Jimmy Eat World - Invented
Interscope / UniversalVÖ: 24.09.2010
American Diner
Die Nachricht klang unglaublich. Man musste sich zwicken, um zu begreifen, dass tatsächlich etwas geschehen war, was man sich kaum noch zu träumen gewagt hatte. Mark Trombino produziert das neue Album von Jimmy Eat World! Vorbei also die Zeiten, in denen die Band, die um die Jahrtausendwende eine neue Definition für Emopop erfand und gleichzeitig das bis heute gültige Referenzwerk "Clarity" - an den Reglern: Trombino - auf den Markt schmiss, sich selber ein bisschen ins muskalische Niemandsland spielte? Sollte diese Traumkombination aus Band und Produzent in der Lage sein, die Enttäuschung "Chase this light" einfach so auszuradieren, als sei gar nichts gewesen? Große Erwartungen schaffen große Fallhöhen. Der Mythos "Jimmy Eat World plus Trombino" fällt mit "Invented" aus luftigen Höhen.
Dabei beginnt das siebte Studioalbum der Band aus Arizona mit "Heart is hard to find" recht vielversprechend. Über Handclaps und eine Akustikgitarre schiebt sich wieder diese himmlisch harmonische Zweistimmigkeit in den Vordergrund, während sich hinten irgendwo die Streicher nach und nach ausbreiten. Herrlich unaufdringlich kommt der Song zunächst daher, verliert sich aber leider gegen Ende ein bisschen in der Dramatik, die Jim Adkins' Stimme betont in den Raum wirft. Doch dann nimmt das Schicksal seinen Lauf. Die erste Single "My best theory" ist nicht viel mehr als bonjoviesker Stadion-Rock mit herzlos mechanischem Drumming und einem Strophe-Refrain-Schema, das lebloser nicht sein könnte. Bitte Richie Samboras Talkbox einfach an der dafür geeigneten Stelle dazudenken. Genau so wollte man Jimmy Eat World nach "Chase this light" eigentlich nie wieder hören.
Mit Ausnahme des wirklich schönen, weil dezenten "Evidence" bleibt der Output zunächst über weite Strecken dürftig. Da gibt es Midtempo-Songs wie "Higher devotion", das sich mit lächerlichen Stimm- und Instrumenteneffekten selbst überfordert, oder mit "Movielike" netten, seichten College-Gitarrenpop. Und mit "Coffee and cigarettes" sowie "Stop" weitere melodieselige Nümmerchen, die zwar nicht groß stören, aber in der Discographie der Band keine Rolle spielen dürften. Da helfen die im Grunde natürlich hinreißenden Courtney Marie Andrews und Rachel Haden leider nicht allzu viel. Auch die etwas zu kitschig aufgeblähten Balladen "Littlething" und "Cut" treffen nicht so richtig ins Herz, da sie einfach zu betont und gewollt mit Pathos zugekleistert sind. Es fehlt diese herzliche Natürlichkeit früherer Alben.
Wer aber versucht ist, bereits jetzt den Stecker zu ziehen, wird sich nachträglich in den Hintern beißen können. Denn man verpasst nicht nur Tom Lintons Rückkehr ans Mikrofon, von der man sich zwar mehr versprochen hat als "Action needs an audience" hergibt, die aber trotzdem gelungen ist, einfach weil sie etwas kratziger als die restlichen Stücke geworden ist. Und natürlich gibt es ihn doch noch, diesen einen ganz großen, in Song gemeißelten Moment, der einfach nie vergehen sollte. Mit dem Titeltrack "Invented" ist der Band die vielleicht beste Arbeit seit "My sundown" gelungen, dem Ende von "Bleed american". Courtney Marie Andrews und Jim Adkins harmonieren über die gesamten sieben Minuten perfekt miteinander. Der Song ist so schön, erhaben und dramaturgisch bravourös, dass er selbst in den Rahmen von "Clarity" gepasst hätte. Warum nicht gleich und immer so? Das fünfminütige "Mixtape" schließt "Invented" dann entzückend ab.
Wie eigentlich üblich bei Jimmy Eat World kann man sich gut vorstellen, dass die Demos einiger Stücke wieder einmal viel besser und intensiver, weniger aufdringlich gewesen sind, als das, was die Band uns final auf Platte hinterlassen hat. Wenn die Songs der früheren Alben trotzdem noch stark genug waren, um eine feierliche Größe auszustrahlen, dann war das schon fast Kunsthandwerk. "Chase this light" und "Invented" kratzen nun nachträglich etwas am Ruhm von "Clarity", weil nicht ganz klar wird, wie Jimmy Eat World es damals hinbekommen haben, solch ein majestätisches Album aufs Parkett zu zaubern. Und wenn selbst Mark Trombino diese Band nicht mehr in die richtige Spur bringen kann, wer dann? Die Wahrheit schmerzt, aber Jimmy Eat World ist eben auch nur eine ganz normale, mittelmäßige US-Radio-Rock-Band mit guten, manchmal perfekten Momenten. "Invented" ist kein erwähnenswerter Schritt für die Menschheit, aber immerhin ein kleiner für Jimmy Eat World. Und die Hoffnung stirbt zuletzt.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Heart is hard to find
- Evidence
- Invented
Tracklist
- Heart is hard to find
- My best theory
- Evidence
- Higher devotion
- Movielike
- Coffee and cigarettes
- Stop
- Littlething
- Cut
- Action needs an audience
- Invented
- Mixtape
Im Forum kommentieren
Affengitarre
2024-01-30 16:31:43
Ach, in der richtigen Stimmung ist das Album doch ganz schön. "My Best Theory" und vor allem "Higher Devotion" sind Quatsch und können auch gerne wieder runter, sonst läuft das Album ziemlich gut durch.
jo
2022-07-01 21:51:00
Ich denke, wir werden uns diesbezüglich nicht finden. Geschmäcker und so :-)
Ach so. So was gibt es? ;)
Der einzige Song den ich genial finde auf Damage ist Please say no.
Das klärt es für mich auch. Den finde ich nämlich langweilig :D.
Leech85
2022-07-01 19:42:10
Invented ist auch kei klassischer Hit sondern ein epischer Indierock Song. Während Movielike und Coffee and Cigarettes tolle Hits mit mehr tiefgang als alles auf Damage für mich. Der einzige Song den ich genial finde auf Damage ist Please say no.
Beefy
2022-07-01 09:03:22
Ich denke, wir werden uns diesbezüglich nicht finden. Geschmäcker und so :-)
jo
2022-07-01 08:33:19
Hmm, kann ich nicht nachvollziehen.
"Appreciation", "I Will Steal You Back", "Damage", "How'd Have Me", "No Never", "Lean" - keine Hits? Auch das Radiohead-Cover ist nett. Wo kommt "Invented" vom Hitpotential auch nur annähernd an die beiden erstgenannten ran? "Coffee and Cigarettes"? "Movielike"? Für mich klar schwächer. Der Titeltrack ist okay, aber auch sehr langatmig.
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