Primus - Primus & the chocolate factory with Fungi Ensemble
Ato / PIAS / Rough Trade
VÖ: 17.10.2014
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
Eine Muh, eine Mäh, eine Täterätätä
Wenn eine einstmals gute und treffende Idee zur ewig reproduzierten Pose verkommt, ist in der Regel eigentlich kaum noch etwas zu retten. Fragen Sie nur Otto Waalkes, der sich das ärgerliche Etikett "Blödelbarde" spätestens seit der Jahrtausendwende mehr als verdient hat. Oder auch Johnny Depp, der mittlerweile selbst einen depressiven Buchhalter, Todeszellen-Kandidaten oder Massenmörder mit "charmant-clowneskem Witz" in Szene setzen würde. Nun denn, Clownerie, Varieté, Prog und Schock – natürlich sind das auch die Attribute, mit denen sich Primus für ihr neuestes Projekt herumzuschlagen haben. Denn sie passen zu ihnen, wie sonst nur Depp unter den nächsten lächerlich unförmigen Hut. In der Folge ist "Primus & the chocolate factory with Fungi Ensemble", eine künstlerisch äußerst freiheitliche Neuvertonung des Musical-Films "Charlie und die Schokoladenfabrik", von Linientreue noch weiter entfernt als Original-Willy-Wonka Gene Wilder von einer Frisur, nach der man die Uhr stellen kann.
Stattdessen klingt hier jeder Rhythmus, als würde eine ganze Armee Jerry Lewisse durch einen stockfinsteren Orchestergraben stolpern. Es klingelt, tingelt, röhrt und padauzt unablässig. Primus-Rückkehrer Tim Alexander hat seine Snare offenbar gegen ordentlich Pauken-Hall auf den Toms eingetauscht, während Larry LaLonde hier so wenig zu tun hat, dass er bei "I want it now" stimmlich die Veruca Salt von Primus mimt – was in Wahrheit natürlich Les Claypool anzulasten wäre. Der hingegen scattet, brummelt und mampft seine Vokale altbekannt, als würde er eine aufgeregte Rede an den Stammtisch der Nation richten und zugleich ein rohes Straußenbein abnagen. Natürlich wollen Primus hier, komplettiert durch das zweiköpfige "Fungi Ensemble" an Percussions und Cello, die inhärente Spookyness von Roald Dahls Geschichte hervorkitzeln. Und die Mittel, die sie wählen, sind – von Tom Waits bis Frank Zappa – approbiert bei den musikalischen Verstörungs-Theoretikern: Konfrontation, Nonlinearität, Tiefton vs. Hochton, eher Rhythmik und Sound als Harmonie und Melodie. Clashs allerorten also, und Primus können das, gewiss. Dennoch wäre es allemal spannender zu hören, was sie mit, sagen wir, Hans Zimmers und Elton Johns "König der Löwen"-Soundtrack angestellt hätten, statt ausgerechnet mit einer der unterschwellig ohnehin verstörendsten Psychedelica des Kinderfilms beziehungsweise Kinderliteratur.
Denn wirklich subtil wird es auf "Primus & the chocolate factory with Fungi Ensemble" auf diese Weise kaum einmal. Meistens jedoch genau dann, wenn originale Primus-Gadgets auf das Konzept selbst treffen. So zuckelt Claypools Bass zu "Pure imagination" im typischen Stechschritt, nur vergisst der Rest der Truppe, darauf einzusteigen, und poltert stattdessen wie eine Zombie-Marching-Band um eine Dreiton-Melodie herum, die allerdings im Original-Song wesentlich mehr untergründiges bis hinterfotziges Grausen verbreitete. Bereits erwähntes "I want it now" kontert das Easy-Listening-Orchester des Originals mit der alten Primus-Schwäche für Western, Country und The Minutemen. Da sodann natürlich irgendwie und irgendwo auch Zucker drin sein muss, wirkt so manche Marimba-Melodie in der Tat wie ein süßlicher Fliegenfänger, dessen lockender Zeigefinger klebrig und unheilschwanger durch eine todbringende Erziehungsanstalt führt. Und das abschließende "Farewell Wonkities" rettet den viel zu herzlos viel zu früh abgebrochenen Opener in ein fünfminütiges, atmosphärisch äußerst dichtes Instrumental, zu dem LaLonde klarstellt, wie viel spannender die ganze Geschichte mit ein wenig mehr Raum für seine Gitarre hätte sein können. Zudem wäre dies eine weitere echte Herausforderung gewesen, denn schließlich wird die Eindeutigkeit einer Stromgitarre sehr viel schneller zum Stimmungskiller als ein rhythmischer Klanghaufen aus Geklingel und Gedängel – was nach wie vor an dem uralten europäischen Unbehagen im "Herz der Finsternis" liegen könnte.
