Aufgang - Istiklaliya

Infiné / Rough Trade
VÖ: 10.05.2013
Unsere Bewertung: 5/10
Eure Ø-Bewertung: 3/10

Mal im Ernst
E und U. Die beiden kürzesten und vielleicht ältesten Schubladen in der Geschichte der Musikkategorisierung stehen prototypisch dafür, wie wenig befriedigend der Versuch einer eindeutigen Zuordnung häufig endet. "Ernst" und "unterhaltend" als die allesumfassenden Überkategorien zu definieren, darf wohl getrost als eine der größten Schnapsideen der Musikgeschichte bezeichnet werden. Aber das Ausmaß der zwangsläufigen Überschreitung dieser Bereiche verdient zumindest Abstufungen. Wer es sich wie Aufgang zum Ziel setzt, mit zwei Konzertflügeln, einem Schlagzeug und beliebig vielen elektronischen Klangerzeugern eine Mischung aus Klassik, Minimal Music, technoider Elektronik und irgendwas in Richtung Post-Rock zu kreieren, gehört wohl schon zu den Hardlinern unter den Crossover-Musikern.
Nach einer Reihe gefeierter Konzerte versuchen Aufgang auf ihrem zweiten Album noch stärker als auf dem Debüt die Live-Atmosphäre auf Platte zu pressen. Das gelingt vor allem, weil das Schlagzeug rotziger, weniger fett produziert rüberkommt und "Istiklaliya" generell schön handgemacht klingt. Im Studio soll Improvisation eine große Rolle gespielt haben – das Ergebnis ist dafür erstaunlich rund, aber Francesco Tristano und Rami Khalifé sind Weltklasse-Pianisten. Nicht umsonst haben sie das berühmte Juilliard-Musikkonservatorium in New York besucht. Doch trotz aller spielerischer Raffinesse, trotz spürbarer Leidenschaft, die in dieser Musik steckt, will der Funke nicht so recht überspringen.
Gemeinsam mit Aymeric Westrich, der schon für Cassius getrommelt hat, prügeln sich Tristano und Khalifé durch 9 Titel plus Hidden Track und setzen vor allem auf den atmosphärischen Gesamteindruck ihrer Musik. Es fehlt dem Album aber in vielerlei Hinsicht an ausreichend Abwechslung, um eine knappe Stunde durchzuziehen ohne anstrengend zu werden. Das Trio beschränkt sich über weite Strecken auf recht einfaches Songwriting und nach ein paar Songs sind die zentralen Sounds allesamt bekannt. Die Platte wird schnell zu seicht, die Melodien zu plakativ, die Songs zu undifferenziert. Und "Istiklaliya" erfindet weder den eigenen Bandsound neu, noch die Genre-Kreuzung.
Es lohnt sich aber doch, einzelne Stücke isoliert vom Rest anzuhören, sie aus der recht stabilen Einheit zu lösen, um die besonderen Momente nicht zu verpassen: "Diego Maradona" bringt alles, was "Istiklaliya" will, angenehm kompakt auf den Punkt: Ein treibender Schlagzeug-Beat bildet das Fundament für zuckende Piano-Töne neben verschiedensten Synthie-Klängen und immer schwingt das angenehme Gefühl von Spontaneität beim Einspielen mit. "African geisha" fällt angenehm auf, weil das Schlagzeug sehr reduziert vorgeht, und "Balkanik" tanzt vergnügt zu Balkan-Klängen. So ist "Istiklaliya" letztendlich sehr wohl unterhaltende Musik, es ist aber empfehlenswert, sich die besten Häppchen herauszusuchen. Zu viele mittelprächtige Variationen verkleben den Magen.
Highlights
- Balkanik
- Diego Maradona
Tracklist
- Kyrie
- Balkanik
- Ellenroutir
- Vertige
- Abusement ride
- African geisha
- Diego Maradona
- Stroke
- Rachael's run
Gesamtspielzeit: 55:58 min.
Referenzen
Francesco Tristano; Danton Eeprom; Arandel; Raz Ohara; Stefan Obermaier; Venetian Snares; Carl Craig; Moritz von Oswald; Philip Glass; Ada; William Orbit; Mondkopf; Soul Keita; Rone; Spitzer; Jürgen Paape; Lindsey Stirling; Swann; Yanni; Fauve; Frivolous
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