Teitur - Story music
Arlo & Betty / Indigo
VÖ: 25.10.2013
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
Der Experimentierkasten
Es kann niemand behaupten, er sei nicht gewarnt worden. Denn an den Wänden von Teiturs Twitter-Domizil steht es in aller Deutlichkeit geschrieben: "I'm into creative songwriting." Beschränkte sich seine Kreativität bislang auf den Einsatz klassischer Elemente aus dem Fundus kleiner bis mittelgroßer Orchester, ist der bekannteste Musiker der Färöer mittlerweile bei bedingungsloser kompositorischer Freiheit angekommen. Anders ausgedrückt: Er veröffentlicht mit "Story music" kein gewöhnliches Album, sondern eine Sammlung von Experimenten – die nicht alle gleichermaßen gut funktionieren. In jedem Fall gelingt es ihm aber, durch außergewöhnliche Ideen und irrwitzige Arrangements aufzufallen, deren mitunter etwas verkopfte Kunstfertigkeit den Genuss des Werkes allerdings nicht immer begünstigt.
Da wäre beispielsweise "If you wait", eine Kollaboration mit dem amerikanischen Komponisten und Arrangeur Nico Muhly, der bereits mit Antony & The Johnsons und Grizzly Bear zusammengearbeitet hat. Der Text des Liedes besteht aus einem einzigen Satz, dessen Wörter sich eines nach dem anderen hinzugesellen. Bei jedem neuen wird noch einmal von vorne begonnen, mit drei bis fünf Sekunden Pause dazwischen. Es dauert gut zwei Minuten, bis Teitur damit durch ist. Untermalt von einem eigenwilligen Orchester-Arrangement und herausfordernden Chorgesängen. Bei "Monday" tritt der Künstler gar nicht erst in Erscheinung. Das Stück wird mit einer Soundcollage eröffnet, die zu Harfenklängen singende Menschen aller Altersgruppen mit färöischen Radioschnipseln fusioniert und anschließend in ein weiteres Orchester-Arrangement mündet. Ein Kirchenchor tiriliert, und die Solistin liest schließlich mit seltsam monotoner Theatralik den Songtext vor. Dass an Teiturs fünftem international veröffentlichten Studioalbum 60 Musiker im Alter von neun bis 86 Jahren beteiligt waren, glaubt man ihm sofort.
"Story music" wurde fast ausschließlich mit färöischen Instrumentalisten und Vokalisten aufgenommen und ist das erste Teitur-Album, das in dessen Heimat entstanden ist. Hört man auch an den zahlreichen folkloristischen Elementen, die neben den klassischen Orchester-Arrangements das Album dominieren. Besonders eindrucksvoll in "Antonio and his mobile phones" und in der sympathischen ersten Single "Rock and roll band" zu vernehmen. Auf keiner seiner bisherigen Platten waren Streicher, Blockflöte, Harfe, Marimba, Vibraphon, Glockenspiel, Banjo und Euphonium so präsent. Woran es dieses Mal aber bedauerlicherweise etwas fehlt, ist das Songmaterial. Der Fokus von "Story music" liegt ganz klar auf dem Experimentieren mit Form und Arrangement. "Hopeful" beginnt hoffnungsvoll mit glasklarem Piano und Harfen-Ornamenten, bleibt dann aber doch eher Meditationsmusik, anstatt tatsächlich für Erfüllung zu sorgen. "Indie girl" ist mit einer Länge von einer Minute und 45 Sekunden nicht mehr als ein nettes Fragment, und auch aus dem sechseinhalbminütigen "Walking up a hill" klinkt Teitur sich noch vor der Zwei-Minuten-Marke aus. Der von ihm bis dahin gesungene Text wird anschließend noch zweimal von Kindern wiederholt, teilweise im Kanon. Dazwischen hört man fast eine Minute lang Wasser plätschern.
Klingt etwas anstrengend? Ist es auch. Man muss schon ein offenes Ohr für kuriose Konzepte und extraordinäre Experimente haben, um an "Story music" durchweg Gefallen zu finden. Man muss ebenso darüber schmunzeln können, dass Teitur in "Gone fishing: The palindrome song" in der Mitte des Liedes die zuvor gesungenen Textzeilen einfach spiegelt und sie trotzdem noch einen Sinn ergeben. Man muss auch Kinderchöre mögen, vor allem so einen leicht schiefen wie in "Hard work". Und man muss im gleichen Lied die Schönheit der Marimba inmitten schrammeligem Geklampfe erkennen. Wofür man jedoch kein besonderes Talent braucht: "It's not funny anymore", das mit Abstand beste Stück der Platte, umgehend ins Herz zu schließen. Es wurde ausnahmsweise in Holland mit einem Sinfonieorchester eingespielt und hat ein fantastisches Disney-Arrangement zu bieten, geschrieben von keinem Geringeren als Van Dyke Parks. "It's funny how you regret / The choices that you make", singt Teitur darin. Und hat zumindest mit diesem Song dann doch wieder alles richtig gemacht.
Highlights
- Rock and roll band
- It's not funny anymore
Tracklist
- Hopeful
- If you wait
- Antonio and his mobile phones
- Rock and roll band
- Hard work
- It's not funny anymore
- Monday
- Indie girl
- Gone fishing: The palindrome song
- Walking up a hill
Gesamtspielzeit: 40:56 min.
Referenzen
Marius Ziska; Jens Lekman; Nico Muhly; Antony & The Johnsons; Van Dyke Parks; Susanne Sundfør; Nils Frahm; Agnes Obel; Rebekka Karijord; Ane Brun; Sondre Lerche; Clare & The Reasons; Nicolai Dunger; Erlend Ropstad; Tristan Brusch; Anna Ternheim; Björk; Chris Garneau; Laakso; Edson; Pelle Carlberg; Rufus Wainwright; Joanna Newsom; Grizzly Bear; Emiliana Torrini; Ed Harcourt; Fleet Foxes; Pétur Ben; Glen Hansard; Ferraby Lionheart; Björn Kleinhenz; Christian Kjellvander; Kristofer Åström; Dark Dark Dark; José González; Moddi; Angus & Julia Stone; Jérôme Minière; Scott Matthew; Vega
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