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Middle Class Rut - Pick up your head

Middle Class Rut- Pick up your head

Bright Antenna / ADA / Warner
VÖ: 05.07.2013

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Möge die Wut mit Dir sein

Irgendwann, irgendwo bei einem Akustik-Konzert von IAMX. Sänger Chris Corner lehnt sich ans Mikrofon und nuschelt diesen einen Satz: "Anger is a good emotion... use it." Wenn es einen Satz auf Erden gibt, der die kieferbrechende Wucht und die Nackenhaar-aufrichtende Großartigkeit des Zwei-Mann-Wut-Großorchesters Middle Class Rut am prägnantesten beschreibt, dann diese eine plakative Phrase. Nicht, dass das gigantomane Angermanagement von Sänger/Gitarrist Zack Lopez und Drummer/Sänger Sean Stockham auch nur im Geringsten etwas mit der artifiziellen Hochglanz-Elektronik des heute bei Berlin lebenden Sneaker-Pimps-Gründers zu tun hätte. Aber was einem begabten Künstler wie Corner im Affekt eines berührenden Gigs gerade billig ist, ist für Plattentests.de als Aufhänger natürlich genau richtig.

Das Debüt "No name no color" von Middle Class Rut war und ist nach wie vor reine Kolossalität, pure Beschleunigungsenergie, eine wahnwitzige Abfahrt zwischen Neo-Grunge, derbem Alternative-Noise-Rock und bissigem Posthardcore. Angekotzt von allem, was atmet und soziale Funktionen erfüllt, stehen zwölf Songs, aufgereiht wie ungesicherte Starkstrombuden an einem überschwemmten Flussufer. Der Clou ist, dass Lopez/Stockham diese in unkanalisierter, wilder Wut aus zwei kräftigen Pferdelungen regelmäßig zum Supergau getrieben haben, indem sie das kalte Nass direkt in den Drehstromtransformator reinpumpten. Pissed as pissed can be. Bei dermaßen lautem Zornappell kann man auch mal den Kopf verlieren. Deshalb heißt es jetzt: "Pick up your head". Also hoch mit den Scheiteln, denn angepasst sein an eine kaputte Welt ist nur mit Irrsinn bezahlbar. Und Irrsinn müsste demnach das neue "Normal" sein. Denkst Du.

Wo früher ein "Busy bein' born" reklamiert wurde, kommt heute mit "Born too late" eine verdreckte, rauhe, krachige Postpunk-Lärm-Attacke, welche die Rotkäpchenbacken angefetteter Gutbürger beim Glühweinpunsch auf dem Weihnachtsmarkt wegbrennt. Abgemischt vom grammyschweren Dave Sardy fliegen die Akkorde wie Schrappnellkugeln, während Lopez vor lauter Ingrimm seine Stimmbänder zum fröhlichen Yuppi-Ankotzen bringt. Nach "No name no color" kann die Welt kaum angeschissener sein als heute. Das schiebt zumindest "Leech" mit gurgelndem 1970er-Glam und schepperndem Backbeat sowie der Zeile "I can't hold on" vor die geistige Umnachtung dämlicher Gestalten, die nichts besseres zu tun haben, als andere in Ermangelung eines eigenen Lebens anzumachen. Eigentlich ist alles enttäuschend, nichts kann man recht machen. Trotz ständiger Inkommodationen von Pissnelken verkündet das stampfende "Weather vein": "It's better to hide your life than to walk away." Da schiebt das Duo wieder ihren langen Mittelfinger vor alles und jeden, untermauert von dezenter Percussion, und macht den Noise mit Cowbell gleich noisiger. Das hat man auch nicht anders verdient.

