Pharmakon - Abandon

Sacred Bones / Cargo
VÖ: 17.05.2013
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Madig gemacht
Manche Leute sagen über sich selbst, sie lieben alle Tiere. Margaret Chardiet gehört vermutlich nicht dazu. Nicht, seitdem sie einen alten Liebesbrief hervorkramte, dem seinerzeit eine Blume beigefügt war. Dieser hatte nämlich in der Zwischenzeit begonnen, ein wuselndes Eigenleben zu führen, so dass der 22-Jährigen plötzlich unzählige Maden auf die Figur plumpsten. Zweifelsohne ein traumatisches Erlebnis - festgehalten auf dem Cover von "Abandon", damit auch der Hörer beziehungsweise Betrachter etwas davon hat. Folgerichtigerweise, denn die Amerikanerin mit der musikalischen Sozialisation in der experimentellen Underground-Szene New Yorks sucht seit jeher den Kontakt zum Publikum mittels "uncomfortable / confrontational ways". Ziel erreicht: Es winkt verschärfte Ekelhaft. Hören will man da eigentlich schon gar nichts mehr.
Bereits der Schrei, mit dem "Milkweed / It hangs heavy" dieses Album eröffnet, ist markerschütternd - und ebenfalls mit Schreien dürfte mancher Hörer "Abandon" quittieren, bevor er das Weite sucht. Sorry für das potenzielle Missverständnis: Gemeint ist im vorigen Absatz nicht etwa jene Underground-Szene, in der sich lustig bebrillte Rocker-Racker und Ladies wie Karen O herumtreiben, sondern die, deren Angehörige sich zum Ziel gesetzt haben, Musik zu machen, die keine ist. Die Zutaten sind schreiende Transistoren, ultrastoische Rhythmen, berstender Lärm und höllische Flüche, das Genre heißt Power Electronics und entstand in England Anfang der achtziger Jahre, als Extrem-Performer wie Whitehouse oder Sutcliffe Jügend zu ohrenbetäubendem Soundgemetzel perverse Sexualpraktiken propagierten und verurteilten Massenmördern huldigten.
Chardiet hingegen hält sich nicht mit plumpen Provokationen auf, sondern geht ans Eingemachte - und wie genau die gemäß eigener Aussage grundlegenden Veränderungen ihrer Lebenssituation zur Zeit der Aufnahmen aussahen, möchte man sich lieber nicht vorstellen, wenn sie solch furchterregende klangliche Blüten treiben wie hier. Unablässig quillen stählerne Percussion-Hiebe, potenziertes weißes Rauschen und abgrundtiefe elektronische Vibrationen wie marodierende Heuschreckenschwärme aus einem Powerbook, das unter der vernichtenden Geräuschlast jeden Moment zu verglühen droht. Die wahrscheinlich haarsträubenden Themen entnehme man bitte den Titeln der Tracks - Chardiets gepeinigte, x-fach gedoppelte und bis zur Unkenntlichkeit zerhackte Schreie lassen jedenfalls kaum inhaltliche Schlüsse zu. Zum Glück, möchte man fast sagen.
Allen, die es für finster und gemein halten, wenn zerfetzt gekleidete Jungspunde einen auf Hype machen und mit starr hypnotisierendem Blick analogelektronische Knallfrösche durch die Gegend schmeißen, kommen also um "Abandon" nicht herum - allein um der Erkenntnis willen, dass sämtliche Witch-House-Bands gegen Pharmakon lediglich ungezogene Kids sind, die mit Edding Dreiecke an Häuserwände schmieren. "Abandon" hingegen ist so perfide, gnadenlos und ultraböse, dass das Hinhören zuweilen wehtut. Trotz eines halbgaren Friedensangebots zum Schluss: "Crawling on bruised knees" drischt zu zerstückelten Vocals immerhin einen so rigiden Stampfbeat, dass faulig atonalste Swans in ihrer Ganzfrühphase durchschimmern. So, dieser Name musste noch fallen - auf dass nun auch der letzte Hipster hoffentlich zutiefst verstört ist.
Highlights
- Crawling on bruised knees
Tracklist
- Milkweed / It hangs heavy
- Ache
- Pitted
- Crawling on bruised knees
Gesamtspielzeit: 26:56 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
Industrie |
2017-04-05 13:00:18 Uhr
Derartige "Musik" habe ich mir mit Anfang bis Mitte 20 mit Begeisterung reingezogen. Bin auch froh, dass es Künstler gibt, die sich so weit ins Unbekannte herauswagen. Aber freiwillig höre ich mir das wohl nur sehr, sehr selten an, wenn überhaupt. Und Khanate waren genialer, die auf ihre eigene Weise zwischen lauter Schmerzen, Fetzen und Fragmenten auf eine schwer zu greifende Weise noch musikalisch waren. |
Generation Hochinnovation |
2014-10-16 10:20:30 Uhr
Klare 10/10. Kultige und hochinnovative Mischung aus Alt J, The Swans und Kid A. |
Pitchiejünger |
2014-10-15 16:08:40 Uhr
Ich habe das Album heute morgen bestellt! |
BNM |
2014-10-15 16:02:36 Uhr
bei Pitchie |
retro |
2014-10-15 11:20:52 Uhr
ich fand sie als vorprogramm der swans auch ganz interessant, aber mehr als diese ca. 20 minuten hätte ich jetzt auch nicht unbedingt hören wollen. werde mir das neue album aber trotzdem mal antun. |
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Referenzen
Puce Mary; Carter Tutti Void; Throbbing Gristle; Hands Rendered Useless; Prurient; Brighter Death Now; Diamanda Galás; Anna Von Hausswolff; Factory Floor; Former Ghosts; Vår; Vatican Shadow; Alec Empire; Nic Endo; Whitehouse; Sutcliffe Jügend; Genocide Organ; Ramleh; Consumer Electronics; Dissecting Table; :Stalaggh:; The Grey Wolves; Coil; Controlled Bleeding; Swans; SPK; Sleep Chamber; Vagina Dentata Organ; Hunting Lodge; The Sidewinder; Curse Of The Golden Vampire; Decree; 23 Skidoo; Monte Cazazza; Ain Soph; Haus Arafna; Non; Maria Zerfall; Muslimgauze; Nocturnal Emissions; MZ.412; Nexus Kenosis; Coph Nia; Fuck Buttons; Cold Cave; Zola Jesus; Fever Ray; Julia Holter; Gazelle Twin; Robert Rental; Thomas Leer; John Maus; Black Marble; Lust For Youth; Salem; Tearist; White Ring; oOoOO; //TENSE//
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