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Jahrespoll 2017 – Die Favoriten der RedaktionWow, was war das für ein Kopf-an-Kopf-Rennen: Mit The War On Drugs und The National waren zwei absolute Plattentests.de-Lieblinge lange gleichauf, doch am Ende stach Adam Granduciel die Jungs um Matt Berninger knapp aus: "A deeper understanding" ist nicht nur unsere aktuellste 10/10, sondern auch, logisch, das Album des Jahres 2017. Sonst noch bemerkenswert: Pop-Sternchen Lorde rangelt mit den Shoegaze-Legenden Slowdive um Bronze, während sich Father John Misty durchs Brusthaar fährt und Julien Baker ein Tränchen verdrückt. Außerdem in den Top 10: zwei astreine, piekfeine Rap-Platten von Loyle Carner und Vince Staples! Schottische Verhältnisse dagegen bei der Wahl zum besten Song: Kettcars Spoken-Word-Meisterwerk "Sommer '89 (Er schnitt Löcher in den Zaun)" triumphierte klar und darf sich nun somit offiziell Song des Jahres 2017 nennen. Freundliche Grüße von der Isar an die Elbe an dieser Stelle! Spitzenleistung auch: The National mit zwei Songs in den Top 10 vertreten. Dazu gibt es einen Sommerhit von Alvvays, den tollen Titeltrack der aktuellen Arcade-Fire-Platte und semi-ernstgemeinten Quatsch von der genialen Butterbirne Alex Cameron. Hirnverbrannter wird es nur auf Platz 19: wieder Cameron, dieses Mal zusammen mit Kumpel und Landsmann Kirin J. Callinan. Irre Friedenshymne, noch irreres Video. Checkt das! |
Album des Jahres |
Song des Jahres |
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1. The War On Drugs A deeper understanding |
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1. Kettcar Sommer '89 (Er schnitt Löcher in den Zaun) |
Gab es ein schöneres Song-Trio im Jahr 2017 als "Pain", "Holding on" und "Strangest thing"? In meinen Augen nicht. Ein musikalischer Roadtrip, selbst in den eigenen vier Wänden. "A deeper understanding" mag rhythmisch einfacher gestrickt sein als "Lost in the dream" und nicht so versatil. Aber es packt Dich am Ohr, schleift Dich zu ihrem Konzert und spielt auf Dich ein, bis Deine Skepsis "Amen!" ruft. Stephan Müller |
Es gab wohl viele, die sich von der Kettcar-Rückkehr eher wenig versprochen haben. Zu satt und auch etwas orientierungslos wirkte die Band zuletzt. Doch dann traten Wiebusch & Co. mit diesem Song als Vorboten sämtliche Türen ein. Plötzlich geht alles – die atemlose musikalische Umsetzung, die Spoken-Word-Geschichte, die sich nicht auf nur eine Message festnageln lässt. Kettcar sind wieder wichtig. Martin Smeets |
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2. The National Sleep well beast |
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2. The National Guilty party |
Jede Woche The-National-Dienstag auf Facebook – Ehrensache, zumal "Sleep well beast" erneut die Extraklasse der Band demonstrierte. "The system only dreams in total darkness" dimmte das Licht runter, die Wuchtbrumme "Day I die" ließ es so heiß brennen, dass der "Turtleneck" durchschwitzte. "Guilty party": Matt Berninger und Kollegen – mit einem Meisterwerk, für das ein The-National-Jahr ausgerufen gehört. Thomas Pilgrim |
Manches Biest muss man doch aufwecken: In "Guilty party" besingt Matt Berninger das Ende seiner Ehe. Die gute Nachricht? Seine Frau hat das Stück sogar mit ihm gemeinsam geschrieben, alles prima also. Die noch bessere? Trotz aller Dunkelheit finden The National stets das Licht, und sei es in den Augen von Fans wie mir. "We just got nothing left to say", alles Fiktion. Was für ein Glück im Unglück. Jennifer Depner |
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3. Slowdive Slowdive |
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3. Julien Baker Appointments |
Gäbe es einen subjektiven Newcomer des Jahres, dann sind es für mich Slowdive. Zwar war "Souvlaki" schon länger bekannt und beliebt. Aber es brauchte dieses fulminante 2017er-Comeback, um rückwirkend zu erkennen: Diese Band ist wahrlich grandios. Auf all ihren Platten und live sowieso. Und "Slowdive" ist die wundervolle Essenz davon, die sich keineswegs vor der eigenen Legende verstecken muss. Felix Heinecker |
