Deftones - Koi no yokan
Reprise / WarnerVÖ: 09.11.2012
Das Superioritätsprinzip
Da steckt er, der Pop im Schafspelz. Manchmal muss gar nicht lange gesucht werden, um diesen kleinen Irrwisch an Orten zu finden, an denen er gar nicht vermutet wird. Etwa im Deftones-Universum, auch beim japanischen Titel "Koi no yokan". Das bedeutet die mögliche Verheißung einer Liebe, nachdem sich zwei Menschen getroffen haben. Es ist ein Wissen um eine unausweichliche zukünftige Liebe. Den Futur in den Präsens rückübersetzt, den Pop mit weit geöffneten Armen und liebenden Blicks empfangen, fällt die Ausnahme-Band aus Sacramento mit dem mittlerweile fünften Meisterwerk in Folge erneut in die Musikwelt ein, um die Konkurrenz gnadenlos auszuknipsen.
Dicke Gitarrenmauern erheben sich und erbeben. Das Schlagzeug kickt fünf Meter über dem Boden. Es geht durch einen Tunnel der Dunkelheit ans strahlende Licht, jenseits des Dieseits. Chino Morenos Stimme schwebt nochmals einige Zentimeter über dem Trommel-Ungetüm und lenkt das Ohr durch die engen Riffs hinaus auf die Blumenwiese. Man folgt dem Sänger durch "Swerve city" ähnlich gebannt wie seinerzeit die Kamera dem "Blade Runner" aus den Stadtschluchten in die Berglandschaft. Und da zeigt sich die innige Zuneigung, dieses tiefe Verhältnis der Band zu besagtem kleinem Irrwisch, dem sie seit dem Jahrhundert-Album "White pony" zärtliche Liebesangebote machen. Moreno zieht kurz die Bremse, biegt ab und landet jenseits der Elegie in der Weltumarmung eines lang gezogenen Oh-Vokals, den selbst die Foo Fighters so nicht stadiongrößer hinbekommen würden. Und was die Deftones hier weiter produzieren, ist nicht gewaltig, es ist überlebensriesig deluxe.
Irgendwo im Sog der Untiefen menschlicher Gefühle greift "Romantic dreams" den Hörer, taucht hinab bis zu dem Punkt, an dem der Kern einer Gefühlsregung wie ein beschlagenes Fenster auf kahle Winterstraßen leuchtet: "I wish this night would never end." Eine Schönheit auf der Balance zwischen Härte und majestätischer Sakralität. Auf "Koi no yokan" endet diese Nacht, weder für Moreno noch für den Hörer, nie. Wieder saß Nick Rasculinecz an der Produktion und zeigt, dass er als vielbeschäftigtes Arbeitstier wie kaum ein anderer harter Musik alle subtilen Nuancen abverlangen kann.
Dies beweist das mitreißende "Leathers". Losbrechend wie eine Urgewalt, überrollt es den Hörer, zieht ihn in Fluten und Strudeln aus Energie, treibt ihn wie einst Ikarus auf der wolkigen Höhe einer der schönsten Refrain-Melodien, die je über Morenos Lippen kamen, in Richtung Sonnenstrahl. Umso tiefer ist anschließend der Fall in das getriebene "Poltergeist", welches wütend die Räume heimsucht, zu denen die beschlagenen Fenster im menschlichen Emotionshaushalt gehören. Und dies auf dem höchsten Niveau seit "White pony". War "Diamond eyes" so etwas wie eine Konzession an das Radio-Format, so ist "Koi no yokan" ihr Lippenbekenntnis der Abwendung, obwohl es am ehesten das Beach-Boys-Album der Diskographie darstellt. Tief ist der Abgrund aber weiterhin, in den man trotz verzückender Gesangslinien blicken muss.
So beispielweise in "Tempest". Was beatlesk mit grau meliertem Klanggewummer beginnt, treibt in die dunkelste Disco-Nummer des Jahres. So fokussiert und präzise hat man die Band selten aufspielen gehört. Die Klangkaskaden werden dabei immer dichter, umschließen und erdrücken, würden die knackfrischen Drums von Abe Cunningham nicht immer Luft schaffen, bevor es in ein oh-chorales Abgrundsdunkel geht. Absolute Kraftmeierei des Könnens, die Deftones und Rasculinecz wissen einfach zu gut, wie man das macht. Dabei nimmt "Gauze" die Anspannung etwas zurück und organisiert sich wie ein Vulkan, aus dem vernichtende Lava strömt. Gleich einem Brand, erfasst es sich selbst und verzehrt sich in Genialität. Nachdem die Foo Fighters letztes Jahr ihre "Dear Rosemary" in einer emotionalen Wuchtbrumme besangen, tauchen die Deftones ihre "Rosemary" in eiskalte, an Ambient-Sound-Landschaften gemahnende Klänge, bevor die Brat-Gitarre von Stephen Carpenter wie eine Drohung aufspielt: nicht nur für gleichnamiges Mädchen, sondern auch für den Rezipienten. Mit dem experiementell angehauchten "What happened to you" zeigen die Herren nicht nur, dass sie das Progressivitäts-Prinzip verstanden haben, sondern stempeln die Urkunde musikalischer Superiorität gleich zwei Mal ab. "The sky belongs to you", singt Moreno und meint vermutlich sich selbst. Wie wahr und Respekt dafür.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Swerve city
- Romantic dreams
- Leathers
- Poltergeist
- Tempest
- Rosemary
Tracklist
- Swerve city
- Romantic dreams
- Leathers
- Poltergeist
- Entombed
- Graphic nature
- Tempest
- Gauze
- Rosemary
- Goon squad
- What happened to you?
Im Forum kommentieren
Affengitarre
2025-08-29 23:00:00
Ah, den mochte ich schon immer. Der hat so ein dunkles Grundriff, das mag ich sehr.
The MACHINA of God
2025-08-29 22:47:03
Ziemlicher Grower: "Romantic dreams". Mochte ich am Anfang wohl mit am wenigsten, weil so komisch "zerfahren". Aber der ist schon geil und einer der besten Refrains des Albums.
Dumbsick
2025-08-29 06:27:23
@machina: genau das. Mag die Platte auch, aber die Refrains find ich dann teilweise zu „deftones by the numbers“
VelvetCell
2025-08-28 23:16:15
Nach dem fast überirdischen White Pony meine Nummer 2!
The MACHINA of God
2025-08-28 18:56:02
Exakt diese großartigen Refrains sind es, die aus den ohnehin saustarken Songs das Ultra machen. Übertrieben höre ich hier gar nichts, eher groß und mächtig.
Ich mag die auch. Ich finde nur, manchmal werden sie zu oft wiederholt.
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