Echt - Recorder
Laughing Horse / Motor / UniversalVÖ: 08.10.2001
Mit Pauken und Tomaten
Es gibt diese Bands, die kann man hassen oder lieben. Und es gibt Bands, die hat man gefälligst zu hassen, sobald man ein gewisses Alter erreicht hat. Solche, die vornehmlich das heranwachsende Publikum zu Begeisterungsstürmen hinreißen und aufgrund ihres Alters und/oder ihrer Attitüde selbst noch nicht erfolgreich der Grünschnäbligkeit entwachsen sind. Die Blink 182s dieser Welt. Die Limp Bizkits. Und selbstverständlich Echt, wenngleich die Flensburger sich in den letzten Monaten nach Kräften bemüht haben, sich vom Kind zum Mann, vom Hosenscheißer in Latzhose zum Sesselfurzer im Karohemd, vom belächelten Take That-Hampelmann zum Robbie Williams zu mausern.
Fragen zu ihrem Privatleben lehnen die fünf Schnuckel inzwischen freundlich lächelnd ab, haben sich seit "Junimond" von fremdem Songwriting gänzlich losgesagt und - sozusagen als Ritterschlag - in diesem Jahr versucht, die Alternastage-Bühne des Rock am Ring-Festivals zu erobern. Daß sie dort fliegenden Bierbechern, Tomaten und Klopapierrollen erfolgreich ausgewichen sind, konnte jedoch wenig daran ändern, daß die Performance unterm Strich äußerst peinlich ausgefallen ist und all denen recht gegeben hat, die Echt für fleischgewordene Wackeldackel mit Gitarrenanbau hielten.
Alleine, daß die fünf Flensburger auf ihrem dritten Album "Recorder" alle Songs im Alleingang geschrieben haben, wird die zahlreichen Spötter kaum zum Verstummen bringen können. Denn schließlich zimmern auch Bands wie Modern Talking oder Pur ihre Folterwerkzeuge mit eigenen Händen zusammen, um damit via Funk und Fernsehen unschuldiges Volk zu malträtieren. Doch kann eine Band, die einen so gewieften Song wie "Spurlos" aus dem Ärmel zaubert, wirklich frei von jedem Talent sein?
Die Antwort ist wie so oft ein entschiedenes "Jein". Immerhin blitzt das Können der im Schnitt inzwischen immerhin 20-jährigen an etlichen Stellen auf, und eine Handvoll Songs wie "(Fast) Wie ein Mädchen" oder "Stehengeblieben" wären auch auf den ersten Alben von Vorbildern wie Selig oder Nationalgalerie keineswegs negativ aufgefallen. Doch wenn Echt bei "Wahrheit" mangels einer brauchbaren Songidee im Bastelwahn diffus durch die Gegend gluckern und dem bemitleidenswerten Vocoder grauenvolle Geräusche entlocken, wünscht man sich dringend Michel van Dyke zurück, der den Flensburgern noch beim Vorgängeralbum "Freischwimmer" unter die Arme griff.
Vor allem die von Schlagzeuger Florian Sump stammenden Texte rechtfertigen das verhaßte Schimpfwort "Teenie-Band" noch immer. Solange lichte Textzeilen wie "Kurz nach dem Aufstehn / Will ich eigentlich gar nicht mehr rausgehn" aufgetischt werden, solange in Songs wie "Du bist nicht echt" oder "Haar" gejauchzt wird, bis einem alle selbigen zu Berge stehen, wird das offensichtliche Ziel, erwachsene Hörergruppen zu erschließen, Illusion bleiben. Neben dem einen oder anderen guten Ansatz gilt es zunächst vor allem den Versuch der fünf Flensburger zu honorieren, den Kinderschuhen zu entwachsen und auf eigenen Beinen zu stehen. Und daß sie sich bei ihren wackligen Gehversuchen durchs Wohnzimmer der ernstzunehmenden Rockmusik noch unsicher an allen Ecken und Enden das Köpfchen prellen, wird sich eines Tages vielleicht auch noch ändern.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Spurlos
- (Fast) Wie ein Mädchen
- Stehengeblieben
Tracklist
- Wie geht es dir so?
- Spurlos
- Meisterwerk
- In dieser Gegend
- Wahrheit
- Du bist nicht echt
- Haar
- (Fast) Wie ein Mädchen
- Nachbarschaft
- Kurz nach dem Aufstehen
- An deiner Seite
- Stehengeblieben
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