Skinny Puppy - HanDover
Synthetic Symphony / SPVVÖ: 28.10.2011
Das Nervensägenmassaker
Es geht auch andersherum: Während andere Musiker auf ihre alten Tage oft versöhnlich werden, haben Skinny Puppy es schon lange nicht mehr nötig, unbedingt dunkle Tanzflächen zu bevölkern. Sie sorgen seit dem erschütternden 1992er Brocken "Last rights" lieber für zerbeulte Gemüter und Fracksausen in den Ohren - als jüngster Beweis diene das heillose Breakbeat-Chaos, mit dem "HanDover" nach 43 Minuten zum letzten Gefecht rüstet. Doch schon zuvor droht der Wahnsinn nach einem zu schnappen. Komplexe Gebilde waren die Platten der Kanadier schon immer - ihr elftes Album aber ist eine Herausforderung, mit der man erst einmal klarkommen muss. Wer da entnervt das Handtuch wirft, hat sicher seine Gründe. Aber auch einen erstaunlichen Hybrid verpasst.
Denn obwohl Skinny Puppy manchmal immer noch dem zuletzt arg stumpfen Genre Electronic Body Music zugerechnet werden, bieten sie seit geraumer Zeit ganz andere Dinge: berstenden progressiven Dancefloor, Industrial-Installationen und halbverdaut ausgespuckten Krank-Pop mit unwirschem (An-)Klagegesang und gelegentlichem Maschinengewehr-Rap. Die Vertonung einer unwirtlichen Realität voll virtueller Gräuel, heuchelnder Obrigkeiten und fremdbestimmter Existenzen, die nur noch mit surrealen Schrägheiten und kryptischen Wortspielen in Inhalte gefasst werden kann. Und mit Musik, die abwechselnd irritiert, fasziniert und begeistert. Ganz besonders auf "HanDover", obwohl hier alles rückwärts zu laufen scheint. Oder zumindest schwer durcheinandergeraten ist.
Etwa die schräg humpelnde Sequenz des Openers "Ovirt" oder die über alle Kanäle gezogene Akustikgitarre in "Wavy". "Cullorblind" versucht eine zappendustere Balladenmutation, wird aber immer wieder von rebellierenden Beats verschreckt. Der Zeitlupen-Groove von "AshAs" lässt sich von einer unablässig an den Nerven sägenden Teufelsgeige aufbohren, während Frontmann Nivek Ogre die Moritat für einen verstorbenen Tourbegleiter anstimmt und Elektroniker cEvin Key nur die hinterhältigsten Geschütze aus seinem immensen Soundarsenal auffährt. Reinster Pop eben - oder wie hieß noch gleich das Zeug, bei dem man spontan zu phosphoreszieren beginnt, bevor die Haare ausfallen und Nadeln aus dem Kopf sprießen?
Passend dazu wartet im Hinterzimmer "Brownstone", das Alter Ego des Vokalisten, das bereits durch das letzte Album seines Soloprojektes ohGr geisterte und hier ein in schreienden Farben schillerndes Kasperletheater inszeniert. Plötzlich pocht es rabiat an die Tür: Es sind die Verdammten der Finanzkrise, die sich im "Village" zu böse bratenden Synth-Bässen unter panischen Zuckungen gegenseitig massakrieren. Klangebenen verschieben sich, Hörgewohnheiten haben sich schon lange verabschiedet. Dieser Irrsinn hat Methode und greift mit genauso unerbittlicher Kralle nach dem Hörer wie die Hände im finsteren Wald auf dem Cover. Schwarze Visionen, blankes Entsetzen: Selten verstand eine Band so wenig Spaß und machte dabei so viel Freude.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Cullorblind
- Wavy
- AshAs
- Village
Tracklist
- Ovirt
- Cullorblind
- Wavy
- AshAs
- Gambatte
- Icktums
- Point
- Brownstone
- Vyrisus
- Village
- NoiseX
Referenzen
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- Skinny Puppy (41 Beiträge / Letzter am 17.02.2021 - 10:27 Uhr)