
Chilly Gonzales - Ivory tower
Gentle Threat / EdelVÖ: 20.08.2010
Große Rochade
Ein Duell der großen Meister. Nur Schwarz und Weiß zwischen ihnen. Beim diesjährigen Traumzeit-Festival saßen sich Chilly Gonzales und Helge Schneider gegenüber und liefeten einen Ringkampf am Piano. Schweiß, eingeölte Körper und Gewalt. Doch "Ivory tower" hat mit diesem Kraftakt wenig gemein, sondern wendet sich einem anderen Spiel der Könige zu. Doch anstatt die Schachbücher zu wälzen und sich in abstrusen Eröffnungen zu ergehen, lässt Gonzales die Puppen auf dem Brett tanzen. Im Rücken saßen bei der Entstehung auch nicht zufällig Boys Noize, die an den Reglern schoben und so manchen Kniff ins Ohr säuselten. Dabei eröffnet "Knight moves" eher vorsichtig und bedächtig. Loop und Beat rücken einer Klaviermelodie zu Leibe, bis sich wenig später der Rhythmus raus schält. Ein paar Synthie-Stöhner und Streicher werden ebenfalls von den Startpositionen versetzt, und schon ist der schwarz-weiße Dancefloor aufgestellt.
Doch was so zaghaft beginnt, hat in "I am Europe" schon deutlich mehr auf der Brust. Gonzales zieht einen in die innere Logik von "Ivory tower", ohne dabei besonders rabiat vorgehen zu müssen. Denn die Klaviermelodien ziehen nach ihrem eigenen Sinnen und lassen allerlei Spielereien über sich ergehen. Dabei gibt der Tastenkasten neben den Beats aber auch meist den Rhythmusträger, der ein paar Spitzen setzt. In "Smothered mate" stemmt er das gesamte Songgerüst samt Nebelmaschinensounds. Doch die Strukturen sind hier nie gestellt, sondern laufen einfach so zusammen. Die Tracks sind nicht kopflastig, sondern verlaufen einfach in ihren Haken und Wiederholungen. Am Ende steigt der Druck dann zum Zerbersten, und nur eine Streichermelodie befreit davon. Einzelne Sprachfetzen liegen auf "Ivory tower", doch Sprache ist auch nur ein Baustein, der hier eingesetzt wird. Erst "The grudge" gibt den Worten ein wenig mehr Raum, doch auch dann spottet das Klavier mit seiner sanften Melodie den verbitterten Worten.
Und trotzdem mag auf "Ivory tower" keiner König sein. Nichts thront, kein Spielzug mag entscheidend sein, kaum jemand wird geschlagen. Denn in den 45 Minuten ist genug Zeit und Raum, um sich einfach zu entfalten, um Loops ihren Lauf zu lassen und an Harmonien zu spinnen. "You can dance" befreit dann von jeglichem Sinn und mischt munter ein paar Disko-Momente mit stöhnenden Streichern. Was sich vorher als Logik und laufende Struktur präsentierte, zerfällt zum Zufall und Gefühl. "Ivory tower" ist im besten Sinne eine Befreiung, die sich langsam türmt und nach ihrer eigenen Pfeife tanzt. Die Regel legt Gonzales dafür selbst fest, ohne darauf zu beharren: Vertrau dem Zufall. Am Ende gewinnt er sowieso. Schach!
Highlights & Tracklist
Highlights
- I am Europe
- Smothered mate
- The grudge
Tracklist
- Knight moves
- I am Europe
- Bittersuite
- Smothered mate
- The grudge
- Rococo Chanel
- Never stop
- Pixel paxil
- You can dance
- Final fantasy
Referenzen
Spotify
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