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The Knife - Shaking the habitual

The Knife- Shaking the habitual

Rabid / Cooperative / Universal
VÖ: 05.04.2013

Unsere Bewertung: 6/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Viel Lärm um viel

Karin Dreijer Andersson und Olof Dreijer müssen Astrid Lindgren gelesen haben. Das unterstellen wir nicht nur, weil die beiden wie die Kinderbuchautorin aus Schweden stammen. Sondern vor allem, weil sie Geschlechterrollen hinterfragen wie Pippi Langstrumpf oder Ronja Räubertochter. Und weil sie gerne Radau machen - wie Lotta und die anderen Kinder aus der Krachmacherstraße. So klingt auch das neue Album von The Knife wie der stotternde Propeller von Karlsson vom Dach oder wie das Fauchen des Drachen Katla.

Vielleicht haben die beiden Geschwister aber auch einfach zu viel von Konrads Spezialkleber geschnüffelt - dies wird sich der eine oder andere angesichts 19-minütiger Geräuschexperimente und einer instrumentgewordenen Matratzenfeder sicherlich denken. Doch diese Sichtweise würde dem Anspruch dieses Werks nicht gerecht werden. Im Bücherschrank des Duos befinden sich nämlich nicht nur Schriften von Lindgren, sondern auch von Michel Foucault, Judith Butler und Frantz Fanon. Das aus dieser Lektüre gewonnene Destillat ist ein Konzeptalbum wider das Konzept von Rasse, Klasse oder Geschlecht.

Im selbstverfassten Pressetext, bei dem man getrost von einem Manifest sprechen kann, heißt es: "All over the dance floor we’re asking / Can this DNA turn into something else?" Die Frage, inwiefern der Mensch durch seine Biologie bestimmt ist, zieht sich wie ein zerfledderter roter Faden durch das Album. Sie spiegelt sich in der an Salt-N-Pepa angelehnten Textzeile "Let's talk about gender, baby / Let's talk about you and me" genauso wider wie in den Songstrukturen an sich, mit denen The Knife das Gewöhnliche durchrütteln wollen. "Shaking the habitual" ist poststrukturalistisch, postkolonialistisch, postfeministisch. Und manchmal auch ein wenig Kom-Post.

Sicher ist all das hochinteressant. Ja, sogar ein semi-lustiger, die Wohlstandsgesellschaft kritisierender Comic wird mitgeliefert. Doch die Musik droht unter dem Gewicht dieses hochintellektuellen Überbaus zusammenzubrechen. Lassen das stark perkussiv aufspielende "A tooth for an eye" und der Brutalo-Groove von "Full of fire" noch so etwas wie eine Gliederung erkennen, wird diese in "A cherry on top" vollkommen negiert. Geschlagene vier Minuten passiert hier so gut wie gar nichts. Doch plötzlich: Plung! Pling! Eine Zither! In Verbindung mit kryptischen Lyrics über Lebensmittel und ein schwedisches Schloss. Wahrhaft episch - epischer Schrott.

Vom gleichen Kaliber, wenn nicht sogar schlimmer sind die 19 Minuten Geräuschaneinanderreihung von "Old dreams waiting to be realized". Als wäre man betrunken auf einer Kunsthochschulparty in eine Klanginstallation gefallen und eingeschlafen. Eine Frechheit! "Fracking fluid injection" lässt dann zumindest die Idee erkennen, das umstrittene Tiefbohrungsverfahren zur Rohstoffförderung mittels der besagten Matratzenfeder und eines Violinbogens klanglich nachzubilden - was dann aber genauso fragwürdig und umweltschädlich wie die Methode selbst gerät.

So ist es die Krux dieses Albums, dass The Knife auf Teufel komm raus alle Strukturen einreißen wollen. Das Brechen von Konventionen wird zur Konvention. Doch sind die Schweden genau dann am besten, wenn den Tracks zumindest noch ein Hauch von Struktur innewohnt. So zum Beispiel dem von peitschenden Beats getragenen "Stay out here", bei dem sich Shannon Funchess von Light Asylum hinzugesellt, oder im hyperaktiven "Networking", das sich wie ein Zitteraal im Gehörgang windet. Spätestens hier fragt man sich dann, wie man all das bewerten soll. Wir haben uns für die Verlegenheitslösung 6/10 entschieden, da das Album zwischen himmelhochjauchzenden 9/10-Momenten und schmerzhaften 3/10-Episoden hin- und herpendelt. Aber ist es korrekt, hier unsere normalen Bewertungsmaßstäbe anzulegen - an etwas, das versucht, alle Maßstäbe zu sprengen? Wir wissen es nicht. Und genau das macht dieses Album so frustierend faszinierend.

(Marco Wedig)

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Highlights

  • Full of fire
  • Raging lung
  • Networking
  • Stay out here

Tracklist

  • CD 1
    1. A tooth for an eye
    2. Full of fire
    3. A cherry on top
    4. Without you my life would be boring
    5. Wrap your arms around me
    6. Crake
    7. Old dreams waiting to be realized
  • CD 2
    1. Raging lung
    2. Networking
    3. Oryx
    4. Stay out here
    5. Fracking fluid injection
    6. Ready to lose

Gesamtspielzeit: 96:15 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 19500

Registriert seit 10.09.2013

2022-11-23 10:47:04 Uhr
"Full of fire" und "Stay out here" sind sooo gut. Nur das Ambient-Ding hätte keine 20 Minuten dauern müssen.

peter73

Postings: 2016

Registriert seit 14.09.2020

2022-11-23 07:57:42 Uhr
weiterhin ein faszinierendes album.
9/10

listening-session with the knife?

mariobava

Postings: 105

Registriert seit 07.10.2015

2015-10-10 13:31:57 Uhr
"...dass viele Tracks für das gebotene zu lang sind oder nicht so recht auf den Punkt kommen."

Hab ich auch eine Zeit lang auch so gesehen.

Full Of Fire fand ich z.B. echt nervig. 10 Mintuten elektro auf das man aber nicht wirklich tanzen kann.

Und dann das Video...oh Gott.

Irgendwann hab ich das Album wieder rausgekramt und dann fand ich das Lied einfach Hammer.

"Old Dreams..." finde ich nach wie vor etwas deplaziert. Wirkt meiner Meinung nach dem Sog des Albums entgegen.

Watchful_Eye

User

Postings: 2709

Registriert seit 13.06.2013

2015-10-09 16:11:42 Uhr
Der Sound des Albums ist schon frisch und eigenständig, aber ich finde, dass viele Tracks für das gebotene zu lang sind oder nicht so recht auf den Punkt kommen. Ist daher für mich weit entfernt von einer 10.

Kann aber nachvollziehen, was einen daran "flasht". Hat schon einige sehr starke Momente.

mariobava

Postings: 105

Registriert seit 07.10.2015

2015-10-08 13:38:43 Uhr
Denke, es ist ein typisches Beispiel für ein Album das wächst. Mein absoluter Liebling auf dem Album ist CHERRY ON TOP. Es erinnert mich an Kabuki-Theater. Ich mag überhaupt diese Exotik in dem Album. Die Klänge, der Gesang. Ich weiss, dass klingt jetzt möglicherweise blöd, aber mich erinnert es u.a. an THE DREAMING von Kate Bush.
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