Während sich alle anderen Magazine darum streiten, welche ihrer Jahres-Top-50s denn nun definitiver ist, gehen wir unseren eigenen Weg: Wir haben redaktionsintern ganz subjektiv über die besten zehn Alben und zehn Songs abgestimmt. Und das Ergebnis unterscheidet sich spannenderweise durchaus merklich von Euren Favoriten aus dem Jahrespoll 2002.
Während bei Euch die Queens Of The Stone Age in beiden Kategorien dominieren, konnten sich bei uns die famosen Newcomer Dredg sowie die von Euch nur knapp auf den undankbaren Platz zwei verwiesenen Coldplay durchsetzen.
Jetzt aber Vorhang auf: Dies sind unsere Favoriten des Jahres 2002.
ALBUM DES JAHRES 2002 |
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SONG DES JAHRES 2002 |
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Unheimlich vertraut, wie ein freudiges,
unverhofftes, nie erwartetes Wiedersehen mit einen alten Freund an einem
vernebelt berauschten Abend. Atmosphärisch dicht und beklemmend intensiv.
Erfrischende Überraschung und künstlerische Offenbarung zugleich. Dredg
bewiesen uns, daß sich Anspruch und Ohrwurm eben doch aufeinander einlassen
können. Kurzum: "El cielo" ist unser Album des Jahres 2002. |
November 2002, Köln. Auf der Bühne Coldplay,
davor ich. "Yeah, how long must you wait for him?" singt Chris Martin und
fällt vor Freude fast von der Bühne. Begeisterung. Tränen. Ekstase. Leben.
"In my place" ist nicht nur die Krönung eines magischen Konzertabends,
sondern auch das Meisterstück einer Band, für die die Zukunft offenbar
keine Grenzen vorgesehen hat. Oh, und unser Song des Jahres ist es
natürlich auch. |
(Peter Schiffmann) |
(Daniel Gerhardt) |
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Fernab von Fischkopp-Hiphop und Trainingsjacken-Genöle
zeigen uns die Hamburger, daß das Leben noch immer die schönsten
Geschichten für zartbittere Melodien spendiert. Schwermut, Herzschlag,
Seufzer, Lächeln. Mit einer Ehrlichkeit, die ihresgleichen sucht und
für jedes zerbrochene Herz eine Umarmung übrig hat. "Zeigt mir einen,
dem das egal ist, und ich zeig Euch einen Lügner." |
Ein Klavier. Eine Melodie. Ein Streicheln
von einem Song. Je zärtlicher sich Chris Martin durch die Tonleitern wiegt,
um seine Angebete um Verzeihung anzuflehen, desto besser fühlt sich die
gleichfalls gebeutelte Seele vor den Boxen. Weg mit den Taschentüchern,
denn jetzt tröstet Coldplay. "Oh, let's go back to the start." Und meine
Hand drückt auf Repeat. |
(Oliver Ding) |
(Oliver Ding) |
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Ich hatte Angst, diese Platte zum ersten Mal zu hören. Angst,
meine Helden könnten die auf Himalaya-Niveau plazierte Meßlatte reißen. Angst,
daß die Queens auch nur eine ganz normale Band sind. "Rated R" toppen? No way.
Und dann stellten mir die Königinnen grinsend diesen Monolithen ins Zimmer.
Grazile Urgewalt. Makellose Perfektion. Danke! |
Archive sind der Alptraum eines jeden Radiomachers. Ein
16-Minuten-Stück als Single! "Again" sprengt nicht nur den Zeitrahmen einer
Formatradio-Welt, sondern auch jede Vorstellung. Eine monumentaler Trip
auf den Spuren von Pink Floyd, verspieltes Umhertorkeln, aber dennoch immer
ein Ziel verfolgend. Großes Kino. Ein Bildersturm. |
(Rüdiger Hofmann) |
(Rüdiger Hofmann) |
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Sie mögen wie Waldschrate aussehen, ihr
Sound ist aber doch unwiderstehlich. The Notwist umgarnen
Dich mit Bröckel-Beats aus Gretschmanns Console, flüstern
Dir charmanten Nicht-Gesang ins Ohr und stecken Dich damit
in die Tasche. Einmal "One with the freaks" hören und Du
bist Dir sicher: "Neon golden" ist Dein bester Freund. Der
Soundtrack zum Pferdestehlen. |
Kein Song auf "Songs for the deaf" wäre als Single besser
oder schlechter geeignet gewesen, keinem anderen Song wäre dieses Schicksal
erspart geblieben: "No one knows" verliert durch das fehlende Umfeld des
Albums die Hälfte seiner Kraft. Und fegt mit der anderen Hälfte den Rest
der Charts mühelos weg. |
(Daniel Gerhardt) |
(Rüdiger Hofmann) |
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Coldplay waren 2002 für jeden da. Den
hornbebrillten Indie-Nerd. Das pubertäre Bravo-Gör. Die staubsaugende
Hausfrau. Gwyneth Paltrow. Mich. Ihrer Musik konnte das glücklicherweise
nichts anhaben. Erhabene Hymnen, nahe am Wasser gebaut, spielerische
Pianotupfer, Melodien wie Blumenwiesen. So groß, daß nicht einmal die
Charts daran vorbeikamen. |
Nicht ein Kompliment, nein!, Dutzende prasseln auf die
Angebetete ein und lassen ihr gar keine Wahl, als dem Helden zu verfallen.
