Midge Ure - Fragile

Hypertension / Soulfood
VÖ: 04.07.2014
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Zermischte Gefühle
Schottland ist wegen seiner frittierten Schokoriegel, Junkies, die auf Züge starren, und meist beschissenem Wetter anderswo ziemlich verrufen. Deutlich weniger makelbehaftet scheint hingegen der von dort stammende James Ure zu sein: So wurde er zwar vom umtriebigen Malcolm McLaren als Gitarrist und Sänger für die damals noch namenlosen Sex Pistols umworben, sah jedoch aufgrund anderer Verpflichtungen von einem Engagement bei der Chaotentruppe ab. Welch Treppenwitz der Musikgeschichte! Die Fragezeichen in den Gesichtern lichten sich nämlich spätestens, sobald er unter seinem Kampfnamen Midge auftritt: Dann schätzt ihn mancher Musikbegeisterte wegen eines ganzen Batzen Hits aus den 1980er Jahren – solo, als Begründer der New-Romantic-Ikone Visage, aber insbesondere wegen seiner alten Liebe Ultravox, mit der er bereits seit einigen Jahren so etwas wie einen zweiten Frühling erleben darf.
Lebenszeichen von Ure allein gab es sehr wohl regelmäßig, als Konzertaufnahmen oder in Form eines Konvoluts voll Nachgespieltem, herausgebracht über das eigene Label Environment Records. Die letzte reguläre Studioveröffentlichung "Move me" datiert jedoch von 2000, als ein mp3-Tauschprogramm namens Napster der Musikindustrie die verboten lange Nase zeigte und der nie um ein Fettnäpfchen verlegene FC Schalke 04 mit der Verpflichtung eines gewissen Andreas Möller für Verzweiflung auf den Stehrängen sorgte – zunächst. Und genau wie im Bundesliga-Fußball sämtliche Mannschaftskader in jeder Saison aufs Neue durchsortiert werden, trumpft der angelsächsische Schöngeist nun mit einem richtigen Album auf.
"Fragile" klingt zweifellos so anmutig und empfindsam, als ob sich Saint Etienne bei The Lightning Seeds zum gemeinsamen Brunchen eingefunden hätten und dazu nun eine A-Ha-Scheibe nach der anderen laufen ließen. Wie von seinen letzten Arbeiten gewohnt, verzichtet Ure auf jegliches Getöse früherer Charthits und lässt die großen Gefühle lieber mit Bedacht und unter der Haut rumoren. "Let it rise", "Wire and wood" oder "Dark, dark night" sind durch grüblerische Gratwanderungen zwischen orchestralem Balladenpop und Fetzen von vertrautem Bristol-Sound geprägt, die von den Erinnerungen an seine Akustik-Tour im letzten Jahr noch etwas mitgenommen scheinen.
"I survived" wird mit seinen tröstlichen Piano-Ornamenten und dem anlehnungsbedürftigen Basslauf folglich mehr auf privat durchlebte Scharmützel abzielen: "Digging in the dirt" sozusagen, ein deutlicher Verweis auf Peter Gabriel, bei dem der Schotte sich mancherlei Kniff abgeschaut hat, um seine Musik bescheidener wirken zu lassen, als sie tatsächlich ist. Nachzuhören auch im fabulös wühlenden "Are we connected", dem Siedepunkt des Albums. "Star crossed" mit seinen hymnischen Gitarrenjauchzern und der bei den Pet Shop Boys entliehene Dance-Beat von "Become" schütteln dazu bekräftigend ihre adretten Föhnfrisuren.
Allerdings darf man ein wichtiges Detail bei der ganzen Sache nicht überhören: Zur vollkommenen Erhabenheit seiner Musik fehlt Ure leider der kongeniale Partner am Mischpult, der dem Gesang den nötigen Raum verleihen könnte. So geht seine voluminöse Stimme viel zu oft im Mix unter oder versteckt sich ängstlich hinter den verwendeten Soundbibliotheken. Ob er als ausführender Produzent Bammel vor ausuferndem Kitsch oder der eigenen Courage hatte, lässt sich dabei nicht sagen. Vielleicht fehlte einfach nur die berühmte zweite Meinung, das Ohr von außen? Jedenfalls trübt die verstockte Abmischung den Hörgenuss entscheidend, gerade weil Ure eigentlich einer der besonderen Künstler ist, der Eingängigkeit mit Würde und Niveau zu verbinden weiß. "Fragile" bleibt somit große Kunst, die einem als leidlicher Tand feilgeboten wird. Oder um es mit Hape Kerkeling und Kraftwerk im Chor zu singen: Mitropa endlos.
Highlights
- I survived
- Are we connected
- Dark, dark night
Tracklist
- I survived
- Are we connected
- Let it rise
- Become
- Star crossed
- Wire and wood
- Dark, dark night
- For all you know
- Bridges
- Fragile
Gesamtspielzeit: 53:33 min.
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2014-07-15 23:30:01 Uhr
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Referenzen
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Surftipps
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- http://de.wikipedia.org/wiki/Midge_Ure
- http://en.wikipedia.org/wiki/Midge_Ure
- http://metal-gear.net/2013/11/15/billboard-japan-feature-mid ge-ure-visit-with-hideo-kojima-at-kojipro-studios
- http://www.fr-online.de/leute/ultravox-saenger-midge-ure--ic h-habe-wenig-bewegt-,9548600,16100112.html
- http://www.scotsman.com/what-s-on/music/interview-midge-ure- musician-1-2447339
- http://www.theguardian.com/lifeandstyle/2012/sep/22/midge-ur e-ultravox-family-values
- http://www.redbull.com/cs/Satellite/en_INT/Article/Music-Fea ture-At-Christmas-Time-Midge-Ure-QA-021243138347106
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