
Neil Young & Crazy Horse - Americana
Reprise / WarnerVÖ: 01.06.2012
Die Museumswärter
Nach ganzen neun Jahren ist es wohl nicht die schlechteste Idee, sich erstmal wieder aufeinander zuzuspielen. Genau so lange liegt die letzte gemeinsame Studio-Platte von Neil Young & Crazy Horse nämlich zurück. Deshalb scheint ein Album mit Coversongs nicht eben hyperüberraschend, aber eben ein Gebot der Ökonomie zu sein. Im besten Sinne ökonomisch ist dann auch das Ergebnis. Denn "Americana" ist deutlich mehr als eine Fingerübung, aber auch deutlich weniger als ein epochales Coverwerk, von dem noch in Jahrzehnten zu sprechen sein wird. Letzteres will es aber auch gottlob gar nicht sein - sei es auch nur, um sich nicht an dem ausgewählten Material zu verheben. Eben dieses hätte im kulturellen Gedächtnis nämlich nicht nur einen separaten Flügel, sondern im Grunde ein eigenes Museum verdient. Sprich: Mit "Americana" tasten sich Young und Crazy Horse an Lieder heran, die man etwa in den 1980ern nur solch versierten Kapellen wie den Schlümpfen oder der Micky-Maus-Starparade zugetraut hätte.
Doch Young und Crazy Horse schaffen es in der Tat, ein Bündel an Songs, für die eben das Wort "Standards" noch zu tief gestapelt wäre, zu einem komprimierten Album-Bolliden zurechtzuspielen. Das ist aller Ehren wert, verlangt es doch eine ganze Menge. So geht es hier nicht darum, einfach seine eigenen Trademarks über die Arrangements zu schütten - was Young natürlich dennoch tut, letztlich aber jede Boller-Punk-Combo aus Hintertupfing hinbekommen würde. Stattdessen muss der Versuch gestartet werden, Songs wie "Oh Susanna", "High flyin' bird" oder "Jesus' chariot", die noch nicht einmal mehr im Radio gespielt werden, weil sie im Grunde ein musikhistorisches Schulterzucken darstellen, mit dem eigenen Stil zu neuer Konsistenz zu erwecken.
Und man muss sagen: Young und Crazy Horse gelingt genau das mit fortgesetzter Dauer von "Americana" immer besser. Klingen "Oh Susanna" und "Clementine" noch etwas hölzern, dokumentiert auch durch die abschließenden, unnötigen Studiodiskussionen, so spielt sich "Americana" doch immer mehr in ein Selbstverständnis hinein. Das ergibt für den Hörer schon eine sanft getimte Gehirnwäsche. Vor allem aber wird spätestens ab "Gallows pole" unmissverständlich klar, dass Young und Crazy Horse keinesfalls irgendwelche Mätzchen machen. Youngs schlierende Soli bleiben stets bei der Sache, und seine Nasenhöhle hatte in letzter Zeit wohl nur selten so viel Druck auszuhalten wie bei den wunderbar verstimmten, doch kraftvollen Vocals von "Get a job" und "Travel on". Die Rhythmik knackt und rollt dazu angenehm zurückhaltend und effektiv, und Youngs Ehefrau Pegi singt mit Stephen Stills beinahe durchgehend Background zwischen Gospel, 50ies und Country. Das reicht, um genug Eigengeruch zu hinterlassen, ohne allerdings die Vorlagen kaputtzutreten.
Leider ist das abschließende "God save the Queen" zwar alles andere als die erwartbare Katastrophe, allerdings schon ein redundantes Statement in einem sich derart schön und behutsam verdichtenden Album. Und auch der staksige Beginn macht zwar in der Entwicklungslogik durchaus Sinn, verbleibt aber dennoch als kleiner Stachel in diesem Album. Daran scheitert "Americana" jedoch nicht wirklich. Vielmehr bleibt es schön zu hören, dass Young und Crazy Horse gerade mal das erste Drittel einer Platte brauchen, um wieder ganz bei sich zu sein - sowie bei Songs von anderen. Doch das verdient in derart mit musealem Schulterzucken gefüllten Hallen eben auch besonderen Respekt. Und man zollt diesen wohl in der Tat am besten, indem man sich einfach still und heimlich mit dazustellt.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Get a job
- Travel on
- Jesus' chariot
Tracklist
- Oh Susannah
- Clementine
- Tom Dula
- Gallows pole
- Get a job
- Travel on
- High flyin' bird
- Jesus' chariot
- This land is your land
- Wayfarin' stranger
- God save the Queen
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