Sharon Van Etten - Are we there
Jagjaguwar / Cargo
VÖ: 23.05.2014
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
Destination anywhere
Ein durch Mark und Bein gehender Tastenanschlag des Pianos, eine sich wiederholende Gitarrenmelodie, die Zeilen "You told me the day / That you show me your face / We'd be in trouble for a long time" – so beginnt Sharon Van Ettens viertes Studioalbum. Warum das so erwähnenswert ist, dass es gleich im ersten Satz dieser Rezension stehen muss? Weil es stellvertretend für das ganze Werk steht. Nach dem 2012er "Tramp", auf dem die damals 30-Jährige rastlos auf der Suche nach einem Ort war, von dem sie selbst noch nicht wusste, wo dieser nun sein könnte, ist sie mit "Are we there" endlich angekommen. Das mag zunächst ironisch klingen, doch Van Etten kennt den Weg, weiß, wohin er sie führen wird. Auf dem Cover schaut sie aus dem Fenster, direkt nach vorne. In die Zukunft.
In "Afraid of nothing", dem Opener, fordert sie diese Sicherheit auch von ihrem Gegenüber, verlangt die gleiche Aufopferung, die sie zu geben bereit ist: "I need you to be afraid of nothing" – der Einstieg in "Are we there" entwickelt sich nur langsam, dafür stetig, vermittelt Aufbruchstimmung und die Bereitschaft zum Loslassen. Und obgleich sie oftmals von einer Beziehung zu singen scheint, die längst vorbei ist, knickt Van Etten nicht ein, erliegt dem Selbstmitleid oder verliert die Hoffnung. Im Gegenteil: Das kraftvolle "Your love is killing me" ist dramatisch, schmerzhaft und aufwühlend, aber nie bitter – und während sie zwar kurzzeitig androht, sich selbst die Beine zu brechen, damit sie nicht zu jenem Menschen rennen kann, der ihr wiederum das Herz gebrochen hat, merkt sie am Ende, dass er den peinvollen Aufwand gar nicht wert ist. Das als zarte Pianoballade verkleidetete "I love you but I'm lost" geht den emotionaleren Weg, bäumt sich aber hier und da mal auf, als wolle Van Etten beweisen, dass sie auch mit verheulten Augen noch genau weiß, was vor ihr liegt.
"And here we are apart / But here together are our hearts that now beat for each other / Although far", singt sie mit Nachdruck in "I know", abermals vom Piano begleitet, und gesteht der vergangenen Liebe die scheinbar unausweichliche Kapitulation ein. Gleichzeitig kommt sie kurz vor Schluss auf den Anfang zurück mit den Worten "And then you disappear / Because you can't fight fear, I know / I know." Etwas weniger ans Eingemachte geht es mit der radiofreundlichen Single "Taking chances", während das von Mackenzie Scott alias Torres unterstützte "Our love" mit gleichermaßen berührenden wie tragischen Bildern spielt: "You say I am genuine / I see your backhand again", oder auch "At the bottom of a well / I'm reliving my own hell" – aber selbst, wenn sie sich im Nachhinein fragt, wie sie nur in einer solchen Situation landen konnte oder was auch immer sie vorher darin gesehen hat, ist Van Etten auf "Are we there" so stark und selbstbewusst wie nie zuvor.
Dass sie mit dieser Selbstsicherheit auch umgehen kann, ist ein weiterer Vorteil des Albums. Nie wirkt es überladen oder zu sehr mit dem erhobenen Zeigefinger vorgetragen, und selbst wenn "Tarifa" die schweren Geschütze auffährt und man in der breiten Instrumentierung auch das eine oder andere Blasinstrument hören kann und es stellenweise fast schon gospelartige Züge annimmt, bleibt Van Etten auch hier authentisch. Man nimmt ihr den Schmerz ebenso wie die Verzweiflung ab, weiß, dass sie sich schon wieder aufrappelt, die Hoffnung nicht verliert – und dass das Lachen am Ende des wunderbar countryesken Closers "Every time the sun comes up" wegen eines auf den Boden gefallenen Kopfhörers ehrlich gemeint ist und von Herzen kommt. Egal, wohin es Van Etten mal ziehen wird, auch diesen Weg wird sie bewältigen.
Highlights
- Afraid of nothing
- Your love is killing me
- Our love
- Every time the sun comes up
Tracklist
- Afraid of nothing
- Taking chances
- Your love is killing me
- Our love
- Tarifa
- I love you but I'm lost
- You know me well
- Break me
- Nothing will change
- I know
- Every time the sun comes up
Gesamtspielzeit: 47:05 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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saihttam Postings: 2359 Registriert seit 15.06.2013 |
2023-08-15 00:45:27 Uhr
Wahnsinnssong und Wahnsinnsalbum! Muss ich auch mal wieder hören. Ihr Bestes! |
Huhn vom Hof Postings: 5719 Registriert seit 14.06.2013 |
2023-08-09 14:50:31 Uhr
"Your Love Is Killing Me" hat sich zu einem meiner absoluten Lieblingssongs gemausert. Diese Stimme! Einfach umwerfend. |
Jennifer Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 4711 Registriert seit 14.05.2013 |
2020-09-26 18:19:12 Uhr - Newsbeitrag
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The MACHINA of God User und Moderator Postings: 31659 Registriert seit 07.06.2013 |
2019-11-18 15:44:53 Uhr
Hehe. |
MopedTobias (Marvin) Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion Postings: 19947 Registriert seit 10.09.2013 |
2019-11-17 02:04:01 Uhr
Hier ist noch ein krasser Zufall für dich, MACHINA — ich hab tatsächlich auch genau heute (bzw jetzt gestern) dieses Album gehört. Bei mir war es aber nicht Twin Peaks, sondern die Jahresendbetrachtung vom Nachfolger (siehe Thread), die mich drauf gebracht hat."Your love is killing me" ist ein Top-30-Song des Jahrzehnts und auch das grandiose Album wird höchstwahrscheinlich in meiner Liste auftauchen. Tolle Frau. Hast du eigentlich "The OA" gesehen? Da hat sie eine Nebenrolle und es ist auch sonst eine starke, eigenwillige Mini-Serie (zumindest die erste Staffel). |
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Referenzen
Angel Olsen; Waxahatchee; Jessica Lea Mayfield; Torres; Wye Oak; Jessica Pratt; Cat Power; Julia Holter; Julianna Barwick; Grouper; Zola Jesus; Esben And The Witch; Chelsea Wolfe; Eleanor Friedberger; Warpaint; Bat For Lashes; PJ Harvey; She Keeps Bees; Feist; Laura Marling; St. Vincent; Anna Calvi; Land Of Talk; Tennis; Grimes; Marissa Nadler; My Brightest Diamond; Emily Jane White; Tara Jane O'Neil; Neko Case; Vashti Bunyan; Natalie Merchant; Tori Amos; Shannon Wright; Courtney Barnett; Dear Euphoria; Emiliana Torrini; Lower Dens
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