Zola Jesus - Taiga

Mute / GoodToGo
VÖ: 03.10.2014
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Kein Heimvorteil
Willkommen im kleinen Horror-Laden! Heute oder vielmehr neulich zu Gast: Nika Roza Danilova alias Zola Jesus, die vor einigen Jahren mit dem leicht schiefen Superlativ "Die neue Scream-Queen" geehrt wurde und ihre Songs 2013 in überarbeiteten "Versions" sogar im Museum Of Modern Art aufführte. Aber wir schweifen ab. Danilova packt nämlich unter anderem in ihr Beutelchen: die gesammelten Werke der britischen Elektronik-Pionierin Daphne Oram, kreischende Industrial-Versuchsreihen von den Schweden Enema Syringe sowie eine DVD des Aktionskünstlers Herrmann Nitsch, auf der sich Leute mit blutigen Tierinnereien bewerfen. Was vor allem diejenigen interessieren könnte, die kürzlich argwöhnten, Zola Jesus werde Katy Perry immer ähnlicher.
Sicher: Die Vorabsingle "Dangerous days" ist trotz düster-naturgewaltigen Videos mit einer von der enigmatischen Ruferin im Walde zum Relief-Pixelwesen morphenden Danilova ein zwar vorzügliches, aber auch leidlich straightes Ungetüm. Und somit vergleichbar mit "Seekir", einem der eingängigeren Stücke des gelobten "Conatus". Kritik an einer angeblichen Hinwendung zum Pop ist also allein aufgrund dieser Ähnlichkeit fehl am Platze – vielmehr perfektioniert die Amerikanerin auf "Taiga" ihr Wechselspiel zwischen gleißend und finster, Anziehen und Abstoßen, Engelswesen und Gothic-Diva. Und auch, dass sie nach dem zuletzt strahlend weißen Artwork inzwischen von Kopf bis Fuß dunkel gewandet ist, dürfte volle Absicht sein. Irgendetwas muss ja das Licht verschlucken, das auf diesem Album immer wieder aufblitzt.
Spirituell ist "Taiga" vor allem im bewaldeten Russland von Danilovas Vorfahren zu Hause – ein Heimvorteil, der keiner ist, da sie selbst in Wisconsin aufwuchs, wo man ebenfalls tagelang zwischen Bäumen umherirren kann. Verlaufen muss sich hier jedoch niemand, obwohl neuerdings ungewohnt hektische Beats durch diese ständig zwischen sakral und kühl schwankende Musik geistern. Und konnte man Danilova auf dem eher in sich gekehrten "Conatus" noch des gleichen gesellschaftlichen Rückzuges verdächtigen, den sie im Stück "Hikikomori" besang, drängt sie auf "Taiga" nun mit Macht nach außen. Etwa beim fantastischen, sich unaufhörlich steigernden "Hunger", das rhythmische Fuchteleien mit synthetischem Gebläse und den gleichen voluminösen Streichern verbindet, über die bereits die Museumsbesucher staunten.
Es ist einer der Höhepunkte dieser geschlossenen, aber ungemein dichten Songsammlung, in der Danilova souverän die Gefahr drohender elektronischer Eigenbrötlerei umgeht. Streng trötenden Fanfaren und dem live erprobten, hyperaktiven Gefiedel räumt sie bei "Ego" oder "Hollow" weitaus mehr Platz neben ihrer gewohnt pastoralen Stimme frei, die zwischen den Drum'n'Bass-Überfällen des Openers wie ein jenseitiges Björk-Echo herüberweht oder in "It's not over" den ersehnten Einklang mit der Natur beschwört. Und nähern sich "Lawless" und "Long way down" in rhythmischer und instrumentaler Selbstbeschränkung einer ätherischen Spielart von Electro-Pop an, wird endgültig klar, dass das Wesentliche dieses Albums deshalb so strahlt, weil Danilova auch die Kunst des Weglassens meisterhaft beherrscht.
Nein, von der befürchteten, an den Songs nagenden Leere ist auf "Taiga" ebensowenig zu spüren wie von einer Nachbarschaft zu zweifelhaften Formatradio-Leichtgewichten. Stattdessen trifft der Begriff Engelswesen auf das Phänomen Zola Jesus vielleicht tatsächlich am ehesten zu. Schließlich weiß man spätestens seit Kevin Smiths Film "Dogma", dass auch ungleich höhere Entitäten – nennen wir sie der Einfachheit halber schlicht "Gott" – gerne mal eine Runde Minigolf spielen. Da darf auch Danilova ab und an ein paar schräge Nerd-Devotionalien shoppen gehen. Denn sie dabei zu beobachten macht fast genauso viel Spaß wie dieses erneut exquisite Album.
Highlights
- Dangerous days
- Hunger
- Lawless
- Long way down
Tracklist
- Taiga
- Dangerous days
- Dust
- Hunger
- Go (Blank sea)
- Ego
- Lawless
- Nail
- Long way down
- Hollow
- It's not over
Gesamtspielzeit: 42:37 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
Peter Silie |
2014-10-17 15:20:39 Uhr
Mir klingt das zu oft nach glatter R'n'B-Produktion moderner Prägung und stimmlich zu oft zu sehr nach Rihanna - wie konnte das passieren? Bin leider enttäuscht. |
Castorp Postings: 2787 Registriert seit 14.06.2013 |
2014-10-16 03:05:30 Uhr
Schon der Titeltrack ist toll: da treffen quasi Julianna Barwick und Aphex Twin aufeinander. :DUnd ich finde, dass man sehr gut raushört, dass sie an ihrem Gesang gearbeitet hat. Packt mich jetzt noch mehr als früher. |
yeah |
2014-10-07 00:59:58 Uhr
in den pt-leser-charts derzeit zurecht ganz oben! |
PT hat versagt |
2014-09-25 13:33:50 Uhr
Das "eigentliche" Album der Woche. |
Achim Postings: 6286 Registriert seit 13.06.2013 |
2014-09-25 10:57:40 Uhr
der rest ist - teilweise deutlich - eckiger. gutes album.Achim. |
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Referenzen
Gazelle Twin; The Knife; Fever Ray; Austra; Poliça; Planningtorock; Soap&Skin; Dillon; VV Brown; Esben And The Witch; Cold Cave; Bat For Lashes; CocoRosie; Psapp; Metallic Falcons; Glasser; Warpaint; Seefeel; Home Video; Former Ghosts; Xiu Xiu; Gang Gang Dance; Cocteau Twins; This Mortal Coil; Siouxsie & The Banshees; Lene Lovich; Attrition; Throbbing Gristle; Laibach; These New Puritans; The Residents; Diamanda Galás; Anita Lane; Björk; Kate Bush; Tori Amos; Chelsea Wolfe; Julia Holter; Laurel Halo; Copeland; Nadine Shah; Laurie Anderson; Gry; Lykke Li; Elysian Fields; Portishead; Lamb; Trentemøller; Giana Factory; Crystal Castles; EMA; Pharmakon; Braids; Salem; Tearist; White Ring; Niobe; Mira Calix
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