In "No more", einem Song, der nur via superlativischer Superlative beschreibbar ist, kriecht angriffsbereiter Geifer hinter Lopez' schichtengestapelte Gitarrenarbeit und Stockhams monoton geloopten Funkrhythmus, der - neben einer Grandiosität von Refrain - in einen unbezahlbar gereiften Mittelteil auffährt und verkündet: "Take a look in the mirror, take a look at yourself." Kathartisch, ja emphatisch ist das - und schlicht größer als jede Rockoper. Konkurrenz bekommt dieser Song von "While you slave", dessen alternierende Arschauf-Gitarren und ebenso knurrend wie tobend vorstoßende Vocals mit auflehnender Verzweiflung gegen einen Einbahnstraßen-Job flankieren: "Sucking the life out of me!"

Braucht's mehr? Unbedingt. "Dead eye" kommt wie eine Flutwelle und gibt dem Begriff Powerballade gleich eine lexikalische Umbenennung. Und schließlich bereiten das angerapte und im Stil lateinamerikanischer Stimmung angetönte Titellied, das genialische "Police man" (Stichwort Refrain: "You better stay away she's a police man) sowie das endgültig im eindeutig besseren "Territorial pissings" angekommene "You don't belong" der gesäßzerfransenden Coolness des Drecksaurockers "Aunt Betty" die Bühne. Eben hier toben sich Middle Class Rut dann nochmal so richtig aus: "Aunt Betty's on the warpath you got to run / She don't eat, don't sleep, don't fuck no one." Darauf resümiert das abschließende "Take a shot" mit Klavier und resigniertem Kopfschütteln die stillen Enttäuschungen des Lebens. So muss das sein. Galle auf das abgetrennte Haupt eines jeden, der diese Offenbarung von einem Album nicht abfeiert.

(Peter Somogyi)

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Highlights

  • No more
  • Sing while you slave
  • Aunt Betty

Tracklist

  1. Born to late
  2. Leech
  3. Weather vein
  4. No more
  5. Cut the line
  6. Sing while you slave
  7. Dead eye
  8. Pick up your head
  9. Police man
  10. You don't belong
  11. Aunt Betty
  12. Take a shot

Gesamtspielzeit: 40:36 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

noise

Postings: 919

Registriert seit 15.06.2013

2016-03-04 22:22:11 Uhr
Hört sich tatsächlich wie MCR - also gut - an. Hätte er doch gleich unter dem Bandnamen weiter machen können. Denke bei solo Sachen macht man doch was anderes als mit seiner "Hauptband". Oder aber MCR haben sich aufgelöst.
Mittelschicht
2016-03-04 10:34:11 Uhr
Wohl war, leider auch vorerst auf längere Zeit der letzte MCR-Output. Zack Lopez geht derweil auf Solo-Pfade und veröffentlichte bereits einen trotz allem sehr nach MCR klingenden Track seines bald erscheinenden Albums.

http://consequenceofsound.net/2015/12/middle-class-ruts-zack-lopez-announces-subscription-service-shares-i-dont-know-listen/

Der Untergeher

User und News-Scout

Postings: 1827

Registriert seit 04.12.2015

2016-03-03 21:48:32 Uhr
Tolles Album, immer noch!
Hey
2013-08-14 19:42:57 Uhr
Die beiden Bonus Songs auf der Deluxe Exclusive Version mit "I Need to know" und und "Nothin" haben es aber gewaltig in sich und stehen den Songs auf dem regulärem Album in nichts nach...vor allem "Nothin" ist ein Hammertrack.
So isses
2013-08-03 20:11:19 Uhr
Pick up your Head ist enttäuschend, wenn man das Debut kennt.
das Debut kommt hier mit ner 6/10 weg, wobei die neue knapp an einer 9/10 vorbei schrammt?
die rezi lobt das debut in den höchsten tönen, aber keine Erklärung warum eine 6/10?
No Name, no Color ist eine von anfang bis ende geniale scheibe von aggressiver Rockmusik.
auf puyh sind nur noch Fragmente davon zu hören.
ein klarer Rückschritt.
kauft euch lieber das debut.
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