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Modern Life Is War - Fever hunting

Modern Life Is War- Fever hunting

Deathwish / Indigo
VÖ: 06.09.2013

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Wild at heart

In den Herzen ihrer Hörer waren sie nie wirklich weg. Und vielleicht deshalb: Als Modern Life Is War am 9. August 2013 zum ersten Mal seit mehr als fünf Jahren eine Bühne betraten, in Originalbesetzung, war Ausnahmezustand. "This is hardcore" hieß das Festival, auf dem Modern Life Is War sich erstmals wiedervereinigt zeigten, auf dem sie gemeinsam mit Kid Dynamite, Sick Of It All und vielen anderen vier Sommertage im August noch ein wenig heißer machten. In der Spitze bis zu 3.000 Menschen hatten sich in die Electric Factory in Philadelphia, Pennsylvania gedrängt – puh. In der Stadt, in der der Kinokult Rocky Balboa sein Zuhause hat, ging niemand zu Boden. Und in Phillys Electric Factory, dieser zum Konzertsaal umgebauten Lagerhalle, dort, wo einst Reifen gelagert wurden, genau da schien jetzt nichts und niemandem mehr die Luft auszugehen. Die vorher angestaute Vorfreude entlud sich wuchtig: in Wellen an Menschenmassen, die in Richtung Bühne schwappten. In Scharen an Stagedivern, die niemand mehr halten konnte. In Hardcore-Songs wie Manifesten, die Modern Life Is War zum ersten Mal seit 2008 wieder live spielten: "By the sea". "First and Ellen". "D.E.A.D.R.A.M.O.N.E.S.". Vielen der Anwesenden mag es wie ein Wunder vorgekommen sein, sie alle wiederzusehen: Band – und Songs. Dabei dokumentieren Modern Life Is War mit ihrer neuen Platte "Fever hunting", dass sie gar nicht anders konnten. Dass es für sie keine Alternative gab, als doch noch weiterzumachen. Irgendwann.

Modern Life Is War waren Getriebene, sind Getriebene, werden immer Getriebene sein. Und wie sehr sie das sind, zeigen sie auf "Fever hunting" vom Startschuss weg: Die erste ausgewachsene Nummer der Platte, "Health, wealth & piece", ist mindestens so gefährlich wie die Band Modern Life Is War. Zwischen den eingängigsten Riffs, die diese Band seit Menschengedenken geschrieben hat, tun sich hinweisschildbedürftige Abgründe auf: Denn unter all den für Hardcore verdächtig aufgeräumten Beats und den wuchtig geschrubbten Gitarren brüten Schwermut, Wut – und Zerrissenheit. Diese Zerrissenheit hat bei Modern Life Is War seit jeher einen Namen: Jeffrey Eaton. Er gibt und gab seiner Band eine Stimme, seine Stimme, eine bemerkenswerte Stimme. So auch hier: Immer dann, wenn Eaton kurz davor ist, so etwas wie eine Melodie anzudeuten, bellt er weiter. Immer dann, wenn die Musik ins Stocken gerät, treibt er sie mit seinem verzweifelten Reibeisen an. Er ist der Katalystator, Primus inter Pares, er verleiht Songs ein Gesicht und Projektionsfläche. Und in "Health, wealth & piece" streckt er sich noch ein wenig weiter, charakterisiert sich und eine Band, die fünf Jahre ohne Modern Life Is War hinter sich hat: "Accepting myself, accepting my condition / Avoiding attachment and following my vision", keift er in Zeilen, die Ausdruck dafür sind, dass Eaton sich selbst gefunden hat, noch selbst findet. Völlig ruhelos und zornig wie mit Anfang Zwanzig mag Eaton also nicht mehr sein. Im Herzen rastlos ist er noch genau so wie der Rest der Band, der sich in der fünfjährigen Auszeit mitunter mit Jobs als Lkw-Fahrer über Wasser hielt. Immer auf der Straße, immer irgendwohin, immer was los.

