Jens Friebe - Abändern
ZickZack / IndigoVÖ: 08.10.2010
Der Vengaboy
Es gibt Leute, die es einem zuweilen schwer machen. Jens Friebe gehört dazu. Für die einen ist er ein glamouröser Popliteraten-Dandy, dessen Musik über Gebühr zu Kitsch und elektronischer Mehlsoße neigt und der sich deswegen lieber ganz aufs Schreiben verlegen sollte - für die anderen Interpret schnittiger deutschsprachiger Indie-Popsongs, denen es zuweilen an zu gewollten textlichen Schrägheiten und mäßigen Sexualmetaphern gebricht. Auch auf "Abändern" knallchargiert der Wahlberliner von Listigkeit bis Theatralik und laviert sich zwischen dem Anspruch von PeterLicht und Alexander Marcus' grenzdebilem Techno-Schlager hindurch. Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte.
Mit dem Unterschied, dass Friebe für sein viertes Album diesmal ein Klavier ins Studio geschleppt hat, das mal brummelnd, mal dominant durch die Songs geistert. Zum Beispiel durch den Uptempo-Hit "Königin im Dreck", der zielstrebig nach vorne prescht und sich immer mal wieder einen krakeelenden weiblichen Chor leistet. "Charles de Gaulle" lässt es gemütlicher angehen: Jenseits der Pianolinie flankiert ein zauberhafter Singalong-Refrain mit entspanntem Backbeat dieses swingende Prachtstück. Noch so ein Hit. Und eigentlich sind vereinzelte, allzu kontemplative Elegien wie "Vögel", gelegentlich zu Gunsten des Versmaßes überdehnte Silben und Zeilen wie "Sie stand vor dem Supermarktregal / Und sie starrte in das Duschgel" ja auch halb so schlimm.
"Abändern" funktioniert aber nicht nur als Sammlung crooniger Songs, sondern auch als musikalische Schnitzeljagd. Lässt die unaufhörliche Steigerung des Openers "Theater" zum bassgetriebenen Tanzmonster da nicht einen Widerhall von "Heads will roll" von den Yeah Yeah Yeahs erkennen? Und spielt das knuffige Gedengel von "Reste" nicht genauso Radioheads "No surprises" nach wie die Keyboards in "Charles de Gaulle" das Hintergrundgeheul von "Sympathy for the devil"? Jedenfalls um Längen bessere Referenzen als die Karikatur des Vengaboys-Hits "Up & down", die weder etwas mit Friebes früheren Interpretationen von They Might Be Giants, Beat Happening und The Magnetic Fields noch mit der geglückten, weil unironischen Erdmöbel-Fassung gemein hat. Doch Lieder mit entlarvenden O-Tönen unterlegen, in den Studiohäcksler stopfen und so mutwillig und gewalttätig entstellen - DJ Koze und Max Goldt dürfen das, Friebe kann es nicht einmal.
Glücklicherweise bleibt dieses komplett unlustige Stück der einzige Ausrutscher, auch wenn "Abändern" nach dem hyperaktiven Polterer "Sei mein plus eins" nicht mehr ganz zur anfänglichen Form zurückfindet. Hier eine kleine Ballade mit Bläser-Intermezzo, dort eine augenzwinkernde Selbstkasteiung und gegen Ende ein bestenfalls halbamtlicher "Lawinenhund"-Nachfolger - knapp nach der Hälfte fällt hier alles weitgehend wieder an seinen Platz. Trotzdem bleiben Friebes Lieder über die Liebe in den Zeiten der Resterampen und Gästelistenplatzschnorrer rührend, angenehm uncool und nur manchmal ein wenig einfältig. Und so schwer war das alles dann doch gar nicht.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Theater
- Königin im Dreck
- Charles de Gaulle
- Sei mein plus eins
Tracklist
- Theater
- Königin im Dreck
- Vögel
- Charles de Gaulle
- Up & down
- Sei mein plus eins
- Reste
- Alles über die Welt
- Sag ja
- Verbotene Liebe
- Irre
Im Forum kommentieren
Gordon Fraser
2010-10-20 19:55:23
Erster Eindruck: passt. Klassisches Friebe-Album, geht sofort ins Ohr.
wolfgang doebbelin
2010-10-12 11:12:46
http://www.youtube.com/watch?v=dGyx5ApIrfE
großartig. "charles de gaulle".
die stelle mit dem kleinen lord kann wohl jeder nachvollziehen. friebe beweist hier große volksnähe.
York
2010-10-12 09:28:03
@vau: Ach ja, eingeschränkte Vorstellung von Tonalität? Was macht Friebe denn, Experimentalmusik? Selten so gelacht. Ein einzelnes Schlagbohrer-Solo von F.M. Einheit ist 100 mal musikalischer als das Herumgemelodeie des Herrn Friebe.
hellworm
2010-10-12 09:18:44
knyphausen macht musik.
was friebe macht, kann ich noch nicht einordnen und daher nicht beurteilen.
vau
2010-10-11 23:56:32
Ich sprang auf den Begriff "Katzenmusik" an, den in der Regel Leute mit eingeschränkter Vorstellung von Tonalität hervorholen. Rentner zum Beispiel, obwohl ich mich da wieder weit aus dem Fenster lehne.
Dream Theater anzuführen war natürlich dumm von mir, weil es ablenkte von dem, was ich eigentlich sagen wollte.
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