Kurt Vile - Smoke ring for my halo

Matador / Beggars / Indigo
VÖ: 04.03.2011
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Hauptwege und Nebenwege

Zu den groß angelegten und offensiv beworbenen Hauptwegen der Musikindustrie bekommt der Musikenthusiast bereits hübsch ausgeschmückte und in jedes alternative Schema passende Nebenwege bereitgestellt, um ohne große Anstrengung persönlich-individuelle Exklusivität aufrecht zu erhalten. Wer dieses plumpe Verfahren durchschaut hat, wird weiter suchen: Es warten Nebenwege auf die Entdeckung, die mit eigener Anstrengung geformt werden müssen. Auf der Reise ins Unbekannte mag es den ein oder anderen nach Philadelphia/USA verschlagen. Dort hat sich in den letzen Jahren ein Szene formiert, die in avantgardistisch-psychedelischer Herangehensweise Folk, Rock'n'Roll, Noise, Blues und Weltmusikalisches neu gestaltet. Und wie das in Szenen so üblich ist, spielt man sich Bälle gegenseitig zu, so dass dutzende Nebenprojekte neben festen Stämmen entstanden sind.

Die Gleichung "zu jeder Szene ein Wunderkind" mag letztlich wohl nicht aufgehen. Wenn man aber Kurt Vile auf ein Wort reduzieren mag, dann ist "Wunderkind" gar nicht mal so verkehrt. Der junge Mann mit dem femininen Bübchenface und stets langer Mähne präsentiert mit "Smoke ring for my halo" bereits sein viertes Album, neben vielen weiteren Veröffentlichungen, die im Philadelphia-Musikerkreis aufgegangen sind. Langgezogene Gitarrensoli, die Songstruktur torpedierende Noiseschleifen, lieblich-schwammige, nicht greifbare Keyboardexperimente, immer am schmalen Grat zur völligen Losgelassenheit - Viles selbstbewusstem Spiel in all seinen Ausformungen ist nicht mit Prägnanz beizukommen, so überdehnt und abenteuerlich gestaltet er sein Songschaffen. Auch "Smoke ring for my halo" folgt dieser losen Formel, mäßigt sich aber an Stellen, wo Vile früher eher auf einen schillernden Gitarrenangriff gesetzt hätte.

Die Mäßigung, die zu keiner Zeit die Qualitäten Viles reduziert, ist in vor allem zu Beginn der einzelnen Tracks zu hören. Jedes dieser elf Kleinode startet mit einem einschlägigem, süßlichen Rhythmus, der bis zum Ende anhält. Allerdings geht es Vile nicht darum, den Zuhörer einzulullen. Das spannende Element von "Smoke ring for my halo" liegt darin, dass seine Kompositionen in ein Aquarium getaucht zu sein scheinen. Das offensichtlich Eingängige wird anhaltend verwischt und neu geordnet - ein Wechselspiel zwischen Simplizität und Subtilität. Man könnte Viles Songs Gleichförmigkeit vorwerfen, so stark ähneln sich die Strukturen des wasserstoffdurchsetzten Grundgerüstes. Doch mit jedem neuen Durchlauf wird offenbar, wie geschickt und komplex Vile hier auf kleiner Spur arrangiert: Das scheinbar einfache und zum größten Teil akustische Songwriter-Album, mit Einflüssen einer 80s-Neo-Psychedelia und entschleunigtem Power-Pop durchsetzt, legt von Minute zu Minute seinen versteckten Fokus auf traditionellen Folk und American Primitivism frei, ohne den Halt in der Zeitgenössigkeit zu verlieren. Auch bewusst verwischte, gleichwohl respektable Country-Anleihen lassen sich im Soundgefüge entziffern.

Bei allem intellektuell anspruchsvollen Ineinanderübergleiten auf dem Tiefengrund von "Smoke ring for my halo" zeigt Vile, dass er auch in lyrischer Hinsicht kein Phrasendrescher ist. Durch den lakonischen Vortrag von Alltäglichkeiten, der ohne ein breites Spektrum an vokalem Auf und Ab auskommt, wird zwar der Status "Beiwerk" suggeriert, doch ist einmal die Tiefe des Albums ausgeleuchtet, wird auch der Abgrund erkennbar, in dem Vile in seine Texte entworfen hat. "Peeping tomboy" mag man als schlichte Aufzählung gewöhnlicher Unschlüssigkeiten abtun, mit jeder Zeile entwirft das Stück ein Bild von einer durch innere Zwänge, Melancholie und depressive Züge erschwerte Selbstfindung. "Smoke ring for my halo" ist, wenn man so will, ein Blender vor dem Herrn. Es wird vermutlich all jene mit der Zeit abstoßen, die sich in seiner vermeintlichen Gefälligkeit suhlen. Die anfangs versteckten Nebenwege sind es auch hier, die den Weg zum erkenntnisreichen Glück ebnen. "Smoke ring for my halo" ist bereit, wenn Du bereit bist.

(Markus Wollmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Jesus fever
  • Society is my friend
  • Peeping tomboy
  • Ghost town

Tracklist

  1. Baby's arms
  2. Jesus fever
  3. Puppet to the man
  4. On tour
  5. Society is my friend
  6. Runners up
  7. In my time
  8. Peeping tomboy
  9. Smoke ring for my halo
  10. Ghost town
  11. Shell blues
Gesamtspielzeit: 47:14 min

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