The Acid - Liminal
Infectious / [PIAS] Cooperative / Rough Trade
VÖ: 04.07.2014
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Die Schönheit der Trance
Der Zeitgeist ist ein flüchtiger Genosse. Kaum wähnt man ihn gefasst zu haben, ist er schon entfleucht, um aus einer ganz anderen Richtung wieder aufzutauchen. Ihm nachzujagen, lohnt selten. Sich ihm anzubiedern noch viel weniger – reagiert er auf derlei plumpe Annäherungsversuche doch meistens kaum bis überhaupt nicht. Die Kunst, zur rechten Zeit den richtigen Ton zu treffen, beherrschen deshalb nur wenige. Einer der wirkmächtigsten Trends der zurückliegenden Jahre war beispielsweise die Verquickung fragmentierter Elektronik mit emotionalem Stimmeinsatz. Das, was eigentlich nicht zusammenpassen kann, fügte sich bei Musikern wie James Blake zu äußerst spannender Musik. Doch ist mittlerweile der Zug nicht schon abgefahren? Befindet sich das Genre nicht schon in der unspannenden Werbejingle-Phase? Und sind solche Fragen nicht irrelevant, solange die Musik etwas taugt?
Antworten auf derlei Gedankenexperimente liefert die Band The Acid. Ein Trio, das sich aus dem britischen DJ Adam Freeland, dem US-amerikanischen Produzenten und Musiktechnikprofessor Steve Nalepa und dem australischen Songwriter Ry X zusammensetzt – Letztgenannter könnte noch durch den Song "Berlin" geläufig sein. Die Kollaboration der drei Herren vollzog sich aufgrund der großen räumlichen Distanz größtenteils via Internet, eine Tatsache, die man ihrem Debütalbum "Liminal" in keiner Sekunde anhört. Organisch und einnehmend sind die Klänge, die irgendwo zwischen Post-Dubstep, Electronica, Soul und den Solo-Ausflügen eines Thom Yorke zu verorten sind. Auf "Liminal" regieren die leisen Töne. Mehr als einmal scheint die Stimme des Sängers nur Millimeter vom Ohr entfernt zu erklingen. Und obwohl es nicht mit großen Überraschungen aufwarten kann, beeindruckt es doch in Sachen Einfallsreichtum, Detailverliebtheit und Songwriting wie kaum ein anderes Album des Jahres 2014.
Freeland, Nalepa und Ry X überlassen nichts dem Zufall. Jeder Soundschnipsel, jedes Hintergrundzirpen ist exakt dort, wo es sein soll. So knistert und knackst es heimelig im Opener "Animal", während die Stimme suchend umherirrt zwischen knochentrockenen Beatfragmenten. Auch das pulsierende "Veda" und das friedlich dahinpluckernde "Ra" sind in erster Linie auf Harmonie getrimmte Miniaturen, deren elektronischer Kern durch spärlichen Klavier- und Gitarreneinsatz mit einer menschlichen Note versehen wird. Während diese Stücke allesamt ohne merkliche Hakenschläge auskommen, beweist "Basic instinct", dass The Acid mehr als bloßen Wohlklang bieten möchten. Der um ein folkiges Gitarrenmotiv aufgebaute Song bäumt sich auf, bricht mit Rauschen und Dröhnen aus, und versickert schließlich ebenso friedvoll, wie er begonnen hat.
Dieser Mut zum Konventionsbruch zeigt sich auch in "Tumbling lights", das mühelos den Spagat zwischen krachig-sphärischem Intro und bassgeschwängertem Electropop hinbekommt. Über allem schwebt Ry X' zittriges Falsett, was dem Song eine klaustrophobische Note verleiht. Ähnlich minimalistisch, jedoch weitaus technoider ist "Ghost". "I wanna feel ya...ghost" murmelt der Sänger wieder und wieder, während der Track langsam im Viervierteltakt der Trance entgegenschwebt. So klingt Musik, die im besten Sinne lustvoll ist. Doch erwächst aus Nähe und Intimität manchmal etwas Bösartiges, etwas gefährlich Falsches: "Creeper" ist – ähnlich wie seinerzeit "Machine gun" von Portishead – ein verstörendes Dokument kaputter Zwischenmenschlichkeit. Wer hier tanzt, hält "Mulholland drive" für einen Liebesfilm. Womit auch ein möglicher Schlüssel zur Interpretation der Musik von The Acid genannt wäre: Ähnlich wie bei Lynch geht es nicht um das Offensichtliche oder das zwingend Logische. Auch Dinge, die man geträumt hat, sind passiert. Nur nicht für alle.
Highlights
- Creeper
- Fame
- Basic instinct
- Tumbling lights
Tracklist
- Animal
- Veda
- Creeper
- Fame
- Ra
- Tumbling lights
- Ghost
- Basic instinct
- Red
- Clean
- Feed
Gesamtspielzeit: 51:39 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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derp Postings: 225 Registriert seit 18.04.2014 |
2024-11-24 17:02:47 Uhr
Noice |
MickHead Postings: 3106 Registriert seit 21.01.2024 |
2024-11-15 18:28:22 Uhr
Erster neuer Song mit Ausnahme des Soundtracks zu dem Film The Bomb von 2017."Breed Feat. RY X" https://youtu.be/tzA-yZRAgvo?si=RzpaiUkKosCvvXTK |
AndreasM Plattentests.de-Mitarbeiter Postings: 749 Registriert seit 15.05.2013 |
2016-04-18 17:10:54 Uhr
"Sacred Ground" ist ein bisschen organischer und wohliger würde ich sagen. Passt mMn daher auch gut zum Frühlingsanfang und ist sicherlich einen Versuch wert. Meine Favoriten stecken da im Mittelteil: Track 6-8. |
Der Untergeher User und News-Scout Postings: 1874 Registriert seit 04.12.2015 |
2016-04-18 14:48:14 Uhr
@AndreasM: Mit dem Album habe ich mich gar nicht auseinander gesetzt, sollte ich vielleicht mal tun. |
AndreasM Plattentests.de-Mitarbeiter Postings: 749 Registriert seit 15.05.2013 |
2016-04-18 13:53:28 Uhr
Mir gefällt es auch immer noch gut. Danke auch nochmal für die gelungene Rezension damals, die mich drauf aufmerksam gemacht hat.Mit etwas Nachgang gefällt mir "Sacred ground" von Howling (ebenfalls Ry X) aus dem letzten Jahr aber doch ein Stück besser. |
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Referenzen
Ry X; James Blake; Sohn; Chet Faker; Thom Yorke; Kelela; Majical Cloudz; Bon Iver; Radiohead; M83; Portishead; Massive Attack; Burial; Broods; Zhu; Gem Club; Mount Kimbie; Tove Lo; HTRK; The xx; The Weeknd; Caribou; Deptford Goth; Banks; Brolin; Vondelpark; Blue Hawaii; Jamie Lidell; Darkside; Boards Of Canada; Mt. Wolf; Junior Boys; Gotye; ASTR; Lo-Fang; Basecamp; Brian Eno; Autre Ne Veut; Atoms For Peace; Black Atlass; Depeche Mode; Tycho
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- The Acid - Liminal (17 Beiträge / Letzter am 24.11.2024 - 17:02 Uhr)