Esben And The Witch - Violet cries
Matador / Beggars / IndigoVÖ: 28.01.2011
Schock. Schwere. Not.
Wenn sich das Jahr dem Ende neigt, fühlt sich jedes Musikmagazin dazu berufen, Jahresbestenlisten zu erstellen. Manchmal wird im Zuge der chronologischen Rekapitulation auch ein Blick in die Zukunft, auf das kommende Jahr geworfen. Die großen musikalischen Hoffnungen für die bevorstehenden zwölf Monate werden formuliert, ziehen wie nebulöse Schleier durch die Musik-Blogs. Neue Genre-Bezeichnungen finden ihren Weg in die weite Welt, nur um das unbekannte Etwas als den neuen heißen Shit zu legitimieren. 2011 sollte demnach das Jahr von Esben And The Witch werden, eine Art verprügelte und übers Knie gelegte Version des ätherischen Dunkelpop von The Xx. Vermarktet wird das Debüt "Violet cries" unter dem Banner "Nightmare-Pop", was hanebüchen klingt, des Pudels Kern aber ganz gut trifft.
Esben And The Witch gründeten sich 2008 in der britischen Küstenstadt Brighton, benannten sich nach einem dänischen Märchen und entwickelten in den folgenden zwei Jahren ihre ureigene Variante von Pop: Gepaart mit doomigen Sounds, unheimlichen Echos und sonstigen Spukereien, klingt das Resultat wie ein ganz ungemütlicher Trip durch die dunklen Nadelwälder Siebenbürgens. Der Frost legt sich auf die Kutschenräder, der Atem gefriert im Moment des Austritts, die Lippen werden blau. "Violet cries" ist kein Wohlfühlalbum, nein, ganz bestimmt nicht. Wer also gerne mit der Liebsten am heimischen Kamin kuschelt, während am Fenster Schneeflocken weiße Muster bilden, wird kaum zu Esben And The Witch greifen. Die zehn Stücke wollen Schmerzen bereiten, sie führen Böses im Schilde.
Die LP beginnt langsam, schleichend beißt sich der Eröffnungstrack "Argyria" durch morsche Holzwände und läutet mit seinen Ambientflächen die 44-minütige Schauergeschichte ein. Die Marschroute ist klar: "Violet cries" ist ein Vexierbild, es trägt die Schönheit versteckt und den Schrecken, das Abscheuliche offen nach außen. Der Videoclip zur Single "Marching song" ist der beste Beweis für die Lust an Gewalt und Qual: Wozu braucht man schon Tattoos und Piercings, wenn die eigenen Hämatome doch schon schönster Körperschmuck sind? Im Hintergrund hört man Stimmen, die unheilig durch den Song wabern, Todestrommeln peitschen das Stück nach vorne.
Gegen Mitte des Albums erreicht die Intensität bereits ihren Höhepunkt: Das zarte "Marine fields glow" verzichtet auf Effekthascherei, "Light streams" würde in einer ziemlich dunkel getarnten Welt vielleicht sogar als Hit durchgehen. Das beste Stück der Platte, "Hexagons IV", beruht auf der steten Litanei der Sängerin Rachel Davies: "Contours, refract / Patchwork, casket / Enclose, pinfold / Crystal, fortress." Das Stück ist eine pulsierende Schlagader, gefangen in der hallenden Finsternis einer Tropfsteinhöhle. Was man Esben And The Witch indes vorwerfen muss: Die zweite Albumhälfte verlässt sich zu sehr auf Schockeffekte, kann die schwelende Stimmung nicht in Gänze aufrechterhalten und fällt deutlich hinter die ersten Tracks zurück. "Violet cries" ist trotz des immensen Hypes noch nicht die erwartete Großtat. Es fehlt die Substanz, welche die vorherrschende Intensität auf Albumlänge konservieren würde. Auch wenn dieses Debüt alles andere als ein schlechtes Album ist, bleibt ein fader Beigeschmack sowie die Erkenntnis, dass man nur den Listen glauben schenken sollte, die man selbst gefälscht hat.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Light streams
- Hexagons IV
Tracklist
- Argyria
- Marching song
- Marine fields glow
- Light streams
- Hexagons IV
- Chorea
- Warpath
- Battlecry/Mimicry
- Eumenides
- Swans
Referenzen
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