Geneviève Toupin - The ocean pictures project

Disques Nomade / Broken Silence
VÖ: 30.08.2013
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10

Für neue Ohren
In den langsam dunkel werdenden Herbstabenden, wenn durchnässte Einsamkeit und zittrige Kälte von einem allein bleibenden Wind durch die Türritze in den Hausflur geweht werden, singt Geneviève Toupin von Veränderung, flüchtigen Bekanntschaften, Leidenschaft, Abstumpfung und Trost. Dabei verweht ihre Stimme selbst wie das welke Laub an den Bäumen zu zarten Songtupfern, die dermaßen fragil sind, dass sie schon bei dem kleinsten Wort zu zerfallen scheinen. Gäbe es eine Möglichkeit, leise zu schreiben, wäre diese Rezension der richtige Ort.
Jede Komposition von "The ocean pictures project" ist ein wahres Kunstwerk, ein ästhetisches Kleinod, das Geheimnisse birgt. Mit der Zeile "I wanna close certain doors" eröffnet Toupin ihr neues Projekt, das sich zur Aufgabe gemacht hat, den Hörer unverzüglich in den Bann zu schlagen. Leises, klassisches Piano trifft auf eine Stimme, welche die Welt aufwirbelt wie eine Silhouette vor einem Flammenpanorama. "Open something up" geriert sich als Serenade im besten Wortsinn, vor dessen gravierender Melancholie selbst die hinter dichten Wolken verborgenen Sterne verblassen. Der spärliche, von Gitarrenpickings getragene Folk in "My name" verbindet ein Maximum an Schönheit und ein Minimum an Vitalität. Toupin verleiht jedem ettiketierbaren Label eine neue Einkleidung und zeigt das Gegenteil von grobsinnlicher Hörbarmachung des Trennungsschmerzes auf.
Erinnerte Vergangenheit wird in "Popsicle" mit schlichter Singer-Songwriter-Instrumentierung zu einer wahren, berührenden symphonia tragica. Der Western-Stil von "Barren season" dagegen verwandelt sich zu einem als tumultuös zu nennenden Südstaatenrocker, den die banjo-dominierte Deklination von Country in "Desert and ocean" aufgreift. Natürlich sind diese "Ausbrüche" einzig in dem Kontext der Ruhe zu hören, der bereits etabliert wurde sowie von "Leaving me" und dem entkörperlichten "Lake Winnipeg, just before we saw the UFO" mit sachten Slide-Gitarren weiter installiert wird.
"Boundaries and borders" sowie "Clarity prayer", mit sonnenbestäubtem Soul, finden wieder zur kontemplativen Ruhe eines prasselnden Holzfeuers zurück, aber mit starker und einnehmender Glut. Wie Toupin ihre Silben intoniert, kann Tränen in die Augen treiben. Das abschließende und konventionell scheinende, zu einem instrumentalen Skelett reduzierte "Birds" zeigt, was Marcel Proust einst über Entdeckungsreisen sagte: Es komme nicht darauf an, neue Landschaften zu suchen, sondern darauf, mit neuen Augen zu sehen. Toupin braucht keine Neuerfindung der Welt. Eine sensible Reorganisation reicht vollkommen. Auch jede Hörerin und jeder Hörer wird nach "The ocean pictures project" mit neuen Augen auf die musikalische Welt blicken. Pardon, diese mit neuen Ohren hören.
Highlights
- Open something up
- My name
- Desert and ocean
Tracklist
- Open something up
- My name
- Popsicle
- Barren season
- Desert and ocean
- Storm song
- Leaving me
- Lake Winnipeg, just before we saw the UFO
- Boundaries and borders
- Clarity prayer
- Birds
Gesamtspielzeit: 31:22 min.
Referenzen
Brandi Carlile; Elysian Fields; Ingrid Michaelson; Missy Higgins; Chris Pureka; Anna Nalick; Dar Williams; Kris Delmhorst; Lori McKenna; Chely Wright; Sara Bareilles; KT Tunstall; Lissie; A Fine Frenzy; The Weepies; Ani DiFranco; Sarah McLachlan; Lucinda Williams; Allison Moorer; Amy Stroup