Peter Broderick - http://www.itstartshear.com

Bella Union / Cooperative / Universal
VÖ: 24.02.2012
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Stille Macht

Eine Hommage an das formelle Schreiben eines Liebesbriefes, wie in den guten alten Tagen. Ein elektronisches Titelstück, dessen Refrain ausschließlich aus der Buchstabierung der URL besteht und ansonsten eher einem Spoken-Word-Track ähnelt, in dem Broderick das Konzept dieses Albums erklärt. "Bad words", das zur Hälfte in gebrochenem Deutsch gesungen ist und durch Zeilen wie "Es hat geholfen, Dir zuzuschauen / Wie man nackig baden geht" besticht. Ein anderer, überraschend tanzbarer Song mit einem Rap als zentralem Motiv. Dazu ein interaktives Gesamtkunstwerk, das die gleichnamige Homepage mit den verschiedenen musikalischen und textlichen Ideen verschmelzen soll. Puh. Das sind ja alles Absurditäten, die man in dieser Konzentration normalerweise höchstens einer Kate Bush geradeso noch durchgehen lassen würde. So gesehen lehnt sich Peter Broderick mit seinem ersten richtigen Studioalbum seit "Home" ziemlich weit aus dem Fenster.

Das kann er sich aber auch leisten, denn das von Nils Frahm in Berlin produzierte "http://www.itstartshear.com" ist trotz der hochgesteckten künstlerischen Ambitionen in erster Linie wieder ein Album fürs Herz geworden. Broderick schwebt nämlich nicht ausschließlich in höheren intellektuellen Sphären, sondern schafft es erneut, den Hörer auch mit wunderschönen Geschichten zu becircen. "Blue", ein Song, den sein Vater mit 19 Jahren schrieb und aufnahm, entdeckte der Amerikaner zum Beispiel zufällig auf einer alten Kassette. Und da ihm simple Zeilen wie "When I woke up in the morning dew / I tried so hard to hide my feelings true" nicht mehr aus dem Kopf gingen, arrangierte er den Song etwas um und nahm ihn mit Akustikgitarre und etwas geloopter Stimme erneut auf. "Trespassing" hingegen erzählt über Violinen und Glockenspiel Brodericks Zusammentreffen mit einem Vogel. Blöd nur, dass Broderick zu diesem Zeitpunkt in seinem Auto saß und der Vogel vor ihm auf der Straße.

Der einsame Höhepunkt auf "http://www.itstartshear.com" ist mit "Colin" der dritte von vier konventionelleren Songs im Bunde. Untermalt von einem geisterhaften Chor erinnert dieser markerschütternd intensive Track über einen guten Freund zunächst an die Einsamkeit in Springsteens "Ghost of Tom Joad", bevor Broderick die Akustikgitarre irgendwann zur Seite legt, den Song Fahrt aufnehmen lässt, mit Perkussion, etwas Elektronik und Streichern anreichert und ganz plötzlich enden lässt. Jedes einzelne "Always and forever" sitzt wie ein schmerzender Stachel im Fleisch. So ist denn auch "http://www.itstartshear.com" ähnlich wie "Home" ein Meisterwerk der Melancholie geworden, das es trotzdem schafft, eine berührende Herzenswärme aus allen stillen Momenten herauszupressen. Broderick steht mit großen, neugierigen Augen vor dieser Welt, und staunt ob ihrer Abgründe und ihrer Schönheit zugleich. Einige der daraus resultierenden Ideen sind zwar mehr als bekloppt. Doch wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Und Peter Broderick hat eine Hand an der Schale.

(Kai Wehmeier)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Blue
  • Colin
  • Trespassing
  • Everything I know

Tracklist

  1. I am piano
  2. A tribute to our letter writing days
  3. Blue
  4. It starts hear
  5. Asleep
  6. Colin
  7. Bad words
  8. With the notes on fire
  9. Trespassing
  10. Everything I know
Gesamtspielzeit: 56:33 min

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