Wer Julien Baker schon einmal live gesehen hat, weiß, dass sie einem nur mit ihrer Stimme und einer Gitarre das Herz herausreißen kann. Dass sich auf "Appointments" noch ein Piano dazugesellt und Baker gegen ihre inneren Dämonen von einer zerbrechenden Beziehung singt, macht es nicht gerade weniger schmerzhaft. Dafür hören wir hier den Beweis, dass hinter jedem Schmerz etwas Schönes liegen kann. Marcel Menne |
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4. Lorde Melodrama |
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4. The National The system only dreams in total darkness |
Lorde hat Fehler gemacht. Auch auf ihrem Zweitwerk. Aber sie darf Fehler machen. Sie muss sogar, denn Fehler gehören zum Erwachsenwerden dazu. Welch unglaubliches Talent sich in der Neuseeländerin verbirgt, zeigt "Melodrama" eindrucksvoll. Und jeder Fehltritt gerät letzten Endes zum persönlichen Triumph. Lordes Musik ist nicht nur wundervoll, sondern ein Versprechen: Die Zukunft mit ihr wird schön. Christopher Sennfelder |
Finsteres Jahr. Marodierende Seelen. Viel Unbeständigkeit, in der The National, die sonst so Beständigen, mal eben ein knorriges E-Gitarrensolo auspacken. Ganz untypisch. Wie überhaupt dieser Song. Er mischt Radiohead mit The Band. Erfindet sich da ein Kollektiv langsam neu? Die Hoffnung bleibt: Wird’s duster, beginnt’s Träumen. Ab ins Weite, Ferne, Verrückte. Und in ein vielleicht besseres 2018. Maximilian Ginter |
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5. Love A Nichts ist neu |
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5. Alvvays In undertow |
Als wären Intoleranz, Pauschalisierung, Schwarz-Weiß-Denken und Rassismus je lohnenswerte Vorlagen gewesen, zimmerten Love A aus der gesellschaftlichen Spaltung ihr Manifest: "Nichts ist neu" ist der Post-Punk-Mittelfinger zum Rechtsruck im "Kartoffellland" und exakt die Platte, die angsterfüllte Besorgtbürger vielleicht besser nicht anhören: Ein Magenhaken wie "Unkraut" würde sie nur verunsichern.
Eric Meyer |
"In undertow" besiegelte schon im Juni frühzeitig das Comeback des Shoegaze. Da regnen in den 90ern entsprungene Gitarrenwasserfälle entschleunigt hinab, während Molly Rankin im dazugehörigen Video endgültig zur Ikone der Retromanie aufsteigt, sich mit uns in bunte, endlose Farbspiralen stürzt und erst im Fall mit dem Charme des Sandmanns verkündet: "There's no turning back." Nicht allzu schlimm – hier lässt es sich gut verweilen. Robin Hartmann |
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6. Father John Misty Pure comedy |
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6. The War On Drugs Pain |
Father John Misty hatte eine ähnliche Kindheit wie ich, schaut aber geiler aus, kann besser singen und raucht immer noch. Außerdem frühstückt Paul Simons verlorener Sohn gern LSD. Vielleicht auch deswegen zeigt sich "Pure comedy" als wahnwitzige Abrechnung mit der Menschheit. Aus der Introspektion schließt der bärtige Maestro aufs große Ganze. So wird das zur Katharsis. Für ihn, für uns. Meisterwerk. Pascal Bremmer |
2018 bin ich zehn Jahre bei Plattentests.de dabei und knacke die 800er-Rezi-Marke. So etwas Aufregendes wie die 10/10 für The War On Drugs werde ich sicher niemals vergessen. Ich bereue nichts: Allein "Pain" ist der perfekte Song für ein imperfektes Jahr. Einer, der alles erträglicher machte. Und der mir aus der Seele sprach: "I resist what I cannot change / And I wanna find what can't be found." Jennifer Depner |
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7. Kettcar Ich vs. wir |
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7. Arcade Fire Everything now |
Mit einem Album wie "Ich vs. wir" macht man sich angreifbar, weil einem all zu leicht der erhobene Zeigefinger vorgeworfen werden kann. Doch Kettcar kümmern solche Gedankengänge wenig. Die Hamburger ziehen ihr Ding durch und erfinden sich als gesellschaftskritische Band neu. Ein Comeback, mit dem man so kaum rechnen konnte. Eh klar: In Zeiten von Trump, AfD und Co. ist diese Platte das richtige Signal. Kevin Holtmann |
