Miss Li - Beats & bruises
DevilDuck / IndigoVÖ: 22.07.2011
Schattenseitenhiebe
Die Farben werden dunkler. Sieht man sich die Cover der vergangenen Miss-Li-Alben an, wurde aus der vor hellblauem Himmel posierenden Dame ein schwarzgraumeliertes Bild ihrer selbst. Obendrein nennt sich das neue Werk der schwedischen Sängerin auch noch "Beats & bruises". Die Frage sei schon vor dem ersten Hören erlaubt: Ist das stets präsente, selbstkritische und selbstzweifelgeplagte Wesen durchgedrungen, um dem fröhlichen Klang der luftigen Popnummern mit genreübergreifenden Haken den Garaus zu machen? In vielerlei Hinsicht ja - was aber auch persönlichen Erfahrungen der vergangenen Monate geschuldet ist. Eine langwierige Krankheit sorgte nämlich dafür, dass Linda Carlsson kaum mehr richtig laufen konnte. Das nagte am Seelenheil - wie der Song "Shoot me" dokumentiert.
Es wäre Miss Li zuzutrauen, im Nachhinein lauthals darüber zu schimpfen wie ein Rohrspatz - stattdessen aber hören wir ein zartes, angeschlagenes Stimmchen zu monotonen Drums: "Shoot me with the pain / Until I go insane". Muss eine fordende Zeit gewesen sein. Doch was auch immer den Stimmungswechsel angeschoben haben mag - es macht "Beats & bruises" zum reifsten Werk der Schwedin. Mit den stärksten Songs, die sie bislang veröffentlicht hat, aber auch mit ungeahnten Schwächen. Das zähe "Forever drunk" beschäftigt sich mit der wachrüttelnden Erkenntnis, nicht dauerbreit die Jugend verschwendet zu haben, die Aufmerksamkeit aber kapituliert unter der torkelnd-trägen Ausdrucksweise. In "Arrested" erfährt man zudem von Carlssons Verhaftung wegen öffentlichen Urinierens - die Anklage der überheblich-übermächtigen Ordnungshüter gerät aber ungewohnt lasch und nur andeutungsweise bissig. "Are you made of testosterone / Does this big boy style turn you on?". Wenn's weiter nichts ist.
Es finden sich aber auch wahre Perlen auf diesem Album. "Devil's taken her man" lebt von beängstigenden Klaviertönen, passend aufspielenden Percussions und gruseligen Bildern: "The devil's taken her man / The silence is loud / And his knife cuts the sound / He's leaving her cold on the ground". Die treibende Pop-Nummer "My man" erinnert mit seinen Saxophon-Parts an frühere Alben, zumal Miss Li ihre Nebenbuhlerin einmal mehr gekonnt in die Schranken verweist und musikalisch der Wilde Westen nur einen Steinwurf entfernt ist. "You could have it (so much better without me)" klingelt beim Rock'n'Roll, der Beat-Zeit und den Sechzigern durch, und sogar für Jazz, Ragtime und Rhythm & Blues ist Platz in diesen Songs voller Selbstzweifel, liebloser und zerrütteter Familien, Tod und nerviger Frauen. Doch Miss Li hat nicht von heute auf morgen eine schwarze Seele bekommen - sie dokumentiert die Schattenseiten des Gemüts. Und solange sie noch genügend Kraft hat, um darauf herumzutrampeln, wünscht man ihr sogar, dass sie noch länger auf der Schattenseite stehen möge.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Devil's taken her man
- Shoot me
Tracklist
- Devil's taken her man
- I can't get you out of my mind
- My man
- Shoot me
- You could have it (so much better without me)
- Forever drunk
- Hit it
- Arrested
- Billy's got a gun
- The modern family
- Are you happy now?
Referenzen
Spotify
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