Kate Bush - 50 words for snow
Noble & Brite / EMIVÖ: 18.11.2011
20 words for Kate Bush
Für Eskimos ist das kein Problem. Aber wie viele fallen einem in unseren Breitengraden denn nun einfach mal so ein? Wirklich 50? Nie im Leben. Deskriptive Wörter, klar, eine ganze Menge. Weiß. Kalt. Nass. Leicht. Aber wirklich 50 Wörter für Schnee? Eines muss man sagen: Kate Bush macht es einem nicht einfach. Da veröffentlicht sie ihr erstes wirklich neues Album seit "Aerial" 2005 – nach der Songsammlung "Director's cut" das zweite in diesem Jahr – und lässt den Hörer schon über den Titel alleine losgrübeln. Sie selbst weiß übrigens auch keine 50 Wörter für Schnee. Sie hat sich nur welche ausgedacht. Aber Kate Bush darf sowieso alles. So bietet "50 words for snow" auch keine wirklich neuen Ansätze, um das weiße Gut zu beschreiben – sehr wohl transportiert es aber das Gefühl, leicht wie eine Schneeflocke zu sein. Geblendet vom weißen Licht, und doch wohlig warm. All das kann Kate Bush.
Sphärisch. Melancholisch. Berührend. Verletzlich. Traurig.
Und noch viel mehr soll einem einfallen, wenn man die sieben Songs ihres neuen Albums erst mal an sich ranlässt. Wenn man die Geschichte, die sie erzählt, auch wirklich zu verstehen versucht, und sich die Bilder, die sie erzählen, im Kopf zusammensetzt. "I was born on a cloud", heißt es im Opener "Snowflake", gesungen von Bushs Sohn Albert, und die Faszination der stetig fallenden Schneeflocke, die doch mehr ist als "ice and dust and light", breitet sich in fast zehn Minuten Spielzeit gemütlich aus. Das Zusammenspiel des hohen Männergesangs, gepaart mit Bushs eigener tiefen Stimme, sorgt für einen angenehmen und zugleich packenden Kontrast, der sich in der kommenden Stunde umso deutlicher präsentieren wird.
Ruhig. Liebevoll. Unbeschwert. Romantisch. Würdevoll.
Der Zauber einer eiskalten Winternacht umgibt auch das zarte "Misty", und wäre es nicht Kate Bush, würde einem die Geschichte vom liebenden Schneemann, der nach einer gemeinsamen Liebesnacht in den Armen der Frau wegschmilzt, wohl zu dem einen oder anderen Stirnrunzeln fühlen. Stattdessen spürt der Hörer mit jeder weiteren Taste, die auf dem Piano gespielt wird, die nassen Laken, die Sehnsucht und den Schmerz über den Verlust: "So cold next to me / I can feel him melting in my hand." Das leicht jazzige Arrangement legt sich wie eine wärmende Decke über den 13-minütigen Song und bekräftigt das Hauptthema des Albums: die Liebe in eiskalter Umgebung.
Wohltuend. Gemächlich. Intensiv. Gehaltvoll. Eigentümlich.
Auch "Wild man" erzählt von einer Liebesgeschichte der anderen Art. Bush geht mit ihren Hörern auf Spurensuche nach einem Yeti, den alle für ein Tier halten, an das sie, die Erzählerin, ihr Herz verloren hat. "We found your footprints in the snow / We brushed them all away", singt sie voller Sorge darüber, dass man ihre Liebe finden könnte, denn: "They will hunt you down / And they will kill you." Und auf einmal ist sie da, die Kate Bush aus den 80ern, die damals mit ihrer anderen Art aneckte und später genau dafür geliebt werden sollte. Kein Wunder also, dass Bush, die selbst immer so durch und durch alternativ war, die Liebe zu einem behaarten Schneemenschen so glaubwürdig erzählen kann, als wäre sie das normalste der Welt.
Ästhetisch. Expressiv. Eindringlich. Schwermütig. Unvergleichlich.
Für Aufsehen sorgte im Vorfeld "Snowed in at Wheeler Street", auf dem sich Sir Elton John einbringt. Den zwei Liebenden, die über verschiedene Epochen hinweg an verschiedenen Kontinenten kurzzeitig zusammenkommen und einander aufgrund verschiedenster historischer Ereignisse immer wieder verlieren, hauchen Bush und John Leben ein, ohne sie zu pathetisch klingen zu lassen. Der aufkommende Bombast zum Schluss hin täuscht: Ein Happy End gibt es nicht. "When we got to the top of the hill / We saw Rome burning", gefolgt von einem schmerzvollen Flehen beider: "Don't leave me lost again / I don't want to lose you again." Leichte Kost ist etwas anderes. Immerhin versöhnlicher wird es im letzten Song, der Pianoballade "Among angels". Der besungene Freund in Nöten wird getröstet und liebkost, eine schützende Hand wacht über ihn, genau wie die schimmernden Engel um ihn herum, die er nicht wahrnimmt. "There's someone who's loved you forever but you don't know it / You might feel it and just not show it." Und plötzlich fehlen einem die Worte.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Snowflake
- Misty
- Among angels
Tracklist
- Snowflake
- Lake Tahoe
- Misty
- Wild man
- Snowed in at Wheeler Street
- 50 words for snow
- Among angels
Im Forum kommentieren
myx
2021-04-14 12:49:27
Schade, war ich gestern überhaupt nicht zum Mitmachen aufgelegt. Schöne Session mit vielen interessanten Infos. :)
Felix H
2021-04-13 22:46:18
Fun Fact zur Nacht: Der kürzeste Song auf "50 Words For Snow" ("Among Angels" mit 6:49) ist länger als der längste Song aller Kate-Bush-Alben aus dem letzten Jahrtausend ("Hello Earth", 6:13). Gute Nacht!
Jennifer
2021-04-13 22:27:05
Ich hab eben gerade mal nachgeforscht, wie das damals anfing. Und es war wirklich so spontan, wie ich es im Kopf hatte. "Jemand Bock auf Yo La Tengo? Wie siehts am morgigen Dienstag bei Euch aus?" :) Schöne Erinnerung irgendwie, vor einem Jahr war die Pandemie immer noch so neu und der Nerdclub eine echt gute Ablenkung vor der allgemeinen Unsicherheit. Und toll auch, dass ein paar Ur-Club-Mitglieder immer noch am Start sind! Freut mich sehr.
So, genug Sentimentalität für heute. Bleibt gesund, passt auf Euch auf. Gute Nacht!
ijb
2021-04-13 22:26:39
@Perfect Day
Ich finde Spoon super (das erste Album kenne ich allerdings nicht und bin nächsten Dienstag wahrscheinlich nicht im Boot), aber ich bin auch gespannt auf die Abendrunden, weil deren Alben sich doch in einiger Hinsicht nicht so dramatisch unterscheiden wie das bei den letzten Club-Auswahl-Interpreten der Fall war. Aber wahnsinnig viele fantastische Songs.
kingbritt
2021-04-13 22:25:07
. . . Spoon kenne ich kaum. Das Debütalbum mit dem wilden Titel "Telephono" läßt ja progressives erwarten. Ich bin ja mal gespannt. ^^
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