Coldplay - Ghost stories
Parlophone / Warner
VÖ: 16.05.2014
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Nach der Unbewusstlosigkeit
Freunde von aufmerksamkeitsheischenden Überschriften, Boulevard-Magazinen und verschwörerischen Theorien waren am 25. März 2014 gleichermaßen unbeeindruckt wie erstaunt. Als die Nachricht verkündet wurde, Coldplay-Sänger Chris Martin und Hollywood-Schauspielerin Gwyneth Paltrow hätten sich nach zehn Jahren Ehe getrennt, bewegte das die Menschheit – zumindest die Leute, die fernab der in Blogs ausgeschlachteten Celebrity-Privatleben keine anderen Interessen haben. Die einen hatten schon immer gewusst, dass das nicht hält, glücklich waren die ja eh nie und wer nennt seine Kinder denn auch schon Apple und Moses; die anderen waren traurig ob der zerbrochenen Beziehung, als seien es ferne Bekannte. Verwundert waren alle jedoch vor allem darüber, dass das Paar ihre Trennung mit der Bezeichnung "conscious uncoupling" versah. Schmutzige Wäsche wurde keine gewaschen, eine Schlammschlacht gab es nicht. Alles, was blieb, war dieser Begriff und "Ghost stories", das sechste Album von Coldplay, auf dem die bewusste Entpaarung thematisiert wird – und die in gewisser Weise auch weiterhin zwischen der Band und den Fans stattfindet.
Denn wenn wir mal ganz ehrlich sind, ist es schon seit einiger Zeit ziemlich schwer, sich als Anhänger dieser Band zu bekennen, ohne spöttische Blicke und ein abfälliges Grinsen zu ernten. Dabei fing alles so vielversprechend an: Auf das fantastische 2000er Debüt "Parachutes" folgte das nicht minder großartige "A rush of blood to the head" – immerhin zwei Alben, auf die sich fast alle einigen können. "X&Y" von 2005 ließ bereits erste Schritte in eine neue Richtung erkennen, das pompöse "Viva la vida or death and all his friends" stieß bereits einigen alteingefleischten Enthusiasten sauer auf, sicher nicht zuletzt wegen des allgegenwärtigen Quasi-Titelsongs. Und über das letzte Album "Mylo xyloto", naja...das ist wohl kaum noch der Rede wert. Das Para-para-paradise war abgebrannt, fixen konnte und wollte man die Beziehung auch nicht mehr, und an Martins Stelle irgendwie auch nicht mehr sein – die neuen Coldplay wurden stellenweise ein echtes Ärgernis. Dann kam "Midnight" und zum ersten Mal seit Jahren der Gedanke "Don't panic" in Anbetracht eines neuen Albums. Vielleicht leben wir ja doch in a beautiful world.
"Ghost stories" ist dieses Album, eines voller Trennungsschmerz, schwerer Herzen und Verzweiflung, aber auch voller Hoffnung. "Midnight", das als Teaser-Video im Februar als erster Vorbote veröffentlicht wurde, tönte so ganz anders als erwartet. Gespenstisch klingt Martin hier, eiskalt scheint die Atmosphäre, Erinnerungen an Bon Iver werden wach, der Einfluss von Produzent Jon Hopkins wirkt übermächtig. Der große Ausbruch, auf den man zum Schluss wartet, kommt nicht, jedenfalls nicht so richtig, und macht den Song dadurch umso spannender, weil sich Coldplay hier zum ersten Mal seit Ewigkeiten dem großen Pomp einer Single verweigern. Auch "Magic" hält sich im Vergleich zu früheren Auskopplungen deutlich zurück und klingt trotz seines repetitiven Beats und der wie so oft gelungenen Mischung aus Martins melancholischem Gesang und den im Hintergrund agierenden Pianoklängen beinahe wie eine eher untypische Single. Doch sobald man glaubt, Coldplay hätten sich aus der Radiohit-produzierenden Maschinerie befreit, kommt das von Avicii produzierte "A sky full of stars" um die Ecke und haut ordentlich auf den Putz. Der so offensichtlich auf Nummer-Eins-Hit getrimmte Song polarisierte sofort nach seiner Veröffentlichung. Man kann davon sicher halten, was man will, aber dass er mit seiner lieblosen Bums-Bums-Melodie und der aufdringlichen Plastik-Pop-Euphorie in keiner Weise auf dieses ansonsten so zurückhaltende Album passt, dürfte hingegen eine Tatsache sein.
