Prinzhorn Dance School - Clay class

DFA / Cooperative / Universal
VÖ: 03.02.2012
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Haut und Knochen

Sagt der Zahnarzt zum Skelett: "Ihre Zähne sind ja tadellos, aber das Zahnfleisch macht mir Sorgen." Ähnlich könnte sich der letzte Besuch von Prinzhorn Dance School beim Musiktherapeuten abgespielt haben. "Das mit den Instrumenten klappt schon mal ganz gut. Jetzt müssen Sie nur noch ein bisschen mehr Fleisch auf die Rippen bekommen. Und machen Sie im Studio ruhig die Heizung an. Wir sehen uns in vier Wochen." Es wurden viereinhalb Jahre draus - und als Tobin Prinz und Suzi Horn zum nächsten Besuch ihr zweites Album mitbrachten, war schnell klar: Bei denen ist Hopfen und Malz verloren. Denn wer die leise Hoffnung gehegt hatte, das Duo aus Brighton würde sich auf "Clay class" auch nur ansatzweise versöhnlicher präsentieren als auf seinem selbstbetitelten Debüt, kann diese schon nach den ersten Takten getrost fahren lassen.

Minimalismus ist eine Sache - das Runterhungern eines Bandsounds bis aufs pure Gerüst aus Schlagzeug-Bass-Donner, sparsamen Gitarrenschlägen und heiserem Boy/Girl-Skandieren in Dialektgenuschel eine andere. Prinzhorn Dance Schools knöcherne Songs haben die Melodieseligkeit eines rostigen Ascheimers und die Romantik einer Wurzelbehandlung. Sie sind, mit einem Wort, gnadenlos. Oder, falls auch zwei gestattet sind: gnadenlos gut. Auch wenn diese elf Stücke in ihrem blechernen Nihilismus und ihrer subtilen Brutalität die Qualität eines Faustschlages besitzen und sich vehement gegen sämtlichen Pomp in der zeitgenössischen Popmusik wehren. Indie, No Wave, Noise Rock - "Clay class" ist alles und nichts. Und doch eine ganze Menge.

Ähnlich störrisch und reduziert traten ihrerzeit nur Young Marble Giants dem lärmenden Wirrsal der Punk-Welle entgegen - Prinzhorn Dance School inszenieren sich rund 30 Jahre später mit genauso kompromissloser Bockigkeit. Als würden The Xx barfuß über Glasscherben laufen oder die White Stripes eine Nachtschicht in einer Detroiter Karosseriefabrik einlegen. "I want you" wäre in einer anderen Umgebung der Gipfel der Kantigkeit und Variationsarmut - auf "Clay class" dagegen ist es der Song, den man noch am ehesten mit einer Ballade verwechseln könnte. Darüber hinaus gibt es wenig Zartbesaitetes - die fantastische erste Single "Seed, crop, harvest" erspielt sich eine mittelschwere Herzrhythmusstörung, auch "Usurper" ist schwer auf Krawall gebürstet und spuckt sämtlichen Despoten eine Ladung Rotz vor die Füße.

Prinzhorn Dance Schools besonderes Talent besteht jedoch darin, auch beim ruinösesten Gepolter noch Grooves und Ohrwürmer zu produzieren und dabei einen bizarren Humor zu beweisen. So reimt Prinz "vulture" auf "agriculture", und ein Song, der wohl nicht nur das zarte Pflänzchen auf dem Cover zum Verdorren bringen würde, heißt ausgerechnet "The flora and fauna of Britain in bloom". Und wenn die Rhythmusmaschine im Instrumental "Right night Kay West" plötzlich sogar derbe Blastbeats vom Stapel lässt, wundert einen schon längst nichts mehr. Nicht einmal der vergleichsweise liebliche Singsang von "Shake the jar". Der Rest ist körperlich spürbares, maschinelles Grollen - Musik, die aus kaum mehr als Haut und Knochen besteht. Erkenntnis nach einer knappen Dreiviertelstunde: Sie haben gebohrt. Und dabei ganz Großartiges zu Tage gefördert.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Usurper
  • Seed, crop, harvest
  • Crisis team
  • Sing orderly

Tracklist

  1. Happy in bits
  2. Usurper
  3. Seed, crop, harvest
  4. I want you
  5. Your fire has gone out
  6. Crisis team
  7. The flora and fauna of Britain in bloom
  8. Turn up the light
  9. Sing orderly
  10. Right night Kay West
  11. Shake the jar
Gesamtspielzeit: 44:21 min

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