beworben und kostenlos unters Volk gebracht. Mit dem gewachsenen Ruhm überstieg der Aufwand bei den Rappern jedoch das Leistbare, sodass sie sich mit dem traditionsreichen Düsseldorfer Label JKP zusammentaten. Und ja, "Aversion" kostet Geld. Sellout? Mit Schwung! Sich treu geblieben sind die Mittzwanziger trotzdem: Auch auf ihrem Bezahldebüt präsentieren sie ihre eigentümliche Mixtur aus politisch motivierten Texten, schrägem Humor und eingängigen Arrangements. Wer krassen Gangstershit mag, wird hier also nicht glücklich werden.

Fragwürdig ist, weswegen die Band ausgerechnet "Der goldene Presslufthammer" zur ersten Auskopplung erkoren hat. Der monotone und uninspirierte Track bildet weder textlich noch musikalisch das ab, wozu die Gruppe fähig ist. Besonders die thematische Vielfalt der Texte sorgt nämlich dafür, dass auf Albenlänge nur selten Langeweile aufkommt. Besonders gelungen sind hierbei jene Stücke, die Beobachtungen gesellschaftlicher Zustände humorvoll transportieren. "Ikearegal" thematisiert etwa das allumfassende Spießertum, das sich nach außen hin alternativ und weltgewandt zeigt, im Inneren aber genauso verdorben und abgestumpft ist wie seine bürgerlichen Vorläufer. Auch die Liebe funktioniert in Zeiten der totalen Optimierungswut nur noch bedingt, was "Verliebt" charmant anhand einiger Szenen aus dem Nichtleben zeigt.

Der Proll und seine Schergen kriegen ebenso ihr Fett weg. "Ibiza" beginnt harmlos und sommerlich, bevor es gegen Ende zu einem Hardstyle-Massaker transformiert wird, Jan-Delay-Diss inklusive. Die linke Haltung der Band ist in beinahe jedem Text auszumachen, und auch wenn der Zeigefinger manchmal etwas zu sehr vor den Augen kreist, trifft die Antilopen Gang immer wieder Köpfe mit Nägeln. "Beate Zschäpe hört U2" nimmt perfekt jene verkommene Melange aus verkapptem Antisemitismus, stammtischtauglichen Verschwörungstheorien und nationalistischer Affirmation, die in deutschen Landen grassiert, ins Visier: "Und aus dem Jenseits lacht Jürgen Möllemann / Der Holger Apfel fällt nicht weit vom Stamm / Und Max Mustermann zündet ein Flüchtlingsheim an / Deutschland, Deutschland, du tüchtiges Land!" Der Schuss sitzt.

Musikalisch gibt es wenig zu meckern. Zwar sind nicht alle Tracks produktions- und soundtechnisch auf der Höhe der Zeit, prägnant und einfallsreich sind die größtenteils gitarrenunterstützten Beats aber allemal. Danger Dans gesungene Refrains muss man allerdings aushalten können, HipHop-Puristen sollten also ein Ohr zudrücken. Die Punkrock-Wurzeln der Band scheinen immer wieder durch, vor allem natürlich in dem selbstreferenziellen "Anti alles Aktion", das sicher in Zukunft während einschlägiger Demonstrationen erklingen dürfte. Die politisch motivierte Anprangerungswut mag Hauptantrieb der Crew sein, zum Ende werden jedoch persönliche Töne angeschlagen. "Spring" setzt sich mit dem Thema Suizid auf einfühlsame und aufrüttelnde Art auseinander, ohne dabei in unangemessenes Pathos zu verfallen. Die Lücke, die NMZS im Bandgefüge hinterlassen hat, wird sicherlich für immer bestehen bleiben. Das Statement, das die Antilopen Gang mit "Aversion" abgibt, jedoch ebenso. Ausverkauf für alle! Und zwar nicht umsonst.

(Christopher Sennfelder)

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Highlights

  • Ikearegal
  • Beate Zschäpe hört U2
  • Spring

Tracklist

  1. Die neue Antilopen Gang
  2. Der goldene Presslufthammer
  3. Ikearegal
  4. Verliebt
  5. Outlaws
  6. Chamäleons I
  7. Ibiza
  8. Trümmermänner
  9. Beate Zschäpe hört U2
  10. Anti alles Aktion
  11. Enkeltrick
  12. Chamäleon II
  13. Beton
  14. Déja-vu
  15. Unterseeboot
  16. Spring

Gesamtspielzeit: 56:45 min.

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