Jupiter Jones - Jupiter Jones
Columbia / SonyVÖ: 25.02.2011
Landjugend urban
Wären Jupiter Jones eine Bildungskarriere, würde sie sich etwa so lesen: der Vater Arbeiter am Fließband, die Mutter Putzfrau, Realschulabschluss, ein Jahr nichts, Lehre zum Einzelhandelskaufmann, drei Jahre gearbeitet, Abitur auf dem zweiten Bildungsweg, schließlich ein BWL-Studium. Was 2002 auf irgendeiner Dorfparty in der Eifel als Zeitvertreib gegen die Langeweile begann, ist längst zu einer Aufstiegsgeschichte geworden. Mit der wüsten Melancholie ihres Debüts "Raum um Raum" rüpelten sich Jupiter Jones 2004 noch mit Schmackes in die Herzen der deutschen Landjugend, doch schon 2009 stand die Band - nicht zuletzt dank der Aufmerksamkeit, die sie im Rahmen der VW Sound Foundation bei der Musikindustrie erregt hatte - mit "Holiday in Catatonia" an der Schwelle zum Mainstream-Publikum. Eine Entscheidung stand an.
Jupiter Jones haben sich entschieden: für einen Vertrag beim Majorlabel, für die Chance, es mit ihrer Musik im großen Maßstab zu versuchen. Es wäre ungerecht, ihnen nur dafür schon Verrat vorzuwerfen - als nachbarschaftsverwachsene Vorbilder für die Dorfpunks und Normalos mit Probenkeller taugen sie aber allmählich auch nicht mehr. Vor allem aber führt dieser Weg in eine Identitätskrise: Jupiter Jones passen nicht ins Korsett professionell vermarkteter Poprocker, weil sie im Innern immer noch die grundsympathischen Landeier sind, als die sie sich auch selbst sehen. Anders formuliert: Man kriegt die Band aus der Provinz, aber die Provinz nicht aus der Band. Zumindest nicht aus dieser.
Dieser Widerspruch spiegelt sich im ambitioniert selbstbetitelten vierten Album des Quartetts: Sänger Nicholas Müller textet noch immer mit Herzblut über Alltagsdramen und Gefühle zwischen Kitsch und Lebenslust mit Bodenhaftung, und die Background-Shouts von "Hey! Menetekel" verschaffen dem Opener bei allem Pop-Appeal die nötige Schärfe. Abseits davon kratzt und beißt "Jupiter Jones" jedoch kaum, die glatte Radio-Produktion verklebt Müllers Reibeisenstimme genauso wie die Gitarren. Und auf Synthesizer, halbballadesken Einheitsbrei wie "Hier oben (... Jupp)" und den Durchschnitts-Rock von "Sonne? Scheint!" hat bestimmt kein Fan der Band gewartet - denn das ist von Revolverheld einfach nicht so deutlich entfernt, wie man es sich wünschen würde. Immerhin stellen sich Wackelkandidaten wie "Vater" oder "Still" irgendwann doch noch als Grower heraus.
In "Berlin", dem zweiten Höhepunkt des Albums, wird noch einmal deutlich, wie die Wahrheit über Jupiter Jones verschwimmt: "Ihr sucht da, wir suchen hier / Und spart Euch die Geschichten / Ich trag meine tief hier drin / Ihr habt nur ein paar mehr Statisten / Wo ich oft alleine bin / Wir sehen uns irgendwann / In Berlin." Ein Song über alle, die auf der Suche nach dem Glück in der Großstadt die alten Freunde zurücklassen. Das ist keine Pose, sondern so echt, wie Underdog-Romantik nur sein kann. Und trotzdem bleibt der fade Beigeschmack, dass es ja gerade Jupiter Jones selbst sind, die - Wurzeln hin oder her - mit ihrer neuen Hauptstadt-Plattenfirma auf Maximierung aus sind. "Live your heart and never follow" steht auf Nicholas Müllers Unterarm. Hoffentlich wissen Jupiter Jones, was sie tun.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Hey! Menetekel
- Berlin
Tracklist
- Ansage
- Hey! Menetekel
- Immerfürimmer
- Still
- Alter Mann wo willst Du hin?
- Vater
- Sonne? Scheint!
- Berlin
- Hier oben (... Jupp)
- Stück vom Weg
- Der Hund, der Stock, die Tür
- Komm bloß nicht nach Bad Bentheim
Referenzen
Spotify
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv
Threads im Forum
- Jupiter Jones live (11 Beiträge / Letzter am 22.03.2024 - 20:08 Uhr)
- Jupiter Jones - Die Sonne ist ein Zwergstern (94 Beiträge / Letzter am 03.01.2023 - 19:58 Uhr)
- Jupiter Jones - Entweder geht diese scheußliche Tapete - oder ich (118 Beiträge / Letzter am 04.07.2022 - 21:18 Uhr)
- Jupiter Jones: Nicholas Müller steigt aus - Neuer Sänger (9 Beiträge / Letzter am 19.01.2021 - 14:53 Uhr)
- Jupiter Jones lösen sich auf (16 Beiträge / Letzter am 09.11.2017 - 20:31 Uhr)
- Jupiter Jones - Brüllende Fahnen (21 Beiträge / Letzter am 16.03.2016 - 20:40 Uhr)
- Jupiter Jones - Glory. Glory. Hallelujah! (15 Beiträge / Letzter am 31.08.2014 - 04:29 Uhr)
- Jupiter Jones - Das Gegenteil von allem (151 Beiträge / Letzter am 16.05.2014 - 15:30 Uhr)
- Urheberrechtsdebatte: Nach Regener poltert jetzt auch Sascha Eigner (Jupiter Jones) los (153 Beiträge / Letzter am 05.11.2013 - 18:27 Uhr)
- Madsen vs. Tocotronic vs. Jupiter Jones (18 Beiträge / Letzter am 08.08.2012 - 08:34 Uhr)
- Jupiter Jones - Raum um Raum (76 Beiträge / Letzter am 04.05.2012 - 15:18 Uhr)
- Jupiter Jones - Neues Album (155 Beiträge / Letzter am 30.09.2011 - 18:28 Uhr)
- Jupiter Jones - Holiday in Catatonia (82 Beiträge / Letzter am 30.08.2011 - 22:25 Uhr)
- Beatsteaks vs. Jupiter Jones (53 Beiträge / Letzter am 20.08.2011 - 14:38 Uhr)
- Jupiter Jones - Das Jahr, in dem ich schlief (EP) (5 Beiträge / Letzter am 28.03.2009 - 13:39 Uhr)