Sharptooth - Transitional forms

Pure Noise / Soulfood
VÖ: 10.07.2020
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10

Auf die Fresse (aber mit Haltung)
Im Hardcore ist "die primäre Emotion erst mal die Wut", gab Lauren Kashan vor nicht allzu langer Zeit dem Ox Fanzine zu Protokoll. "Und Frauen wird oft nicht gestattet, wütend zu sein, Männern hingegen ist es selbstverständlich erlaubt." Als Erklärung, warum da fast immer und ausschließlich straighte Kerle auf der Bühne herumturnen, mag das für sich genommen nicht hinreichend sein, denn anderen Szenen und Subkulturen geht es da nicht anders. Nur gehört es auch nicht zum Selbstverständnis und Anspruch beispielsweise des Death Metal, besonders aufgeklärt und progressiv zu sein. Anders im Punk und Hardcore, wo bei jeder Gelegenheit Respekt und Solidarität gefordert werden. Dass das Verhalten einiger Akteure und die männlich dominierten Strukturen diesen hehren Idealen widersprechen, ist tragisch, aber provoziert zum Glück auch Widerstand. Und es gibt sie, die Ausnahmen und Gegenbeispiele: Bands wie Team Dresch und die Queercore-Formation Go!, Laura Jane Grace von Against Me! und Candace Kucsulain von Walls Of Jericho. Oder jüngst: War On Women und die ebenfalls aus Baltimore, Maryland stammenden Sharptooth mit der eingangs zitierten Lauren Kashan am Mikrofon. Mit dem Debüt "Clever girl" und mitreißenden Liveshows auch in Europa hinterließ der Fünfer ein erstes, eindrucksvolles Ausrufezeichen.
Wut empfinden ist das eine, sie auch glaubhaft rüberbringen das andere. Sharptooth knallen dem verhassten Patriarchat mit Album Nummer zwei ein so dermaßen wütendes Brett vor den Latz, dass im Vergleich dazu mal eben locker 90 Prozent der handelsüblichen Genrevertreter einpacken können. Dabei bietet "Transitional forms", obwohl insgesamt deutlich düsterer und brachialer geraten als der Vorgänger, auf den ersten Blick wenig Ungewöhnliches oder gar Neues. Sharptooth warten mit für den Metalcore typischen Breakdowns und Moshparts auf, bauen aber hin und wieder auch komplexere Rhythmen ein und erlauben sich muntere Ausreißer wie das punklastige "153" oder "Nevertheless (she persisted)" mit Anleihen an den Post-Hardcore von Bands wie Touché Amoré. Die Produktion gestaltet sich passend dazu angenehm rau und dynamisch, wodurch Sound und Songwriting das ideale Fundament für Kashans kraftvolle Stimme legen. Die ist nämlich das eigentliche Highlight auf dieser Platte und deckt von klaren Gesangparts über atemlose Screamings und markerschütternde Growls eine unfassbare Palette ab.
Aber Wut benötigt nicht nur einen Ausdruck, sondern auch einen Anlass. Für Kashan liegt der nicht zuletzt aufgrund persönlicher Erfahrungen und Erlebnisse auf der Hand: Sexismus und sexuelle Gewalt, dazu Homophobie und Transfeindlichkeit – die ganze alte Kackscheiße also, die weder im Hardcore noch sonstwo wirklich überwunden ist. Sharptooth haben eine Message, und wenn die nicht alle gerne hören, ist das noch lange kein Grund, still zu sein. "It doesn't even matter what I'm saying here anyway / Can you even understand a fucking word I say?", heißt es im Opener "Say nothing (in the absence of content)", während die Crowd nur auf den nächsten "generic mosh call" wartet. Und diejenigen Herren der Schöpfung, die es zwar vielleicht gut meinen, aber ansonsten untätig bleiben, bekommen in "Hirudinea" einen dezenten Tritt in den Allerwertesten verpasst: "You're not a feminist / Just because you've fucked one." Das sitzt. Wobei "Transitional forms" nicht nur entschlossen zur Attacke bläst, sondern auch den eigenen Schmerzen, der Unsicherheit und dem Zweifel einen Platz einräumt. "I cannot give you the answers / The only thing certain is change." Weil Veränderung aber nicht vom Himmel fällt, sondern erkämpft werden muss, braucht es (auch) Musik wie diese.
Highlights
- Say nothing (in the absence of content)
- Hirudinea
- Nevertheless (she persisted)
Tracklist
- Say nothing (in the absence of content)
- Mean brain
- Life on the razor’s edge
- Hirudinea
- The gray
- Evolution
- 153
- The southern strategy
- M.P.D.B (Manic pixie dream bitch)
- Nevertheless (she persisted)
Gesamtspielzeit: 29:51 min.
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2020-07-08 20:48:04 Uhr - Newsbeitrag
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Referenzen
Walls Of Jericho; War On Women; Hatebreed; Terror; Boundaries; Pro-Pain; Death Before Dishonor; Stray From The Path; Madball; Blood For Blood; Poison The Well; Bane; Sick Of It All; Born From Pain; Raised Fist; Modern Life Is War; Counterparts; Lionheart; Refused; Norma Jean; Petrol Girls; Biohazard; The Hope Conspiracy; Killswitch Engage; Go!; Converge; Agnostic Front; Cro-Mags; Shai Hulud; A Wilhelm Scream; Comeback Kid; Black Flag; Heaven Shall Burn; Caliban; Against Me!; Propagandhi; Unearth; Gallows; Deez Nuts; Leftöver Crack; Touché Amoré; Defeater; Deutsche Laichen; Team Dresch; Bikini Kill; La Dispute; Bad Religion; Strike Anywhere; Rise Against; The Dillinger Escape Plan
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- Sharptooth - Transitional forms (1 Beiträge / Letzter am 08.07.2020 - 20:48 Uhr)