Frightened Rabbit - The winter of mixed drinks

Fat Cat / PIAS / Rough Trade
VÖ: 05.03.2010
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

In den Knochen

Sie haben es schon wieder getan. Beziehungsweise: Es ist ihnen schon wieder passiert. Frightened Rabbit umarmen die Welt auch auf "The winter of mixed drinks" mit den allerkleinsten Gesten. Zwar sprüht das Drittwerk der Glasgower von Beginn an vor eben jenem Selbstbewusstsein, das sich der Vorgänger erst ebenso hinterrücks wie ungemein gewitzt erarbeitete und von dem ihr Debüt noch so rein gar nichts wissen wollte. Trotzdem steckt ihrer Musik das Bekümmerte und Genügsame immer noch tief in den Knochen: "Most of the misery's gone / Gone to the bone", singt Scott Hutchinson neben hymnische "Badada"-Choräle. Das gewachsene Selbstvertrauen lässt sich dabei sofort an seiner Stimme ausmachen.

Dirigierte Hutchinsons Gesang bei "Sing the greys" und "The midnight organ fight" einen kongenial verschrobenen Takt in die Kompositionen, so schraubt er sich nun derart kraftvoll und von Multilayer-Backgrounds unterstützt nach oben, dass die Musik schon einiges aufbieten muss, um überhaupt hinterherzukommen. Dabei hat sich an seiner zitternden Intonation kaum etwas geändert, sie wird nun allerdings sehr offensiv in die Songs geworfen. Die Musik zieht nach, zieht gleich, holt ihn auf den Boden zurück, fordert ihn aber auch heraus. Woran sich erkennen lässt, dass Frightened Rabbit nach wie vor das große Ganze interessiert - nicht der Wiedererkennungswert eines einzelnen Teilchens. Oder der Bombast eines neuen, intensiveren Pop-Erlebnisses.

Weitere Entscheidungen machen das deutlich. Da wird das zwar wunderschöne und vielschichtige, aber nicht eben senkrechtstartende "Swim until you can't see land" als Vorabsingle ins Rennen geschickt, obwohl mit "The wrestle" und vor allem dem Uptempo-Popokreisen von "Nothing like you" eindeutigere, forderndere Songs auf der Matte stehen. Doch in der Logik dieser Band ist auch das gar nicht anders denkbar. Sie will nicht möglichst schnell und bequem in die Charts, sondern zeigen, was sie hat - in allen Facetten und mit stolzgeschwellter Brust. Und dabei ist ihr auch die Güte einer schlichten, melancholisch-rockenden Melodie Schulterklopfen genug: Das Video zu "Nothing like you", dann eben doch die zweite Single, präsentiert einen unbändig kopfnickenden Hutchinson, der sich mal gar nicht darum schert, wie wenig sophisticated das aussehen könnte.

Dennoch hat "The winter of mixed drinks" durchaus mehr aufzubieten als das in vielen Belangen so schön schwankende "The midnight organ fight". Bläser, Streicher, Klaviere und tief mollende Paukenschläge streifen als mächtige Sidekicks durch die Songs, werden aber stets sorgsam unter die folkrockenden Arrangements und das Bandinstrumentarium gemischt. Im Ergebnis wirft das Ende von "Skip the youth" viele Hände in die Luft. Bietet "Yes I would" einen wehmütigen Schlusspunkt des Albums, aber nur wenig Elegie. Und trippt "Foot shooter" beim unbeirrten Weitermachen in ein einziges, von Sekunde 0 an stetig anziehendes, grandioses Finale. Denn auch hier gilt: Frightened Rabbit wachsen hörbar aneinander und stets gemeinsam. Es ist ein besonderes Geschenk an die Hörer, dass sie ihnen dabei jetzt schon über drei Alben derart freimütig zuhören können.

Aus diesen Wachstumsschüben gewinnt dann auch "Living in colour" genau das, was die Lokalgenossen Idlewild seit Jahren vergeblich versuchen: einen mit Streichern verwirbelten Folk-Popper, der sich trotz deutlich zu hörender Traditionals von jedem Klischee befreit. Ja, sich gewissermaßen energisch und mit festem Willen freispielt. Da hämmern die Drums einen unbezwingbaren 4/4-Takt unter einen harmonischen Reigen, der zwischen Coldplay und R.E.M. wirklich alles erreichen könnte - es aber in all seiner Entschlossenheit schlicht nicht will. Diesen starken Willen inmitten einer derart sensiblen Musik wahrzunehmen, ihn als ihren Herzschlag zu spüren, das verwundert immer wieder. Das begeistert nachhaltig. Das lässt immer fester zudrücken, während auch Frightened Rabbit das tun, was sie am besten können: umarmen was das Zeug hält. Wie in einem frühen Mark Twain bieten sie große Ereignisse in kleinen, beinahe lausbübischen Geschichten. Die Hugglevery Scotch des inneren Aufruhrs.

(Tobias Hinrichs)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Swim until you can't see land
  • The wrestle
  • Nothing like you
  • Foot shooter
  • Living in colour

Tracklist

  1. Things
  2. Swim until you can't see land
  3. The loneliness & the scream
  4. The wrestle
  5. Skip the youth
  6. Nothing like you
  7. Man/Bag of sand
  8. Foot shooter
  9. Not miserable
  10. Living in colour
  11. Yes, I would
Gesamtspielzeit: 45:35 min

Im Forum kommentieren

Leech85

2023-05-26 08:00:35

Ja dieser Tod hat mich auch extrem mitgenommen. Beschäftigt mich auch heute noch oft. Vor allem die Art und Weise wie das geschehen ist.

Zum Album für mich ihre beste. Da auch emotionalste Platte. Aber finde alle Scheiben sind auf ähnlich hohem Niveau.

Gomes21

2023-05-26 07:31:19

Ich würde Hutchinson nicht Promi nennen, aber sonst bin ich bei euch. Hat und nimmt mich immer noch sehr mit.

Ich mag das Album sehr gerne, ist sogar eins meiner meistgehörten der Band. Skip the Youth einer meiner Lieblingssongs der Band, auch sonst viel tolles drauf.

Kevin

2023-05-26 00:28:11

Mir geht es genauso. Kein Tod eines Promis/Musikers hat mich jemals mehr mitgenommen.

Arne L.

2023-05-25 20:40:10

Bin großer Fan der Band und Hutchinsons Tod war der Promi-Tod, der mich bis heute am meisten mitnimmt.

Es gibt dieses Live-Video von “The Modern Leper” für “The Line of Best Fit”, das jedes Mal einen Heulkrampf bei mir verursacht, wegen dem, was Scott dort sagt und wie herzlich er trotzdem dabei wirkt:

https://youtu.be/ob3X77TwqEw

“The Winter of Mixed Drinks” ist bei mir nicht im ganz oberen Regal der Band, aber besonders “Swim Until You Can't See Land" höre ich immer mal wieder gerne einzeln.

etienoir

2023-05-25 20:28:54

damals hab ich irgendwo einen längeren nachruf gelesen und dabei echt manche träne wegdrücken müssen. welch tiefe verzweiflung man empfinden muss, wenn man keinen anderen ausweg mehr sieht, als seinem leben ein ende zu setzen.

zur musik: modern leper mein liebstes stück von ihnen, aber winter of mixed drinks hat als album auch bei mir die nase vorn.

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