Nicht jeder mochte die neue Platte von Arcade Fire: zu viel ABBA, zu wenig Substanz, moserte so mancher Kritiker. Mein Geständnis: Ich mag "Everything now", vor allem auch wegen des fantastischen Titelsongs. Lief gemeinsam mit "The coffee cola song" von Francis Bebey in sommerlicher Dauerschleife. Und jetzt alle gemeinsam: "Every song that I’ve ever heard is playing at the same time, it’s absurd.“ Kevin Holtmann |
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8. Loyle Carner Yesterday’s gone |
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8. Lorde Green light |
Abseits von bunthaarigen Trap-Kids und wütenden politischen Parolen steht ein unauffälliger Brite und rappt über Pfannkuchen. Über Beats so dezent wie sein ganzer Habitus erzählt Loyle Carner Geschichten aus seiner Kindheit und erschafft damit mal eben das beste Genre-Album des Jahres. "I showed love and got nothing", heißt es im großartigen "The Isle of Arran". Geben wir ihm doch ein bisschen Liebe zurück. Marvin Tyczkowski |
"Green light" ist voller cleverer Lines und toller Momente, keine Frage. Der entscheidende Augenblick passiert jedoch musikalisch, mit dem Pre-Chorus. Spätestens wenn Lorde singt "But I hear a sound in my mind", merkt man, dass das ein besonderer Track wird. Der Refrain ist dann mehr als nur die Einlösung eines Versprechens. Er ist eine Lehrstunde in Sachen energische Dramatik. Popsong des Jahres? Streich die ersten drei Buchstaben. Felix Heinecker |
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9. Julien Baker Turn out the lights |
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9. Alex Cameron Candy May |
Zig Versuche brauchte es, bis ich im Webstore die vergriffene Vinyl-Ausgabe in Splatter-Pink bestellen konnte – die optisch wohl schönste Platte des Jahres. Mit faszinierender Musik von einer so zerbrechlich wie gebrochen wirkenden Person. Julien Baker weckt bei jedem einen Beschützerinstinkt. Man will sie vorsichtig in den Arm nehmen und ihre eigenen Worte wispern: "Maybe it's gonna turn out all right". Armin Linder |
"She knows me better / She knows my ways / She has seen me naked", resümiert Alex Cameron die krude wie amüsante, aber doch unerfüllte Liaison zu "Candy May". Das Schlagzeug klopft die olle 80s-Rock-Kiste mit der Aufschrift "Petty und Springsteen" frei und lädt samt Synthies und Saxofon zum spätnächtlichen Pathos-Tanz. „She knows me still“, weiß Cameron. Wir kennen jetzt seinen Song. Ein Segen! Eric Meyer |
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10. Vince Staples Big fish theory |
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10. Slowdive Sugar for the pill |
Vince Staples hat es sich möglichst schwer gemacht. Ein sperriger Albumtitel und ein fast schon absurd vielseitiges Soundbild schließen quasi an gar nichts an, was 2017 den US-Rap dominierte. Vorbei an ignoranten Aufzählungen von Luxusmarken entwirft der Kalifornier ein düster-bedrohliches Gesellschaftspanorama. "Big fish theory" belohnt Hörer und Künstler gleichermaßen für den Mut zur Avantgarde. Michael Rubach |
Dieses Jahr viel bittere Medizin schlucken müssen? Trost nahte mit diesem Song von den reaktivierten Shoegaze-Legenden. Wer zudem schon immer wissen wollte, wo Beach House und The xx die getupften Dream-Pop-Gitarren her haben, bekam hier Antworten. Und Neil Halstead hauchte seinen Gesang so lange beschwichtigend durch die delikaten Soundschwaden, bis es aufhörte, weh zu tun. Endlich. Thomas Pilgrim |
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11. St. Vincent – Masseduction 13. Protomartyr – Relatives in descent 14. Leif Vollebekk – Twin solitude 16. Foxygen – Hang |
12. Courtney Barnett & Kurt Vile – Over everything 14. The War On Drugs – Holding on 16. Arcade Fire – Creature comfort 19. Kirin J. Callinan feat. Alex Cameron, Molly Lewis & Jimmy Barnes – Big enough |
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Auswertung: Kevin Holtmann
Koordination und Einleitungstext: Kevin Holtmann
Texte: Die Redaktion von Plattentests.de