Flying Lotus - Cosmogramma

Warp / Rough Trade
VÖ: 30.04.2010
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Neil Armstrong

Der Typ, der da jeden Morgen müde, hungrig und abgekämpft aus kleinen Augen in den Spiegel blickt, sieht nicht gerade aus wie ein Göttersohn. Heute Morgen ähnelt er sogar eher einem Fragezeichen, denn das neue Album von Flying Lotus war in der Post. Knapp zwei Jahre ist es erst her, da erzählte "Los Angeles" die Geschichte einer melancholischen nächtlichen Reise durch die kalifornische Metropole. Auf der "Reset EP" im Jahr davor fand sich mit dem schlafwandlerischen "Tea leaf dancers" gar eines der bewegendsten Liebeslieder der jüngeren Electronica-Geschichte. Danach folgten zahlreiche Remixe, die keinen Zweifel daran ließen, dass dieser Steven Ellison mit seinen abstrakten Beat-Skizzen zu neuen Ufern strebt. Und nun knallt er einem mit "Cosmogramma" ein Album auf den Frühstückstisch, das erst einmal verdaut sein will, wie einer dieser Fernfahrerkaffees, in denen der Löffel senkrecht stehen bleibt.

"Ist das überhaupt die richtige Platte?" ist der erste Gedanke, wenn auf dem Display des CD-Players die Zahl 1 neben der Zeitangabe aufleuchtet. Der Beipackzettel löst das Rätsel auf: Eine kosmische Oper will "Cosmogramma" sein, verteilt auf 17 Stücke, die mit kurzen Pausen zu einem einzigen langen Track verbunden sind. Ein Statement für das Albumformat und die Erfahrung, eine Platte von Anfang bis Ende zu hören. Hat man im heimischen Ohrensessel aber den Sechspunktgurt für die Spacereise angelegt, droht das kleine Rezensentenraumschiff bei den ersten Hördurchläufen erst einmal an "Cosmogramma" und seiner aberwitzigen Mischung an verschachtelten Beats, jazzigen Bassläufen, Harfenzirpen, Spielkonsolensounds und diversen anderen Klangschichten zu zerschellen wie an einem unerwartet auftauchenden Asteroidengürtel. Zu abgehackt folgen die kurzen, skizzenartigen Tracks aufeinander, von denen obendrein zunächst keiner eine dieser bezaubernden Melodien aufweisen will, mit denen Ellison bisher bei aller Beatfrickelei für sich einzunehmen wusste.

Erst nach und nach rauscht das Album nicht mehr in Lichtgeschwindigkeit vorbei und offenbart stattdessen Details wie den rasenden Squarepusher-Bass in "Pickled!" oder die mit perlenden Harfenläufen unterlegten dramatischen Streicher von "Intro / A cosmic drama", die ein Wunder der Natur zu enthüllen scheinen. "Zodiac shit" kombiniert die gleichen Streicher mit Spieluhrtönen in Zeitlupe und Unterwasserblubbern, das in die exaltierten G-Funk-Synthies von "Computer face/Pure being" übergeht. "… and the world laughs with you", durchsetzt mit unzähligen Geräuschen vom ameisenartigen Knistern bis zur Laserwaffe, stürzt gleich darauf mit Thom Yorke an den Vocals in dessen typisch verstörende Elektronik ab.

Nach dem zauberhaften "Mmmhmm", von Thundercat beinahe wie ein Wiegenlied eingesungen, packt Ellison dann mit "Do the astral plane" einen Spaceboogie aus, der mit seinen acht Beinen klackert und dabei noch dermaßen dreckig in sich hineinlacht, dass es eine Freude ist. Der Außerirdische aus "Recoiled" schnaubt danach leicht angepisst durch Ellisons Kosmos, was an dem etwas freejazzigen "German haircut" liegen könnte, den er ihm verpasst hat. Nicht weniger überbordend als der Rest dreht sich "Dance of the pseudo nymph" von Tablas angetrieben schneller und schneller um die eigene Achse, ehe "Drips / Auntie’s harp" wieder die Streicher auffährt, um nach all der Anstrengung die wohlverdiente Entspannung zu bringen.

Nach und nach offenbart "Cosmogramma" so ein wunderbares Detail nach dem anderen, bleibt aber insgesamt spröder und buchstäblich weiter draußen als "Los Angeles". Es ist ein Album, bei dem es auf der Mikroebene ähnlich drunter und drüber geht wie in einem Ameisenhaufen, das aber mit ein, zwei Ausnahmen nicht so direkt zupackt wie der Vorgänger. Denn weil Ellison die ohnehin schon kurzen Tracks mittendrin teils auf links dreht und noch mal ganz von vorn anfängt, schrammt "Cosmogramma" trotz vieler Leitmotive immer knapp daran vorbei, den roten Faden zu verlieren und in seine Einzelteile zu zerfallen. Als rasanter, kaleidoskopischer Trip durch Raum und Zeit gehört, gewinnt es aber gerade daraus wieder seine Qualität. Und macht aus dem Fragezeichen im Badezimmerspiegel ein dickes Ausrufezeichen.

(Harald Jakobs)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Pickled!
  • Zodiac shit
  • Computer face / Pure being
  • Mmmhmm ft. Thundercat
  • Do the astral plane
  • Recoiled
  • Dance of the pseudo nymph

Tracklist

  1. Clock catcher
  2. Pickled!
  3. Nose art
  4. Intro / A cosmic drama
  5. Zodiac shit
  6. Computer face/Pure being
  7. ... and the world laughs with you (feat. Thom Yorke)
  8. Arkestry
  9. Mmmhmm (feat. Thundercat)
  10. Do the astral plane
  11. Satelllliiiiiteee
  12. German haircut
  13. Recoiled
  14. Dance of the pseudo nymph
  15. Drips / Auntie's harp
  16. Table tennis (feat. Laura Darlington)
  17. Galaxy in Janaki
Gesamtspielzeit: 45:45 min

Im Forum kommentieren

DerMeister

2014-09-24 18:36:01

Ich warte immer noch auf meine erste 10/10 seit 2007.

wisser der fakten

2014-09-24 18:06:30

interessante meinung. jetzt aber zurück zu den fakten.

DerMeister

2014-09-24 17:56:32

9/10

Definitiv in meiner top 10 der bisherigen 2010er.

Schneckenhengst

2014-09-24 17:44:34

wartet mal, bis ihr "you're dead" gehört habt.

wird hier wieder höchstens ne 7/10, aber das ist ein weiterer schritt vom fliegenden lotus... eigentlich die platte, die ich bei cosmogramma erwartet hab...

wisser der fakten

2014-09-24 16:21:14

glasklare 10/10. fakt.

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