Lee Ranaldo - Between the times and the tides

Matador / Beggars / Indigo
VÖ: 16.03.2012
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Im Geheimrat

Dass Lee Ranaldo der George Harrison von Sonic Youth ist, dürfte mittlerweile hinreichend bekannt sein. Das eigentliche Genie hinter der Band. Der stille Arbeiter. Die Macht aus dem Untergrund. Der Mythos seiner eigenen Unsichtbarkeit, ohne den dieser Dingens und diese Kirchen mal gar nichts geworden wären. Ein Rolemodel also, bestens geeignet, um das gesunde Misstrauen gegen Aushängeschilder und Rampensäue in einen Distinktionsgewinn umkippen zu lassen, der das Abseitige zum neunmalklug herauspalaverten Eigentlichen erklärt. Oder auch: Ach ja, ach Gottchen ... Was Ranaldo eigentlich ist, das zeigt "Between the times and the tides" ziemlich vortrefflich: nämlich ganz bestimmt nicht der Grund dafür, dass Sonic Youth dann doch nicht nach ziemlich guten R.E.M. klingen. Denn statt doppelter Verneinung verewigt er sich hier im doppelten "Ja" zum 1990er-Folk- und Alternative-Rock.

Sprich: Sein mittlerweile neuntes Soloalbum bietet erstmals solide Abgerocktes, sogar mit Gesang. Und zudem Songs, die en détail selten so bieder sind, wie die jeweils ersten Höreindrücke nahelegen. "Waiting on a dream", "Off the wall", auch "Fire islands (Phases)" oder das balladesk vertiefte "Xtina as I knew her" trauen sich Folk-Rock mit effektiv aufgehenden Refrains. Dann noch ein wenig Rezitationsgesang, während die Gniedel-Gitarren durch J Mascis' Tagträume wühlen und die Melodien in Country-Slides ankern. Schon herrlich, wenn Ranaldo nicht konsequent vergessen würde, den Wahnwitz etwa durch den Ultra-Fuzz zu schicken. Stattdessen klingt vieles auf dieser Platte, klingen all die Orgelflächen und Gitarrenarmadas, hochgradig versiert und zuverlässig. Machte John Agnello an den Reglern der letzten Sonic Youth noch alles goldrichtig, so wirkt "Between the times and the tides" in all seiner grungigen Verschnupftheit oftmals doch zu genreverliebt.

Auch textlich bewegt sich Ranaldo zwischen einigen Schlaglichtern, irgendwas mit "Rainbows" oder auch einem gesungenen Wah-Wah-Effekt, der nun wirklich nur noch den arg Verzweifelten unter den Altvorderen zum Euphorie-Doktor schickt. Doch, hey: Bei allem zwischen Sonic Youth und Michael Stipe muss einmal Hirndunst ja mindestens drei Ironieebenen haben. Das weiß man ebenso wie dass Einbildung auch ne Bildung ist. "Lost" weiß hingegen, dass Powerpop-Melodien und ein Beat im oberen Midtempo absolut genug sind - einer der besten Songs auf "Between the times and the tides", gerade weil er sich rhythmisch in genau die sonnigen Gefilde führen lässt, die die Gitarren ohnehin versprechen.

Es stimmt schon: "Between the times and the tides" ist voll präziser, schöner, altbekannter Melodien, schluffiger Rhythmen von Sonic-Youth-Kollege Steve Shelley sowie gegenläufiger und durch den Hintergrund schlierender Gitarren, gespielt etwa von Freejazz-Veteran und Wilcos Choice Nels Cline. Eine echte Punktlandung halt, allerdings auf einem Gebiet, das zwar nicht zur Sperrzone erklärt, aber doch nach Geheimratsecken durchsucht werden darf. Deshalb ist Ranaldo nicht etwa der Lou Barlow, eher schon eben dieser Lee Ranaldo von Sonic Youth. Und derart gute Musik ist einfach nur derart gute Musik - was natürlich viel zu wenig für ein ansprechendes "Hallo!" auf der Hipsterparty ist.

(Tobias Hinrichs)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Waiting on a dream
  • Xtina as I knew her
  • Lost

Tracklist

  1. Waiting on a dream
  2. Off the wall
  3. Xtina as I knew her
  4. Angels
  5. Hammer blows
  6. Fire islands (Phases)
  7. Lost
  8. Shouts
  9. Stranded
  10. Tomorrow never somes
Gesamtspielzeit: 47:35 min

Im Forum kommentieren

kyuss

2012-04-16 20:20:45

Fire islands (Phases) - Wow, was für ein geiler Song!

Jose

2012-03-26 18:31:43

Ronaldo ist besser als Messi

!!!

2012-03-26 16:50:52

ja, die 6/10 hier war wieder einer der vielen plattentests-witze.

wiggers 9/10 passt genau.

Kim & Thurston

2012-03-26 16:14:16

So viele tolle Melodien auf einem Album. Natürlich ist das simpler, uninnovativer Poprock, aber wäre Poprock immer so gut, wäre die Welt ein besserer Ort. Das hier ist besser als jede REM-Platte der letzten 15 Jahre. Highlights: Xtina As I Knew Here, Hammer Blows, Lost, Stranded, Off The Wall...ach, eigentlich alle.

Gurke

2012-03-23 16:21:23

Der Beweis, dass Indie-Gitarren-Schrammelrock längst tot ist: 2/10.

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