Wenn es ein Lied gab, das 2002 auf jeder Kassettenmädchen-Kassette zu
finden war, dann dieses. Und wenn sie dabei nicht sofort dahinschmolz, war
sie es sowieso nicht wert. |
(Daniel Gerhardt) |
(Lukas Heinser) |
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Hier ist der Beweis: Coolsein funktioniert auch auf
einer anderen Ebene. Tocotronic ziehen die Füße weg und setzen sie woanders wieder ab.
Eine Etage höher. Auf Keyboardflächen, zwischen Gitarrenwänden und unter Daunendecken.
Minimalismus war gestern, Maximalismus ist heute. Zugegeben, verstanden habe
ich dieses Album nicht. Aber sehr genossen. |
Wie aus dem Nichts stand sie plötzlich im Regal.
Gelesen hatte ich von dieser Band, die Musik mit den Buchstaben K, U, N, S und T
buchstabiere. Mißtrauen. Und dann dieser Song: Glockengeläut, ein nur
simpel erscheinendes Riff, immenser Druck, auf Wolken gleitende Stimmen,
eine Melodie wie Kerzenlicht in dunkler Nacht. Famos. |
(Armin Linder) |
(Oliver Ding) |
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So verlieren Indie-Helden den Insider-Status. Auf die angenehme Art.
"Source tags and codes" ist eine Platte am Rande des Nervenzusammenbruchs. Pulsierende
Aggression, stets mit eingängigen Melodien versehen, die scheinbar nie verleiden
wollen. Auch im neuen Jahr das beste Mittel, um Frust abzulassen. |
"Wollt' ich leben und sterben wie ein Toastbrot im Regen?"
Keiner will das. Keiner will dieses Leben, wie es ist. Kettcar verleihen
der Existenzangst ein Gesicht. Ein Gesicht, das lacht und weint zugleich.
Das Gesicht eines Freundes. Und eines, das nicht nur bei mir für wehmütige
Freudentränen sorgte. Fünf Minuten Dämmebrechen. Diese Band verdient Applaus. |
(Basil Schneider) |
(Armin Linder) |
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Musik kann Tage retten. Die Doves retteten
einen ganzen Sommer. Erstes Hören unvergessen: Mit dem Rad durch den tristen
Herbst. Angetrunken, angenervt, plötzlich angetan. Drei Wochen später live:
Vor mir diese Frau mit wunderschönem Haar, hinter mir glückselige Massen.
Dazu wuchtige Hymnen wie "Words". Sprachlosmachend gut. |
Seit "The hindu times" brauche ich morgens
keinen Kaffee und keine Dusche mehr. Einmal diesen Song gehört, und mein
Adrenalinspiegel ist höher als der Mount Everest. Die Gitarren kreischen,
Liam röhrt - alles andere als zahnlos - wie zu besten
"Definitely maybe"-Zeiten, und für Zeilen wie "I get up when I'm down"
gehört den Jungs sowieso ein Denkmal gesetzt. Rock'n'roll, baby! |
(Sebastian Peters) |
(Christof Nikolai) |
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Kopfnicken. Kopfwiegen. Kopfschütteln. Taking Back Sunday
sorgten dieses Jahr für vieles, bei mir aber vor allem für eines: Begeisterung.
Liebe auf den ersten Blick war das, damals im Zug, und sollte es auch auf den
zweiten bleiben. Diese unverschämt melodischen und unglaublich verzweifelten
Noname-Emo-Kids waren 2002 meine ständigen Begleiter. |
Wann wird's mal wieder richtig Sommer? Na, wann
immer Du willst! Phantom Planet stecken Dir den Cocktail in die Linke,
die Extremitäten einer schönen Frau in die Rechte und eine Strandparty von
einem Song in beide Ohren. Abseits von billigem Ibiza-Bierbauerntum gelang
den schnieken Beach Boys der einzig wahre Sommerhit des Jahres. "California,
here we come!" |
(Armin Linder) |
(Daniel Gerhardt) |
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Sollen Menschen doch Nada Surf weiter auf "Popular" reduzieren.
"Let go" ist auf jeden Fall eines der am meisten unterschätzten Alben dieses
Jahres. Wunderschön balladesk, sinnvoll und sinnreich. Drei Surfverweigerer
mit neuem Mut zur Melodie. Und wer Lieder zaubern kann wie "Inside of love",
der gehört dafür geehrt, beklatscht und in Jahresbestenlisten gehievt. |
Traumhaft, wie die Doves musikalisch durch Stile bummeln
und dabei den Schluß nicht finden. So muß am Ende eine
imaginäre Rhythmusfraktion vom Zuckerhut den Proberaum stürmen, um dem
prächtigen Durcheinander ein Ende zu setzen. "There goes the fear". So
kann man Songs wie diesen glatt bis zur Taubheit hören. |
(Sebastian Peters) |
(Sebastian Peters) |