Dabei hätte es so einfach sein können, so wunderbar, fast ein bisschen wie früher. Mit "Always in my head" etwa legen Coldplay einen astreinen Opener vor: Ein wahrlich geisterhafter Chor startet "Ghost stories", Synthies tragen die von ordentlich Liebeskummer geschwängerte Stimmung in weit entfernte Sphären, die letzten Zeilen "This, I guess / Is to tell you you're chosen / Out from the rest" lassen jedoch vermuten, dass sich das ehemalige Ehepaar Martin/Paltrow nach wie vor noch recht grün ist. Das entspannt-poppige "Ink" geht sogar noch einen Schritt weiter und vergleicht die Liebe mit einer Tätowierung, die zwar ausbleichen kann, aber dennoch für immer währt, stellt trotzdem aber auch fest: "All I know / Is that I love you so / So much that it hurts" – das bleibt wohl sogar beim conscious uncoupling nicht aus.
Noch mehr ins Herz allerdings trifft "Oceans". Dass Coldplay 14 Jahre nach "Parachutes" einen Song aufnehmen, der ohne Probleme irgendwo zwischen "Yellow" und "Trouble" gepasst hätte, hätte man wohl nicht vermutet. Ebenso wenig, dass Martin dabei so herrlich düster und ein wenig nach Nick Drake klingt. Oder dass die Streicher zum Schluss nicht wie ein lästiges Utensil zur Steigerung der Dramaturgie wirken, sondern sich vollkommen gleichmäßig in den Songfluss eingliedern. Im abschließenden Schlussakt "O" sind Apple und Moses Martin laut Booklet als Gastsänger zu hören, auch wenn ihre Stimmen nicht einfach zu entdecken sind. Die Metapher der verlorenen Liebe in Form von davonfliegenden Vögeln, sachte verpackt und nur vom Piano begleitet, beendet "Ghost stories" als vertonten Liebesbrief von Chris an Gwyneth auf ebenso unaufdringliche wie berührende Weise. Wenn schließlich der Hidden Track einsetzt – der vom Opener bekannte chorale Gesang –, ist klar, dass man um manche Beziehungen eben auch mal kämpfen muss. Also bis zum nächsten Album, Coldplay.
Highlights
- Midnight
- Oceans
- O
Tracklist
- Always in my head
- Magic
- Ink
- True love
- Midnight
- Another's arms
- Oceans
- A sky full of stars
- O
Gesamtspielzeit: 42:25 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Dan Postings: 367 Registriert seit 12.09.2013 |
2023-06-26 01:08:59 Uhr
Dieses Zurückgenommene finde ich nach wie vor sehr, sehr gut auf dieser Platte. "Magic", "Midnight", "True Love"... *schmacht* |
Felix H Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 10260 Registriert seit 26.02.2016 |
2021-10-19 12:45:08 Uhr
Ich finde ihn auch für das, was er sein will, nicht gut, aber noch okay. Da war vieles auf dem Nachfolger schlimmer.Aber es passt nun wirklich überhaupt nicht auf diese Platte. |
Watchful_Eye User Postings: 2918 Registriert seit 13.06.2013 |
2021-10-19 12:43:10 Uhr
"A Sky Full of Stars" kann ich ehrlich gesagt auf oberflächlicher Party/Pop-Ebene etwas abgewinnen, sofern ich darauf Lust habe. Auch wenn man darüber streiten kann, ob er auf dieses Album gehört.Ich finde den auch immer noch besser als die meisten der neuen Songs. Er ist zwar cheesy, aber ist zumindest gut in dem, was er sein will. |
The MACHINA of God User und Moderator Postings: 33855 Registriert seit 07.06.2013 |
2021-10-19 11:31:45 Uhr
Ich lach an sich lieber über wahre als über erfundene Geschichten. :) |
Neuer Postings: 846 Registriert seit 10.05.2019 |
2021-10-19 11:30:50 Uhr
Ihr lacht, aber das ist eine wahre Geschichte. :D |
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