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Emily Barker & The Red Clay Halo - Dear river

Emily Barker & The Red Clay Halo- Dear river

PID / India / Rough Trade
VÖ: 14.03.2014

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

Verlorene Heimat

"Show me the bright city lights / And streets I've never seen / Make a home for me on the path in-between", singt Emily Barker in "Dear river". Mit ihrer 2005 gegründeten Band The Red Clay Halo sowie auf ihrem nunmehr vierten Output "Dear river" bewegt sich die gebürtige Australierin ohnehin in dem Zwischenbereich eines ständigen Werdens – textlich und musikalisch. In wunderschönen und ebenso nachhaltigen Liedern trägt Barker mit poetischen Reflexionen emotionale Konflikte um Entwurzelung, verlorene Heimat und Tradition aus, die sie in exemplarischen Geschichten von Menschen rund um den Globus und innerhalb der Historie vorfindet. Herausgekommen sind 15 charaktervolle Songs auf der Scheidelinie zwischen Country, Americana, Neo-Singer-Songwriter-Gemeinplätzen und Folk. Selbst ein Frank Turner -– der wohl talentierteste Typ der Marke "Everybody's darling" in der derzeitigen Musikszene (neben Dave Grohl natürlich) – war sich nicht zu schade, sein Kolibrizwitschern auf Barkers euphorischstem Album zu hinterlassen. Als große Inspiration diente dennoch PJ Harvey mit ""Let England shake", vor allem die Art und Weise, wie diese über ihr Album und all die Nachforschungen dafür geredet hat.

"Dear river" beschreibt bereits mit den ersten Takten des gleichnamigen Titelsongs ein Schaffen im Prozess. Kraftvoll und selbstbewusst schlagen sich Akkorde aus der Stille, untermauern mit Fideln und sachtem Schlagzeug eine leidenschaftliche Ode an den Blackwood River, die Barker mit ergreifender Stimme intoniert. Eine Hymne an den Aufbruch der Künstlerin aus den Gefilden von Heimat, dem Bekannten. Eine Konzession an das große Ungewusste, geographisch wie emotional. Ein Stück der Selbsterforschung, eine Expedition über Kontinente hinweg in die eigene Befindlichkeit - auch über Zeiten hinweg, zurück zu den eigenen Wurzeln. So geschehen in "Letters", dem gefühlvollen Herzstück von "Dear river", in welchem Emily mit sachte gezupften Gitarren, gestrichenen Drums und elegischer Melodieführung ihren eigenen Vorfahren nachspürt, die zu Beginn der 1950er Jahre das vom Zweiten Weltkrieg gebeutelte Europa verließen, um in Australien ein neues Leben zu errichten. "Dear river" steht für eine unsichere Zukunft, dem Prozessualen des menschlichen Lebens. Wie ein Bach bewegen sich die Songs in gleichmäßig kleinen Wellen, die im Gesamten das Treibende eines Flussbetts bilden. Alles ist im Werden. Der Fluss ihrer Heimat versinnbildlicht Verlust, Potentialität, Mut, Resignation und vor allem Opfer. Opfer, die gebracht werden müssen, um das eigene Werden gewährleisten zu können. Zugleich geht es um Entbehrungen und Schmerz, welcher der Vergessenheit entrissen werden muss. So handeln das beschwingt-dramatische "Everywhen", das tragisch verlorene "Ghost narrative" und das leichtfüßige "A spadeful of ground", das vom (paradoxerweise) besonnen-schmerzvollen Gesang Barkers geschnitten wird, von dem Schicksal der australischen Aborigines.

Wie ihre Idolin Harvey recherchierte Barker. Kolonialgeschichte ist keine Geschichte heldenhafter Siedler. Keine Geschichte von Helden. Es ist eine Geschichte von Repression, Zerstörung und Gewalt. Die Künstlerin gibt nach einem Gespräch mit Josh Whitehead, einem Noongar, folgende Erzählung an, die sie maßgeblich beeinflusste: Während der Besiedlung von Bridgetown schenkte man 300 Noongars mit Pocken infizierte Decken, sodass eine kleine Epidemie ausbrach. Anschließend versenkte man die an den Folgen der Krankheit Gestorbenen im Blackwood River. Mit der Geschichte schließt sich der Kreis um den Fluss. Das Grauen der Vergangenheit wird für Barker zu einem Ort der Suche. Wo menschliche Monstrosität das Ende markiert – ein Ende der Humanität – , beginnt für Barker ein Anfang, nicht nur der Erinnerung, sondern zugleich der Hoffnung.

Den Weg der eigenen Hoffnung begleiten neben langjährigen Freunden wie Frank Turner, der in bekannter beliebig-softer Frank-Turner-Ruppigkeit seine Stimme für "Fields of June" lieh (daneben Barker auch auf Tour mitnahm) und Vorbildern (neben Harvey nennt Barker auch Aretha Franklin, Nina Simone und Joni Mitchell) auch produktionstechnisch versierte Kollegen wie Calum Malcolm (der Soundtüftler von Blue Nile), der sich für das Soundbild von "Dear river" verantwortlich zeichnet. Die Reise der Barker ist allemal eine Belgeitung wert. Nicht nur gibt es Einiges zu lernen, sondern eine der schönsten Zwischen-den-Stühlen-Platten des Jahres.

(Peter Somogyi)

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Highlights

  • Dear river
  • Letters
  • Ghost narrative

Tracklist

  1. Dear river
  2. Tuesday
  3. Letters
  4. The leaving
  5. Everywhen
  6. Sleeping horses
  7. Ghost narrative
  8. A spadeful of ground
  9. The cormorant and the Heron
  10. In the winter I returned
  11. The Blackwood
  12. Bonus Tracks: Fields of June (feat. Frank Turner)
  13. The rains
  14. Nostalgia (Wallander theme)
  15. Every season

Gesamtspielzeit: 50:00 min.

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