Fear Factory - The industrialist
AFM / SoulfoodVÖ: 01.06.2012
Magnolien aus Stahl
Wer hat's erfunden? Fragen Sie doch mal Burton C. Bell. Der Frontmann von Fear Factory wird von Journalisten nämlich oft mit der Feststellung konfrontiert, er und seine Band seien die Initiatoren des Industrial Metal, wie man ihn heute kennt. Bell grinst sich darauf wissend eins, nimmt den Blumenstrauß Magnolien aus Stahl dankend an und nennt das neue Album pflichtschuldigst "The industrialist". Die Vorzeichen sind günstig: Seit "Mechanize" ist mit Dino Cazares wieder der Gitarrist am Start, der einst Meilensteine wie "Soul of a new machine" und "Demanufacture" einschredderte; am Mischpult sitzt Rhys Fulber von Front Line Assembly und unterhöhlt das Ganze mit Magengruben-Noise aus dem digitalen Soundarsenal. Geschenkt, dass zumindest bei den Aufnahmen fester Bassist und Drummer im Line-Up fehlten.
Hauptsache: Die Maschine arbeitet wieder. Auf Hochtouren, mit bösartiger Präzision und dem guten alten inhaltlichen Überbau: In der hübsch-hässlichen Tradition von "Obsolete" oder "Digimortal" erzählt "The industrialist" als Konzeptalbum wieder einmal eine dystopische Geschichte aus nicht allzu ferner Zukunft: die einer Maschine, in der ein Bewusstsein reift und die in eine mörderische Verschwörung verwickelt wird, tagesaktuell angefüttert durch Verweise auf Anonymous und die Occupy-Bewegung. Was natürlich nichts daran ändert, dass sich der Sound von Fear Factory zu den Tweets der in Bankenvierteln kampierenden Aktivisten ungefähr so verhält wie eine Horde Brüllaffen zu einem einsamen Rotkehlchen, das den Schwarm gen Süden verpasst hat.
Da kann sich der eröffnende Titeltrack mit sphärischem Keyboard-Intro und großzügig verhallender Gitarre so relativ arglos anschleichen, wie er will: Sobald die räudig programmierte Double Bass ins Spiel kommt, Cazares' gedoppelte Brachialriffs losdonnern und Bell zum ersten Mal das Maul aufreißt, befindet man sich in einer Gladiatoren-Arena im Cyberspace. Und bitte aufpassen, wo man hintritt: Da Fulber praktisch pausenlos elektronische Kernschmelze herbeiführt, können sich jederzeit die Bodenplatten zu blubbernder Ätzmasse verflüssigen. Dazu gehen die abgezirkelten Akkordsalven aus der Arschtrittmaschine einmal wie bei "New messiah" in einem blitzsauber gesungenen Refrain auf, nur damit sich dann in "God eater" penetrante Hochtöner mit Starkstromexplosionen beharken können. Herrlich disziplinierter Lärm.
Mit Heavy Metal im traditionellen Sinne hat "The industrialist" also weiterhin wenig zu tun. Das zeigen spätestens die mit Sampling-Akribie vor die Wand laufenden Breitseiten von "Difference engine" und das Finale "Human augmentation", das neun Minuten lang aus der Ambient-Vorhölle der paranoiden Androiden emporkriecht. Erschütternde Momente für Mosh-Puristen - Aufgeschlossenere aber sollten dranbleiben bei diesem planvollen Stahlbad der Extreme. Obwohl Fear Factory ihre einstigen, wenn auch wundgescheuerten Pop-Ansätze hier massiver Sounddichte und bohrender Konsequenz opfern und richtiggehende Hits wie "Replica" oder "Linchpin" folglich draußen bleiben müssen. Aber sei's drum: Der monströse Albdruck dieses Albums funktioniert auch ohne sie. Abschließend die Zeit: Es ist viertel nach Mensch.
Highlights & Tracklist
Highlights
- The industrialist
- New messiah
- Difference engine
Tracklist
- The industrialist
- Recharger
- New messiah
- God eater
- Depraved mind murder
- Virus of faith
- Difference engine
- Disassemble
- Religion is flawed because man is flawed
- Human augmentation
Referenzen
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