"The horror! The horror!" also? Keineswegs. Vielmehr verhält sich Primus' Musik zu der des Original-Soundtracks wie Johnny Depps Exaltiertheit zu Gene Wilders Melancholie – egal wie sehr Claypool die Neuverfilmung auch verachten mag. Daher gelingt "Primus & the chocolate factory with Fungi Ensemble" nur selten einmal die wirkliche Hervorkehrung einer Gänsehaut aus einer sich unschuldig gerierenden Kinderfantasie. Stattdessen wirkt hier vieles, wie so häufig bei Primus, eher wie die Satire auf den eigenen Anspruch. Und das hat, wie immer bei Primus, durchaus Charme und seinen Reiz. Zu echter Dekonstruktion oder strukturalistischer Reflexion sind sie hingegen nach wie vor kaum bereit. Dafür "muuuht" und "möööht" das Cello derart prominent durch "Candy man" und kommen die verschiedenen "Oompa"-Auftritte derart breitbeinig hereinstolziert, dass es – so zumindest einige Testläufe – diverse Einjährige zu Powippen, staksigem Händeklatschen und breitem Grinsen animiert. Auch recht, spart man sich auf diese Weise doch immerhin manche Furchtbarkeit, die ansonsten so an die lieben Kleinen herangeklampft wird. Ob Primus das so gewollt haben, ist zuvorderst ihnen selbst ohnehin herzlich egal.
Highlights
- Candy man
- I want it now
- Farewell Wonkites
Tracklist
- Hello Wonkites
- Candy man
- Cheer up Charlie
- Golden ticket
- Lermaninoff
- Pure imagination
- Oompa Augustus
- Semi-wondrous boat ride
- Oompa Violet
- I want it now
- Oompa Veruca
- Wonkmobile
- Oompa TV
- Farewell Wonkites
Gesamtspielzeit: 40:45 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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noise Postings: 1019 Registriert seit 15.06.2013 |
2014-10-14 23:10:13 Uhr
Um Sekundenbruchteile geschlagen ;-) |
noise Postings: 1019 Registriert seit 15.06.2013 |
2014-10-14 23:08:10 Uhr
Das Album im Stream:http://www.visions.de/news/21537/Primus-streamen-neues-Album-Primus-The-Chocolate-Factory |
bazilicious Postings: 2909 Registriert seit 27.06.2013 |
2014-10-14 23:08:04 Uhr
Stream:http://www.visions.de/news/21537/Primus-streamen-neues-Album-Primus-The-Chocolate-Factory |
Watchful_Eye User Postings: 2850 Registriert seit 13.06.2013 |
2014-10-07 03:06:06 Uhr
Also "Golden Ticket" ist schon ziemlich geil. |
noise Postings: 1019 Registriert seit 15.06.2013 |
2014-10-05 18:37:32 Uhr
Ja,auch schon gehört. Kann mich aber nicht richtig überzeugen. Der Gesangsstil erinnert an Kinderlieder. Das soll auch - bei der erzählten Geschichte - so sein, gefällt mir aber nicht. |
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Referenzen
Les Claypool; The Les Claypool Frog Brigade; Franz Zappa; Tom Waits; The Residents; Captain Beefheart; Mr. Bungle; Pere Ubu; John Zorn; Man Man; Major Parkinson; Parliament; Funkadelic; Volcano!; The Paper Chase; Hella; Zach Hill; Maps & Atlases; Swans; Minutemen; Nick Cave & The Bad Seeds; Battles; Oxes; Drums And Tuba; Devo; Clinic; Foetus; Butthole Surfers; Ween; Weird Al Yankovic; Dr. Demento; The Fugs; The Dead Milkmen
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