Helmet - Seeing eye dog

Worksong / Al!ve
VÖ: 24.09.2010
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Gemeine Brüche

Es ist eine Crux mit dem Dasein. Als Page Hamilton einst Helmet gründete, brauchte die Welt genau diese Band. Dieser Metal war nicht Physis, sondern Physik. Die körperliche Wucht dieser Riffs traf auf mathematisches Kalkül und konsequent gekürzter Bruchrechnung. Man hätte diese reinigende Reduktion erfinden müssen, wenn man dazu in der Lage gewesen wäre. Als es Helmet zwischenzeitlich nicht mehr gab, waren sie die fehlende Variable. New Metal, Pseudo-Grunge und andere Unsäglichkeiten markierten mit schlichter Formelhaftigkeit und aufgeblasenen Riffs die Nullstellen des Alternative Rock. Und als Hamilton erneut mit Helmet an die Mathe-Tafel ging, hatten sich die Nachgeborenen Nachhilfe verschafft und waren ihrem Vordenker voraus.

Das konnte Hamilton nicht auf sich sitzen lassen. Nachdem er mit einer Familienpackung Hustensaft gegurgelt hat, kann man die nahezu einladenden Harmonien schon im Opener "So long" sogar wieder als solche erkennen. Da wackelt der Arsch mit dem Trommelfell im Takt. Die trocken heruntergeklopften Drei- bis Viereinhalbminüter von "Seeing eye dog" lassen sich den Schwung nicht nehmen. Helmets prototypische Riffstrukturen zwischen präziser Kalkulation und Scheißegal-Noise brechen im Gehörgang und verkanten sich erst im aufmerksamen Gehirn des Zuhörers. Das bleibt zwar beinahe der einzige Anknüpfungspunkt zu den Richter-Skalen von "Meantime" oder dem deliranten Knochenbrecher-Funk von "Betty", aber wir haben es hier eben mit Helmet 2.0 zu tun.

Zur Athletik von "Size matters" und der abgeschabten Arithmetik von "Monochrome" gesellt sich auf "Seeing eye dog" also wieder ruppige Melodik. Das Titelstück schickt einen malmenden Tieflader-Groove voraus, und "Welcome to Algiers" wankt zwischen Oberton-Flirren und Kopfnicker-Refrain hinterher. Der angesichts des Albumtitels erwartete Beschäftigung mit der Fauna entpuppt sich als Beatles-Coverversion, das heisere "And your bird can sing" ist dabei nur auf den ersten Blick ein Fremdkörper. Dass sich Hamilton mit "Morphing" sogar sphärische Elektronik erlaubt, die er versuchsweise von seinem Schaffen als Soundtrack-Komponist mitgebracht hat, ist da viel abseitiger.

Dennoch greifen die Gegensätze auf Helmets siebtem Album mit zunehmender Spieldauer wie sorgsam ausfräste Puzzlestücke ineinander. Die träge Wucht von "White city" und das unruhige Kratzen von "Miserable" kreisen Hamiltons Melodieverständnis auf engstem Raum ein. "In person" pflügt sich ohne Rücksicht auf Neurosen durch den Nerven-Highway. Und wenn im abschließenden "She's lost" der zähflüssige Groove unter Rechenschieber-Riffs und enervierendem Saitenflitzen aufkocht, ist ohnehin alles eins. Deswegen ist trotz der dezenten Neuerungen auch "Seeing eye dog" kein Abschied von der Bruchrechnung. Immer nur mit den gleichen Parametern zu hantieren, ist einem ausgewiesenen Experten für Meta-Ebenen jedoch nicht spannend genug. Deswegen ist auch "Seeing eye dog" Differentialmathematik mit den Mitteln des Lärms.

(Oliver Ding)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • In person
  • White city
  • Miserable
  • She's lost

Tracklist

  1. So long
  2. Seeing eye dog
  3. Welcome to Algiers
  4. LA water
  5. In person
  6. Morphing
  7. White city
  8. And your bird can sing
  9. Miserable
  10. She's lost
Gesamtspielzeit: 37:40 min

Im Forum kommentieren

Wolffather

2011-01-02 17:17:31

ja, das Album ist wirklich gut. Ich würde sagen, es ist auf einer Stufe mit Size Matters, bei welchem eigentlich nur die Dicke Hose Lyrics störend sind.

Norman Bates

2011-01-02 15:59:05

Nach öfterem Anhören bin ich der Meinung, Seeing Eye Dog ist mit Abstand das beste der drei "Helmet 2.0"-Alben. Und es wird mit den Hördurchgängen eher besser, als sich abzunutzen.

Wolffather

2010-11-28 12:54:25

jetzt habe ich mir auch die Monochrome und Seeing Eye Dog angehört, erster Eindruck:

Monopchrome:
relativ uninspiriert, der Sound viel zu trocken... gefällt mir nach dem ersten Hördurchgang nicht so... kaum Höhepunkte im Einheitsbrei, um einiges schwächer als die recht gute Size Matters

Seeing Eye Dog:
bin sehr positiv überrascht, also ich kann das nicht schlecht geschweige denn nervig oder peinlich finden... sind sehr viele gute Momente und einige gute Songs drauf (die sogar kurzzeitig an alte Zeiten heranreichen), einzig And Your Bird Can Sing passt überhaupt nicht ins Album, obwohl ich es gar nicht mal so übel finde... wäre aber als Hidden Track oder B-Seite deutlich besser aufgehoben, so mitten im Album ist es ein Fremdkörper... ich sehe insgesamt sehr viel Licht und recht wenig Schatten... kann die überzogenen Kritiken nicht verstehen, für mich ein sehr ordentliches Album, was durchaus Spaß machen kann... man muss sich halt ein wenig von Meantime+Betty+Aftertaste lösen, denn selbstverständlich spielen diese in einer anderen Liga - aber solche Meisterwerke kann man halt nicht ewig raushauen

Norman Bates

2010-11-27 09:45:22

@Wolffather
Ich habe Helmet schon ein paarmal live gesehen (das letzte Mal Anfang 2009) und kann deinen Eindruck nur bestätigen.

innora

2010-11-27 02:05:53

ne, also ne, obschon der lieder ein wenig drums sind. aber beim perkussion oder bassspiel des sängers sind gaaanz klar die ecken und tiefen weiter drin. dazu ne kleine cdhülle -- lieblos!! (höchstens was für sammler) . mein urteil 7/10 punkten, aber nur weil die soundframes korrekt gemastered wurden. keine professionelle recordind-performance dennoch! grüsse, innora

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