Was übrigens gut so ist. Wie Modern Life Is War die Welt sehen, weisen sie schon in ihrem Bandnamen aus: als Kampf, und wenn es bloß einer gegen sich selbst ist, wie in "Health, wealth & piece" zum Thema gemacht. Dabei haben sich Modern Life Is War schon immer Fronten in der eigenen Szene, direkt vor der eigenen Haustür, geschaffen. Und ihr ganzes Bandsein zum Kampf erklärt: "The fever hunt rages on inside my head", keift Eaton im Titelstück der Platte, er macht das nicht einmal, nicht zweimal, nicht dreimal. Wie ein Mantra schreit er es immer und immer wieder, mehrmals im Song, die Riffs im Hintergrund bocken im Rhythmus seiner Zeilen, stellen sich quer, schieben Eaton schließlich raus aus seiner Endlosschleife. Und nichts könnte ein besseres Sinnbild von Band und Album entwerfen als dieses eine Titelstück. Viel zu schleppend ist es gespielt, als dass es manchem Pöbel auf Hardcore-Konzerten gudde Laune machen dürfte. Immer wieder täuscht es Breakdowns, Moshparts und anderen Zielgruppen-Quark an, der dann doch nie kommt – ätsch. Stattdessen knicken Modern Life Is War in der Mitte der Nummer ein, nehmen noch einmal Anlauf, und Eaton greint erneut sein Mantra, ein allerletztes Mal. Die Riffs bocken. Dazwischen quietscht Feedback. Dann zieht jemand den Stecker – und aus.

Die restlichen Songs auf "Fever hunting" sind nicht weniger bemerkenswert. Im bockigen "Currency" reflektiert Eaton über seine Vergangenheit, über die Anfangstage in der Band, über eine Zeit, die vielleicht gerade gut zwei Platten her ist – für ihn aber drei Leben entfernt sein muss: "I lost my mind / goddamn you know it / took some time to find a balance to check myself." "Cracked sidewalk surfer" ist eines der wenigen Stücke, in denen Modern Life Is War durchlauferhitzen, ihr Tempo anziehen und durchstarten wie eine Silvesterrakete, deren Lunte gerade ihre Halbwertszeit überschritten hat. Es ist ein teuflisches Gefühl, als hätte man gerade den Scheitelpunkt einer endlosen Achterbahnauffahrt hinter sich – und dann geht’s abwärts. Der Fahrtwind zaust einem durchs Haar, nichts kann die Platte jetzt noch stoppen. Nächste Ausfahrt: Frontalaufprall. "Fever hunting" zeugt von großartigem Gespür für Dramatik und dem, was der Autor eine "Spannungskurve" nennt: Gelegentlich spielen Modern Life Is War ihre Hörer in ihrer latenten Aggression regelrecht mürbe, bauen Fallhöhen auf, schüren Erwartungen. Dann kommt alles anders, dann reißen sie genüsslich alles nieder: im verschreibungspflichtigen "Chasing my tail" sogar sich selbst. Während alldem singt eine Leadgitarre Melodien, wie sie nur bei Modern Life Is War Melodien singt: niemals so eingängig, dass irgendjemand Modern Life Is War auf einem angesagten Punk-Sampler verwursten würde. Und dennoch brillant. Auf ihre Weise. Eine getriebene, rastlose Weise, versteht sich. Wohin jetzt, Modern Life Is War?

(Sven Cadario)

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Highlights

  • Health, wealth & peace
  • Dark water
  • Currency

Tracklist

  1. Old fears, new frontiers
  2. Health, wealth & peace
  3. Chasing my tail
  4. Media cunt
  5. Blind are breeding
  6. Fever hunting
  7. Dark water
  8. Brother in arms forever
  9. Currency
  10. Cracked sidewalk surfer
  11. Find a way

Gesamtspielzeit: 30:56 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
...eine Banane hat doch soviele Gräten
2013-10-05 20:38:39 Uhr
bestes Album dieses Jahr ... bin echt begeistert .
ich stelle es auf die gleiche stufe wie witness
Amazone
2013-09-11 13:39:46 Uhr
Schon zum zweiten Mal verschoben, sollte ursprünglich bis zum 06.09. auf dem Tisch liegen. Jetzt angeblich am 20.09.

floesn

Postings: 162

Registriert seit 14.06.2013

2013-09-05 12:37:42 Uhr
Schließe mich eric 1:1 an. Vorher nie gehört, jetzt gutes Album.

eric

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 2794

Registriert seit 14.06.2013

2013-09-05 10:40:20 Uhr
Hui. Gutes Ding, dabei kannte ich die Band vorher nur vom Namen.

Delirium

Postings: 366

Registriert seit 16.06.2013

2013-09-04 09:52:59 Uhr
Den reinen Effekt der ersten beiden Alben kann es natürlich nicht toppen. Das liegt wohl am Alter - an meinem und am Alter dieses Stils. Aber besser als es ist, hätte es kaum werden können, ohne den Hintergrund beinah gleichauf mit Witness.
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