Nine Inch Nails - Hesitation marks

Polydor / Universal
VÖ: 30.08.2013
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Das zerbrechliche Leben
Wir schwirren kurz zurück ins Jahr 1989: Trent Reznor, damals blutjunger Mittzwanziger, prügelte die letzten Sargnägel in den Sound der 1980er. Das Debüt "Pretty hate machine" war eine tanzbare Kampfansage an alles, was musikalisch die Jahre zuvor schief gelaufen war. In der Rückschau hört sich dieses Album sehr alt und verbraucht, aber keinesfalls schlecht an, auch wenn es immer irgendwie unterschätzt wird. Für "Hesitation marks" wildert Reznor nun in diesen alten Songs, baut einen ideologisch ähnlichen Unterbau wie damals auf "Pretty hate machine". Vergleichsweise tanzbar ist dieses achte Studioalbum geworden, auch wenn man sich manchmal ziemlich die Glieder verrenken muss, um nicht wie ein Depp auszusehen, wenn die Beats doch mal wieder seltsame Kapriolen schlagen.
Wir schwirren kurz zurück ins Jahr 1994: Reznor veröffentlicht mit "The downward spiral" eine suizidale Großtat, die in Sachen Aggression, Bösartigkeit und Weltekel ihresgleichen sucht. Obwohl Reznor eigenen Angaben zufolge erst nach dieser Platte depressiv wurde, ging es nicht mehr weiter hinab in die Hölle. Alles liegt in Scherben, Chaos regiert. "Hesitation marks" greift von Nine Inch Nails' zweitem Studioalbum vor allem zu Beginn einiges an Rhythmen und Beats ab. "Copy of a" und "Came back haunted" bedienen sich gefühlt besonders am großen Hit "Closer". Auch das wunderbare und für Reznors Verhältnisse nach hinten raus ungewohnt freundliche "All time low" umkreist "The downward spiral" zumindest fragmentarisch. "Hesitation marks" ist in seiner Gesamtheit aber viel aufgeräumter als der große Niederschlag aus der Mitte der 1990er.
Wir schwirren kurz zurück ins Jahr 1999: Mit "The fragile" bastelt sich Reznor seine eigene Krone. Ein Album, das noch megalomanischer ist als "The downward spiral" und unter dem alle anderen Veröffentlichungen bis heute leiden müssen. Auch "Hesitation marks": Wieder sind es "Copy of a" und "Came back haunted", die gleichermaßen "Into the void" und "The big come down" aus dem 1999er Meisterwerk beleihen – und nie an diese beiden Stücke heranreichen. Auch "The hand that feeds" vom wohl enttäuschendsten Album "With teeth" stand hier Pate – doch irgendwie ist diese "nur" sehr gute Ansammlung einzelner Stücke nach sechs Jahren Wartezeit fast etwas wenig. Und woher Reznor zwischendurch den sympathisch simplen Rocksong "Everything" entliehen hat, bleibt ein Rätsel.
Wir schwirren kurz zurück ins Hier und Jetzt: "Hesitation marks" setzt sich also musikalisch auf eine ganz eigene Art zwischen "Pretty hate machine" und "The downward spiral". Zwischen den latenten Drang zum Suizid und das letzte komatöse Aufbäumen. Aber eben nicht nur. Und auch nicht so ganz. Reznor bedient sich der bekannten Soundmuster – geschenkt, dass er kein Bob Dylan mehr wird und stattdessen lieber immer um sich und die gewohnten Themen kreist. Dennoch erschafft aber mit diesem Album Collagen und Landschaften, die man bisher so von ihm nicht kannte. "Hesitation marks" ist sicherlich das künstlerisch interessanteste Nine-Inch-Nails-Album seit dem Überwerk "The fragile". Je länger diese Platte dauert, desto mehr ist sie ein Stinkefinger an die Erwartungen und klingt bisweilen wie eine von Reznors zeitweise famosen Remix-Sammlungen. Vieles wirkt dekonstruiert, als hätte er bewährte Schablonen genommen und diese in penibelster Kleinstarbeit geschrottet, um sie mit kleinen, elektronischen Spielereien in neuem Licht erstrahlen zu lassen. Kaum mehr sägende Gitarren, die die dicke Luft zerschneiden. Reznor schreit nicht – Reznor flüstert, haucht, schweigt, scheint in sich einzukehren, langsam Ruhe gefunden und Frieden mit der Welt geschlossen zu haben. Der Leidende ist nicht mehr nur äußerlich gestählt. Vorbei, das zerbrechliche Leben.
Highlights
- All time low
- Satellite
- Running
- In two
Tracklist
- The eater of dreams
- Copy of a
- Came back haunted
- Find my way
- All time low
- Disappointed
- Everything
- Satellite
- Various methods of escape
- Running
- I would for you
- In two
- While I'm still here
- Black noise
Gesamtspielzeit: 61:50 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Dumbsick Postings: 431 Registriert seit 31.07.2017 |
2024-01-31 11:41:51 Uhr
Würde es auch als letztes einräumen. Hat einige gute Sachen drauf (Find my way, copy of a oder disappointed) aber packt mich als Ganzes nicht so. |
Affengitarre User und News-Scout Postings: 11307 Registriert seit 23.07.2014 |
2024-01-31 09:07:19 Uhr
Das gilt ja aber für alle ihre Alben. :-)Ja auf jeden Fall! Hier wertet das für mich nur auch die insgesamt schwächeren Songs ein Stück auf. |
fuzzmyass Postings: 18042 Registriert seit 21.08.2019 |
2024-01-31 08:36:04 Uhr
Finde es durchgehend stark und besser als z.b. the slip |
Felix H Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 10349 Registriert seit 26.02.2016 |
2024-01-31 08:27:52 Uhr
Das gilt ja aber für alle ihre Alben. :-)Bin auch bei 7/10 letztlich. |
Affengitarre User und News-Scout Postings: 11307 Registriert seit 23.07.2014 |
2024-01-30 22:28:27 Uhr
Jap, bei schwächstem Album der Band gehe ich mit, auch wenn es dank der detaillierten Produktion gerade mit Kopfhörern eine Menge zu entdecken gibt. |
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Referenzen
Tweaker; Marilyn Manson; Saul Williams; Black Light Burns; Team Sleep; Gary Numan; Skinny Puppy; Shock Therapy; Stabbing Westward; Gravity Kills; Machines Of Loving Grace; VAST; Orgy; Filter; The Young Gods; Foetus; Ministry; KMFDM; Mindless Self Indulgence; Cortizone; Boom Boom Satellites; Halo In Reverse; My Life With The Thrill Kill Kult; Misery Loves Co.; Atari Teenage Riot; Meat Beat Manifesto; Death In Vegas; Urlaub In Polen; 65daysofstatic; From Monument To Masses; Vex Red; Sunna; The Cooper Temple Clause; Depeche Mode; Recoil; Primal Scream; Curve; Killing Joke; Wire; Suicide; Downer; Archive; Radiohead; A Perfect Circle; Tool; Deftones; Cex; 30 Seconds To Mars; Linkin Park
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