Unheilig - Grosse Freiheit

Vertigo / Universal
VÖ: 19.02.2010
Unsere Bewertung: 2/10
2/10
Eure Ø-Bewertung: 3/10
3/10

Tonal tönern

Sie können ja eigentlich gar nichts dafür - all die Goths, Gruftis und Buffys haben sich ihre Witts, Eisblumen und "Vampire Diaries" ganz bestimmt nicht ausgesucht. Wie sollten sie auch, schließlich beschädigen sie eher ihren ganzen Berufsstand. Es kann noch so lange getrauert und verzweifelt, können noch so viele Dämonen ausgetrieben werden: Jede Geste wird weggeschnappt, ausgehöhlt und schwuppdiwupp auf die tönernen Füße einer mehr als hölzernen Klonerie gestellt. Das ist gar nicht anders als beim Rockfan und dem dauernden Nierenknuffen zu Nickelback. Oder den Fischen im Aquarium und der Frage nach den Essgewohnheiten.

Da wären wir also. Mittendrin im Schlamassel beziehungsweise in Unheiligs "Grosser Freiheit". Was dem Grafen und seiner steroid-paranoiden Bande seit Jahr und Tag abgeht, ist der Zweifel. Sind die Ungewissheit und der Widerspruch. Und letztlich sogar die Ironie - selbst wenn sie sich nur auf Augenhöhe eines Rammstein-Rinnsteins die letzten Hirnzellen herausatmen sollte. Was sie allerdings haben, das sind all die tonal tönernen Gesten. Die grrrollenden Intonationen (verrruchte Geschichtsträchtigkeit), die Synthi-Streicher (Barrrock und Rrrrokoko als Hochkultur-Beweis), die megakompressierten (hui, Oberarmmuskeln) und die zart bezupften Gitarren (hui, Tränen und Oberarmmuskeln). Nichts Ungewöhnliches, nichts Herausragendes, nichts, was nicht bereits jedem einzelnen Stil der Musikgeschichte zugestoßen wäre oder noch zustoßen könnte. Von Freejazz vielleicht mal abgesehen.

So donnert mit "Abwärts" eine Rammstein-Dublette aus den Boxen, der "Unter Feuer" und "Seenot" tapfer die Streichholzschachtel halten. Und zu der man endlich einmal einsehen darf, wie gut man es mit den fünf Provo-Chauvies eigentlich getroffen hat. Eine unbedingt verzichtbare Erkenntnis, sicherlich. Zudem ein ewiges Streben nach Anerkennung auf Grasnarbenniveau: Ebenso wie die so typisch herausgegähnten Selbstbehauptungsgesten von "Ich gehöre mir" skandiert der gesamte große Batzen von "Grosse Freiheit" wie ein einziges Werte-und-Normen-Lehrerkolleg sein endloses "Wittewittewitt". Pipilotta Viktualias wohin man auch schaut. Mit möglichst gutem Beispiel immer nur voran.

Doch der Graf wäre nicht Der Graf, wenn er nicht noch ein Ass im Pumpärmel hätte: Eine Menge Silbermond spuckt ins laue Lüftchen von "Geboren um zu leben". Das große Thema Abschied und Tod wirkt hier als Charts-Fliegenfänger für Ihro Gnadens Kaltschalendepression. Bevor aber der Zeit-Feuilleton keck vorbeisalbadert, das sei nun aber wirklich mal das bis zur letzten Krokodilsträne auslutschbare Gefühlsbonbon für einen Jugendstil der Abgestumpftheit, zudem eine ekstatische Nullnummer wie sonst nur die Selbstverstümmelung via Großhirnpiercing (und der Guido, der Westerwelle, ist ja auch irgendwie mit schuld daran), sei versichert: Über Tod und Vergängnis wurde immer schon gedichtet. Bevorzugt gar im düsteren Genre. Ob man Kinderchöre im Knuddel-Mich-Takt darüber singen lässt, nun, das drischt dann nur den alten "Unsere Zukunft"-Joker. Womit man wieder beim Anfang wäre: "Grosse Freiheit", das ist wie Helen Lovejoy bei den No-Future-South-Park-Goths. Oder auch Shoplifting im Hot Topic. Vampirismus für Kleptomanen. "I bet they aren't even drinking coffee."

(Tobias Hinrichs)

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Highlights & Tracklist

Highlights

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Tracklist

  1. Das Meer
  2. Seenot
  3. Für immer
  4. Geboren um zu leben
  5. Abwärts
  6. Halt mich
  7. Unter Feuer
  8. Grosse Freiheit
  9. Ich gehöre mir
  10. Heimatstern
  11. Sternbild
  12. Unter Deiner Flagge
  13. Fernweh
  14. Neuland
Gesamtspielzeit: 57:18 min

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