Andreas Dorau - Aus der Bibliothèque
Bureau B / Indigo
VÖ: 17.01.2014
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Schlauer Fuchs
Gibt es für Andreas Dorau ein verlässliches Haltbarkeitsdatum? Anscheinend nicht. Der Mann altert mit keinem Album. Er bewahrt sich stattdessen seine kindliche Neugier. Während sich viele seiner musikalischen Zeitgenossen längst in winzige Straßencafés pferchen und dort ihren Latte macchiato schlürfen, hockt Dorau auch mit 50 Lenzen noch verschmitzt grinsend unterm Beistelltisch und spart ganz nach Art von Reinekes Fuchs seine Penunsen. Dort betrachtet er nämlich mit Inbrunst die Sachen, die er zuvor aus der Bücherei nebenan stibitzt hat – zum Beispiel Periodika über astrologische Deutungshoheiten, Schlager-CDs aus der vormaligen Zone Ost oder furztrockene Chemiebücher für die Sekundarstufe I.
Wo andere mit derlei Tand bewaffnet allenfalls einen Flohmarktstand eröffnen würden, lässt dieser Mann lieber alles über längere Zeit hinweg auf sich wirken und entnimmt dem Fundus dann seine urtypischen Betrachtungen des Banalen. Das aufgeblasene Selbstmitleid anderer Unterhaltungsmusiker bleibt ihm fremd. Ihn interessieren neben einer zwingenden Melodie eher jene Dinge, die sonst weggeworfen oder achtlos übergangen werden. Obendrein gilt es die Schrulligkeiten menschlicher Verhaltensmuster zu benennen. Und wenn der Wind ihm dazu noch eine kleine Anekdote ins Ohr flüstert, lauscht er gebannt dem alten Luftikus. Um letztendlich zwischen all diesen losen Fäden überraschende Zusammenhänge zu spinnen und sie in scheinbar profane Schulpoesie zu wickeln. Zurückhaltung wird hier großgeschrieben und ist doch ein augenzwinkernder Widerspruch in sich. Denn bei Zimmerlicht betrachtet zeugen seine strikte Reduktion, das Gespür für Details und der milde Duktus von innerer Größe. Es ist ihm durchaus ernst mit seiner Kunst, die den Hörer so herzlich lächeln und leicht werden lässt.
Nun hat sich Dorau zu seinem Jubiläum gleich einen ganzen Batzen Geschenke und damit eine Buddel voll Stress gemacht: Als Erstes stoppt er den Kahn bei voller Fahrt und holt mit "Hauptsache ich!" eine Hafenschau aus der Kajüte, die sich gewaschen hat. Da bleibt kein Fischauge trocken. Hernach muss der Bootsmann den Schnupftabak wohl oder übel am Ärmel entsorgen und flott zurück ans Ruder. Es sind schließlich zwei feiste Geburtstagsparties bei den tüdeligen Landratten geplant. Geankert wird an den beiden Spannungspolen seines geerdeten Musikerlebens, nämlich Hamburg und Berlin, wo die gesamten Mitstreiter ansonsten bummelig im eigenen Saft schmoren. Zu guter Letzt gönnt er sich mit einem lauten "Hummel, Hummel – Mors, Mors" genau den voluminösen Bandklang, der seinen Platten bislang oft gefehlt hat. Mit Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen fiel die Wahl dabei auf den Superpunk-Erben par excellence. Und hochseetauglich sind diese Herren allemal. Es wird ergo auch nicht dumm rumgequatscht, sondern an- und ausgepackt. Der neue Vierer mit Steuermann lässt eben lieber seine Muskeln sprechen – respektive die Instrumente.
So weisen im beginnenden Milieuporträt "Hühnerposten" das strikte Haudrauf-Schlagzeug, ein umherhopsendes Hammerklavier und dezente Chorbegleitung den Weg nicht nur in die eingangs erwähnte Bibliothek, sondern auch in die folgenden 50 Minuten. Voller Seele soll das Ganze sein, zeitlos sowieso und nicht bloß steril quantisierte Tanzmusik. Da macht selbst das ohrwurmige "Flaschenpfand" inklusive seines sachten Minijob-Lobes keine Ausnahme und baut neben einem schüchternen Banjo vor allem auf Sixties-bejahende "Ahhh"s und echolallende Herrenstimmen. Dorau kann in "Der Monat" derweil seinen konsonanten Neigungen frönen und sich über die Monotonie des Alltags ergehen. Die Band schüttelt dazu unbeirrt ihre behänden Grooves aus der Arbeitskleidung. Es herrscht eine rege und zugleich vertraute Betriebsamkeit.
Somit ist es kein Wunder, wenn die Adamskis "Killer" beschwörende Klavierfigur aus "Reden wir von mir" den eindringlichen Höhepunkt dieses Albums einklimpert. Wo früher von obskursten Tonträgern gesamplet wurde, schieben die Musiker heute einen subtileren Verweis auf jene Musikepoche ein, die sie mit diesem Werk hinter sich lassen. Wonach noch genügend Zeit bleibt, um sich dem ominösen Plastiktüten-Inhalt aus "Tannenduft", der Befindlichkeit des Bundesvogels in "Stählerner Adler" oder der Neuen Deutschen Muße in "Faul und bequem" zu widmen. Dorau und seine Mannen scheinen sich gesucht und gefunden zu haben. Ab sofort in jeder Bücherei ausleihbar oder – Ihr wisst schon.
Highlights
- Flaschenpfand
- Der Monat
- Löwe
- Reden wir von mir
- Sabelle fliegt
Tracklist
- Hühnerposten
- Flaschenpfand
- Der Monat
- Wasserstoff
- Löwe
- Reden wir von mir
- Tannenduft
- Stählerner Adler
- Sabelle fliegt
- Faul und bequem
- Klischee
- Bienen am Fenster
- Für immer
Gesamtspielzeit: 49:04 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
ich |
2014-01-22 19:56:20 Uhr
Das Meldyen und Texte gefallen mir SEEHR GUT. Insbesondere da wo der Interpret von Telefon und tuuut sinkt. |
Knackschuh Postings: 3758 Registriert seit 20.08.2013 |
2014-01-22 19:26:44 Uhr
Das hast du schön gesagt, Bernd. |
Der Bernd |
2014-01-22 18:30:46 Uhr
Dorau ist für Kenner und Lebemänner, Ja Panik für unbedarfte Kiddies, die jedem Trend nachlaufen. |
Löwe |
2014-01-22 17:33:40 Uhr
Die neue Dorau ist sogar deutlich besser als die neue Ja,Panik! |
Looooool |
2014-01-22 16:56:10 Uhr
8/10 ? Schon wieder am Klebstoff geschnüffelt? |
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Referenzen
Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen; Bläck Fööss; Californiae; Erdmöbel; Henry Valentino; Udo Lindenberg; Mythen In Tüten; Family 5; Der Plan; Foyer Des Arts; Stereo Total; Element of Crime; Sven Regener; JaKönigJa; Gautsch; Jens Friebe; Bernd Begemann; PeterLicht; Paula; Jeans Team; Superpunk; Die Türen; The Beatles; Rocko Schamoni; Blumfeld; Jochen Distelmeyer; Harald "Sack" Ziegler; Max Goldt; ClickClickDecker; Fehlfarben; Die Sterne; Frank Spilker Gruppe; Holger Hiller; Guildo Horn; Alexander Marcus; Markus; Frl. Menke; Hubert Kah; Toni Kater; Palais Schaumburg; Helge Schneider; 2Raumwohnung; Justus Köhncke; Blümchen
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