Chris Garneau - Winter games
Clouds Hill / Rough Trade
VÖ: 11.04.2014
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
Oh, limbische Spiele
Müsste man Chris Garneaus drittes Album, "Winter games", mit einer olympischen Disziplin beschreiben, es wäre unmöglich, sich auf eine zu beschränken. Der Eiskunstlauf würde in seiner Filigranität und Eleganz dem Schaffen des Amerikaners wohl am nächsten kommen. Die ruhigen, ausdauernden Bewegungsmuster des Langlaufs den entschleunigenden Qualitäten seiner Musik gerecht werden. Freestyle und Kombination hingegen würden gut zu seiner neuen Experimentierfreude passen, die vor allem der Tatsache zu verdanken ist, dass er sein neues Werk in der Abgeschiedenheit einer Farm, zwei Autostunden nördlich von New York, aufgenommen hat. 18 Monate lang ließ er sich dafür Zeit und genoss dabei absolute Freiheit: ohne störende Nachbarn, ohne Deadline, ohne Plattenvertrag.
Der Arbeit am Konzeptalbum "Winter games" ging die Bitte an Freunde und Verwandte voraus, ihre prägendsten Winter-Erinnerungen, wenn möglich aus Kindertagen, zu notieren. Der Künstler sammelte anschließend die Geschichten, verknüpfte sie miteinander, strickte weiter, als würde er ihnen Handschuhe und Mütze verehren, oder ließ sich davon zu etwas ganz Neuem inspirieren. Wie auch schon auf "Music for tourists" und ""El radio", finden auch Garneaus Winterspiele vor allem im limbischen System statt. Dort, wo Emotionen verarbeitet und Endorphine produziert werden. Aber auch dort, wo Triebverhalten entsteht. Zu Beginn der eröffnenden Single "Our man" spricht er hingebungsvoll ein französisches Intro, das so tut, als käme es direkt aus einem Film Noir. Nimmt man ihm sofort ab. Auch dass Garneau jenes in orchestraler Zeitlupe dargebotene Stück mit einem dezenten Vocoder-Effekt, äh, garniert, wirkt erstaunlich natürlich.
Neben seinem unverkennbaren Talent als Songwriter und Pianist, als Sänger sowieso, müssen dieses Mal noch zwei andere Herren lobend hervorgehoben werden, denn sie haben die ausgezeichneten Bläser- und Streicherarrangements auf "Winter games" zu verantworten: C.J. Camerieri und Rob Moose, die schon das Schaffen von Bon Iver, Sufjan Stevens, The National, Antony & The Johnsons oder Rufus Wainwright veredelt haben. Während "Oh God" sich einen himmlischen Synthesizer, Nikolausschlitten-Schellen und einen einladend ausladenden Refrain gönnt, der noch nicht einmal Worte braucht, erzählt "Winter song No.1" im Beisein von Väterchen Frust vom dünnen Eis des Schweigens. Beinahe geflüstert, mit Herzschlag im Hintergrund und kaum hörbarem Engelschor. Auch "Winter song No.2" hat sein Enteisungsspray der Melancholie geschenkt, wärmt sich aber dennoch im Walzertakt.
Im experimentellen "Reindeer" besteht der Schnee vermutlich nicht aus Wasser und wird auch nicht mit der Schippe, sondern in die Nase geschoben. "Pas grave" überrascht mit komplett französischem Text, der dem hauchenden Garneau natürlich ausgesprochen gut steht. Er singt ein Lied für "Danny", eines für "Catherine" und zum Finale sogar eine Ode an die Schweiz. Wenn auch nur auf den ersten Blick, denn selbstverständlich geht es in "Switzerland" um Größeres: das Jahreszeitenkarussell der Gefühle. Dass ausgerechnet "The whore in yourself" die schönsten Bläser des Albums parat hat, darf keineswegs als schlüpfrige Anspielung verstanden werden, sondern als würdevolle Untermalung dessen, worum es in dem Stück geht: um die Kraft des Selbstvertrauens. Garneau darf nach dem mittlerweile dritten hervorragenden Album in Folge eine ganze Menge davon haben. Und eine Medaille kriegt er dafür natürlich auch. Aus Eisgold.
Highlights
- Our man
- Oh God
- Winter song No.1
Tracklist
- Our man
- Oh God
- Winter song No.1
- Winter song No.2
- Danny
- The whore in yourself
- Reindeer
- Pas grave
- Catherine
- Switzerland
Gesamtspielzeit: 40:23 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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ichi :) |
2014-05-10 23:54:23 Uhr
meimingen bittewillja vlr kaufe? alsp bitte... |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27849 Registriert seit 08.01.2012 |
2014-01-26 18:59:15 Uhr
Erscheint in Deutschland am 11. April. Guter Mann! |
Pelo Warer Magot Postings: 63 Registriert seit 13.06.2013 |
2013-10-18 19:46:06 Uhr
http://www.youtube.com/watch?v=IR3RABySMbYWINTER GAMES LP OUT NOVEMBER 12, 2013! :) |
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Referenzen
Perfume Genius; Tristan Brusch; Sufjan Stevens; Peter Broderick; Nils Frahm; Bon Iver; Antony & The Johnsons; Ohbijou; Frida Hyvönen; Teitur; Regina Spektor; The Dresden Dolls; Amanda Palmer; Valery Gore; Jens Lekman; Stina Nordenstam; Rufus Wainwright; Yann Tiersen; Ed Harcourt; Duke Special; Daniel Johnston; Elliott Smith; The Tiger Lillies; Elysian Fields; King Creosote; Aidan Smith; Gregory And The Hawk; Scott Matthew; Cat Power; The Divine Comedy; Erik Satie
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